# taz.de -- Personalmangel am Bremer Landgericht: In dubio pro Günthner | |
> Justizsenator Martin Günthner (SPD) sagt, er gebe genug Geld für sein | |
> Ressort aus. Dabei gefährdet der Personalmangel Grundrechte | |
Bild: Braucht wegen Personalmangel Hilfsstrafkammern: Landgericht Bremen | |
BREMEN | taz Justizsenator Martin Günthner (SPD) hat „Spiegel Online“ zu | |
einer Richtigstellung aufgefordert. Der Grund dafür sind Zahlen des | |
Deutschen Anwaltvereins (DAV) über die das Nachrichtenportal berichtete. | |
Diese legten nahe, dass Bremen von allen Bundesländern am wenigsten in die | |
Justiz investiere – Laut DAV nämlich nur 1,4 Prozent des Gesamthaushalts. | |
Dem widerspricht Günthner: „Bremen gibt einen ebenso großen Teil seines | |
Gesamthaushalts für Gerichte und Staatsanwaltschaften aus wie zum Beispiel | |
Bayern.“ Bei den Ausgaben pro Einwohner läge das Bremer Justizressort sogar | |
deutlich über dem Bundesdurchschnitt. | |
Bei einem Gesamthaushalt von rund 3,79 Milliarden Euro fallen auf Gerichte | |
und Staatsanwaltschaften 91 Millionen und das seien eben 2,6 Prozent. „Eine | |
angemessene Ausstattung unserer Gerichte ist mir ein besonderes Anliegen“, | |
sagt Günthner, „in den letzten sechs Monaten haben wir die Zahl der Richter | |
und Staatsanwälte im Land Bremen von 266 auf 281 erhöht.“ | |
Damit konfrontiert, sagt Swen Walentkowski vom DAV, nicht ohne Spott: „Ich | |
gratuliere, dass Bremen es auf 2,5 Prozent schafft!“ Der DAV habe mit | |
„Nettozahlen“ gerechnet, weil man wissen wollte, was die Länder im | |
Vergleich für Personal, Gebäude und Technik ausgeben, Ausgaben für | |
Pensionen und Ähnliches habe man nicht einbezogen. | |
Auch 2,5 Prozent seien noch beschämend, so der Rechtsanwalt: „Es geht nicht | |
darum, ob man nun Letzter oder Viertletzter in einem Ranking ist.“ Der | |
gesellschaftliche Stellenwert der Justiz sei zu gering. Walentkowski sagt: | |
„Ich erlebe immer wieder, dass Richter einen Vergleich nur dringend | |
empfehlen, um keine Urteilsbegründung schreiben zu müssen und das Verfahren | |
schnell zu beenden.“ Angesichts von Personalmangel sei der Druck auf viele | |
Richter sehr hoch, um politisch vorgeschriebene Verfahrensquoten | |
einzuhalten. | |
Tatsächlich ist ein Sorgenkind der Bremer Justiz die anhaltende Überlastung | |
des Landgerichts. Karin Goldmann, Präsidentin des Landgerichts, forderte | |
vor Kurzem sechs neue RichterInnen. Tatsächlich mussten wegen | |
Personalmangels wiederholt Hilfsstrafkammern eingerichtet werden, um | |
Verfahren nicht zu verschleppen. Das betrifft besonders Haftsachen: Wenn | |
Beschuldigte in U-Haft sitzen, dürfen bis zum Beginn der Anklageerhebung | |
nicht mehr als sechs Monate vergehen, ansonsten muss man sie wieder | |
freilassen. | |
Die Schaffung von kurzfristiger Abhilfe ist allerdings kompliziert: Die | |
Einrichtung von Hilfskammern kann dem im Grundgesetz verankerten Anspruch | |
auf den gesetzlichen Richter widersprechen: Um die Gewaltenteilung nicht zu | |
gefährden, muss im Voraus bestimmt sein, welche Kammer und RichterInnen für | |
aufkommende Verfahren zuständig sind. Das soll verhindern, dass die | |
Exekutive durch Manipulation der richterlichen Zuständigkeit Einfluss auf | |
ein konkretes Verfahren nehmen kann. | |
Deswegen ist eine Hilfsstrafkammer in der Rechtsprechung ein wunder Punkt. | |
Nikolai Sauer, Landgerichtssprecher, sagt: „In dem Moment, wo eine | |
Hilfsstrafkammer eingerichtet werden muss, macht man sich angreifbar.“ Die | |
Verteidigung kann gegen Hilfsstrafkammern Besetzungsrügen stellen. Damit | |
ist eine erfolgreiche Berufung wahrscheinlicher und das Verfahren | |
verkompliziert sich. | |
In Bremen gibt es aufgrund akuter Überlastung aktuell eine | |
Hilfsstrafkammer. Auch im vergangenen Jahr gab es bereits eine. Dort wurde | |
etwa über Alpi T. verhandelt, einen Motorradraser, der wegen fahrlässiger | |
Tötung eines Rentners zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. | |
Armin von Döllen, Anwalt des Verurteilten, hatte damals eine Besetzungsrüge | |
gegen das Gericht eingesetzt. Er sagt: „Es ist kein Geheimnis, dass das | |
Landgericht stark überlastet ist.“ Beim Landgericht sei am | |
Geschäftsverteilungsplan „herumexperimentiert“ worden: „Das ist alles | |
Flickwerk, vergleichbar mit einer Decke, die zu allen Seite zu kurz ist.“ | |
Das Justizressort macht geltend, dass es in den vergangenen zwei Jahren ein | |
Viertel mehr Verfahren gegen Personen in U-Haft gegeben habe. Immerhin: | |
Angesichts dessen habe man die Gesamtzahl der RichterInnen am Landgericht | |
zu Jahresbeginn bereits erhöht, zudem strebe man bis zum Jahresende eine | |
weitere Erhöhung über die geforderten Stellen hinaus an. Vielleicht ist es | |
ja bald wieder kuschelig unter der noch löchrigen Personaldecke. | |
27 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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