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# taz.de -- Warten aufs Urteil: Die Richter sind überlastet
> Der Berg von unbearbeiteten Verfahren am Landgericht wächst seit fünf
> Jahren kontinuierlich an. Der Grund: die steigende Zahl von Straftaten
Bild: Wenn es bis zum Prozess lange dauert, fällt schwer zu klären, wer die F…
BREMEN taz | Das Bremer Landgericht fordert die Einstellung von neuen
RichterInnen – um den hohen Bestand an Altfällen abarbeiten zu können. Als
solche gelten die derzeit 208 Verfahren, die schon länger als 33 Monate
beim Landgericht liegen. Darunter befinden sich rund zehn Verfahren, die
vor 2014 eingegangen sind und in denen es um Sexualstraftaten oder andere
Gewalttaten geht. Die mutmaßlichen Täter sind nicht in Untersuchungshaft.
„Das sind Verfahren, die wir eigentlich sofort eröffnen müssten“, sagte am
Montag Karin Goldmann, Präsidentin des Landgerichts. „Bei einer
Vergewaltigung ist ein Jahr schon zu viel“, sagte sie. Denn die Tat selbst
könne noch weiter zurückliegen, weil zuvor noch Polizei und
Staatsanwaltschaft ermittelt haben – oder weil eine Betroffene einen Täter
erst als Erwachsene angezeigt hat. „Je länger die Tat zurückliegt, desto
geringer werden die Chancen auf ein Urteil, weil die Zeugen sich nicht mehr
erinnern können.“ Gerade bei Sexualstraftaten gibt es selten andere Beweise
als Zeugenaussagen.
Für die Opfer von Straftaten seien solche langen Verfahrensdauern
dramatisch, sagte Goldmann. „Sie würden das Erlebte gerne verarbeiten und
damit abschließen, das können sie aber nicht, weil im Prozess alles noch
einmal aufgearbeitet wird.“
Das Präsidium des Landgerichts begründet den Verfahrensstau mit der
angeblich stetigen Zunahme von Straftaten und dem hohen Anteil von
Verfahren, bei denen die Beschuldigten in Untersuchungshaft genommen
werden. Diese Fälle muss das Gericht vorrangig behandeln. Im vergangenen
Jahr hatte es das in zwei Fällen nicht geschafft, sodass zwei Beschuldigte
aus der Untersuchungshaft entlassen werden mussten. Alle beide, sagte
Goldmann, seien zu jedem Gerichtstermin erschienen und seien mittlerweile
verurteilt worden.
Erklären konnte Goldmann die Zunahme dieser Verfahren nicht. „Das ist ein
bundesweites Phänomen.“ Der stellvertretende Gerichtspräsident Manfred
Kelle wies darauf hin, dass sie es häufiger als früher mit
Messerstechereien zu tun hätten, bei denen Menschen verletzt würden. „Es
gibt offenbar eine steigende Zahl von Menschen, die ein Messer bei sich
tragen und dieses so einsetzen, wie sie das für richtig halten.“
Bis zum gestrigen Montag waren im laufenden Jahr 38 solcher Haftsachen beim
Landgericht eingegangen. Im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum 30 und
2015 nur 22 solcher Fälle. Auch die Gesamtzahl der Strafsachen stieg in den
letzten drei Jahren an: 2014 waren es 150, im laufenden Jahr könnten es
nach einer Hochrechnung des Landgerichts 213 sein.
Das bedeutet auch, dass der Berg der liegen bleibenden Verfahren trotz neu
eingestellter RichterInnen immer größer wird. „Diese sollten eigentlich die
Bestände abarbeiten, aber dazu kommen sie nicht, weil sie ständig mit
Haftsachen beschäftigt sind“, sagte Goldmann. Sie erinnerte daran, dass es
2007 eine ähnliche Situation gegeben habe. Damals hatten 167 alte Verfahren
auf ihre Bearbeitung gewartet. Durch die Einstellung von drei RichterInnen
sank dieser Bestand bis 2011 auf 114 Fälle.
Im vergangenen November hatte der damalige Staatsrat für Justiz
angekündigt, die Anzahl der RichterInnen am Landgericht von derzeit 44 auf
insgesamt 50 für die Zivil- und Strafkammern zu erhöhen.Auch die anderen
Gerichte sowie die Staatsanwaltschaft in Bremen klagen über zu hohe
Arbeitsbelastung.
30 May 2017
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
deutsche Justiz
Justiz
Kriminalstatistik
Kriminalität
Lesestück Recherche und Reportage
Landgericht Bremen
Polizei Bremen
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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