| # taz.de -- Brandanschlag auf Obdachlosen: Schwere Geschütze | |
| > Vor dem Landgericht stehen sieben junge Flüchtlinge, die neben einem | |
| > schlafenden Obdachlosen Feuer gelegt haben sollen. Die Anklage lautet auf | |
| > versuchten Mord. | |
| Bild: Einige der Angeklagten, die sich wegen versuchten Mordes verantworten mü… | |
| Es dauert, bis die Scheinwerfer der Kameras aus sind und im Saal Ruhe | |
| einkehrt. Solange die Fotografen im Saal waren, hatten sich die sieben | |
| jungen Männer auf der Anklagebank hinter Aktendeckeln verschanzt. Jetzt | |
| sieht man ihre Gesichter. Jung und offen sehen sie aus und ziemlich | |
| verstört. | |
| Die zum Teil noch minderjährigen Flüchtlinge aus Syrien und Libyen müssen | |
| sich seit Dienstag vor der 13. Jugendstrafkammer des Landgerichts wegen | |
| versuchten Mordes und unterlassener Hilfeleistung verantworten. Unruhig | |
| wandern ihre Augen mit ernstem Blick zwischen den Richtern und den | |
| vollbesetzten Pressebänken hin und her. Der Hauptangeklagte Nour N. – von | |
| der Gruppe mit seinen 21 Jahren der Älteste, körperlich aber der Kleinste – | |
| wischt sich mit den Händen immer wieder über die Augen. Es sieht aus, als | |
| ob er weint. | |
| Die Staatsanwaltschaft hat schwere Geschütze aufgefahren. Am frühen Morgen | |
| des 25. Dezember 2016 soll die Gruppe auf dem U-Bahnhof Schönleinstraße in | |
| Neukölln versucht haben, einen Obdachlosen zu töten. „Heimtückisch und | |
| grausam“, wie es in der Anklageschrift heißt. Der Fall hatte weit über | |
| Berlin hinaus Schlagzeilen gemacht. Nour N. soll es gewesen sein, der ein | |
| Stück brennendes Papier neben den Kopf des Obdachlosen legte, der auf einer | |
| Bank schlief. Als das Papier erlosch, soll er ein Taschentuch angezündet | |
| haben und dieses erneut neben dem Kopf des Mannes platziert haben. Die | |
| Flammen hätten auf den Rucksack und eine Plastiktüte übergegriffen, die der | |
| Obdachlose als Unterlage für seinen Kopf benutzte, so die Anklage. | |
| Statt das Feuer zu löschen, seien die Angeschuldigten in einen haltenden | |
| U-Bahn-Zug gesprungen und davongefahren. Nachdem sie bemerkten, dass es auf | |
| dem U-Bahnhof eine Videoüberwachung gibt, hatten sie sich bei der Flucht | |
| ihre Kapuzen über die Köpfe gezogen. | |
| Der Obdachlose blieb unverletzt. Fahrgäste und ein U-Bahn-Fahrer bemerkten | |
| die Flammen, weckten den Mann und löschten. Die von der Polizei | |
| veröffentlichten Bilder von Überwachungskameras führten zwei Tage später | |
| zur Festnahme der Gesuchten. Bis auf einen, der mit dem Rücken zum | |
| Geschehen stand und dem deshalb nur unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen | |
| wird, sitzen alle Angeklagten in Haft. | |
| Verlesung der Anklageschrift, Anträge der Verteidigung gegen die | |
| Gerichtsbesetzung – das ist alles, was am ersten Prozesstag geschieht. Am | |
| Freitag sollen die Angeklagten zu den Vorwürfen befragt werden. Fünf | |
| gehören zu der Gruppe der sogenannten unbegleiteten minderjährigen | |
| Flüchtlinge, das heißt, sie sind ohne Eltern nach Deutschland gekommen. | |
| Nach der Festnahme am 26. Dezember hatten sie offenbar bereitwillig bei der | |
| Polizei ausgesagt. Wie die Vorsitzende Richterin Regina Alex am Dienstag | |
| ankündigt, wird die 13. Strafkammer diese Einlassungen aber nicht | |
| verwerten. Alex begründet das damit, dass Jugendliche „deutlich | |
| geständnisfreudiger sind als Erwachsene“. Sie hätten das Recht, dass ihre | |
| Eltern oder ein gesetzlicher Vertreter bei der Vernehmung dabei seien. Die | |
| Polizei habe die Vormünder der Beschuldigten zwar über die Festnahmen | |
| informiert, aber nicht auf das Recht auf Teilnahme bei der Vernehmung | |
| hingewiesen. | |
| Verwerten will das Gericht allerdings die Einlassung des 17-jährigen Ayman | |
| S., dessen Eltern in Berlin sind. Richterin Alex erklärt das so: S. Mutter | |
| habe bei dem Anruf der Polizei erklärt, sie wisse nicht, wie sie zu der | |
| Anschrift komme, wo die Vernehmung stattfinde. Das, so die Vorsitzende, sei | |
| ihre eigene Schuld. „Die Polizei hat nicht die Pflicht, ein Polizeitaxi zu | |
| schicken“. | |
| Auch die Videos der Überwachungskameras will sich das Gericht am Freitag | |
| anschauen. Allerdings sind die Bilder ohne Ton. Staatsanwalt Martin Glage | |
| interpretiert die Aufzeichnung am Dienstag in einer Pause vor der Presse | |
| so: Zunächst hätten sich die Beschuldigten überhaupt nicht für den | |
| schlafenden Obdachlosen interessiert. „Es war eine eher spontane Tat.“ Er | |
| nehme an, dass sich die Jugendlichen in der Weihnachtsnacht gelangweilt | |
| hätten. Nach dem Strafmaß gefragt, sagt Glage, er erwarte nicht, dass | |
| dieses so hoch ausfallen werde, wie von Medien beschrieben. „Denn, ohne die | |
| Tat klein reden zu wollen: letztlich ist ja nichts passiert.“ | |
| 9 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Plutonia Plarre | |
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