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# taz.de -- Obdachloser in Berlin angezündet: Prozess wegen versuchten Mordes
> Nach einem Brandanschlag auf einen Obdachlosen müssen sich ab Dienstag
> sieben junge Flüchtlinge vor Gericht verantworten – einige sind noch
> minderjährig.
Bild: Tatort U-Bahnhof Schönleinstraße
Direkt vor dem Bahnhofsschild „Schönleinstraße“ steht die Bank. Ein
Obdachloser war dort eingeschlafen. Sein Haupt hatte er auf einen Rucksack
gebettet und eine Decke darüber gelegt. Es war kurz nach Mitternacht. Der
erste Weihnachtsfeiertag hatte gerade begonnen, als neben dem Kopf des
Mannes ein Papiertaschentuch in Flammen stand. Angezündet von einer Gruppe
junger Männer, die sofort danach in einem U-Bahn-Zug entschwanden. Nur dank
der Reaktionsschnelligkeit von Fahrgästen und einem U-Bahn-Fahrer kam der
Mann nicht zu Schaden.
Bilder von Überwachungskameras haben die Polizei schnell auf die Spur der
mutmaßlichen Brandstifter gebracht. Ab dem morgigen Dienstag müssen sie
sich vor einer großen Jugendstrafkammer des Landgerichts wegen versuchten
Mordes und unterlassener Hilfeleistung verantworten. Sieben junge
Flüchtlinge aus Syrien und Libyen sind angeklagt. Der älteste ist 21, der
jüngste 16 Jahre alt. Vier gehören zu der Gruppe der sogenannten
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Das heißt, sie sind ohne Eltern
nach Deutschland gekommen.
Die Tat, die am 25. Dezember 2016 geschah, hat weit über Berlin hinaus für
Schlagzeilen gesorgt. Im Jahr der Bundestagswahl sind solche Vorfälle ein
Politikum. Rechte Gruppen versuchen damit zu belegen, dass die
Willkommenskultur gescheitert sei. Auch die gerade veröffentlichte
bundesweite Polizeistatistik für 2016 kommt da wie gerufen. Die Zahlen
besagen, dass unter den Tatverdächtigen – gemessen an ihrem
Bevölkerungsanteil – überproportional viele Geflüchtete sind.
Dass der Vorfall so viel Aufsehen erregt hat, hat aber auch noch einen
anderen Grund. Eineinhalb Millionen Fahrgäste benutzen die U-Bahn täglich.
Gewaltdelikte sind an der Tagesordnung. Aber Feuer neben einem schlafenden
Obdachlosen legen? Nicht nur viele Mitarbeiter der BVG habe es bei der
Nachricht geschüttelt, sagt Unternehmenssprecherin Petra Reetz. „Feige und
erbärmlich“ sei das. „Man tritt nicht auf jemanden ein, der ganz unten
angekommen ist, der sprichwörtlich schon auf dem Boden liegt“, sagt Reetz.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Obdachlose auf der Bank des
U-Bahnhofs fest schlief. Denn obwohl die Angeklagten eine Weile neben ihm
standen und sich laut unterhielten, sei der Mann nicht aufgewacht. Aufgrund
eines „spontan gefassten gemeinsamen Tatentschlusses“ habe der 21-jährige
Hauptangeklagte Nour N. dann ein Taschentuch entzündet und es neben den
Kopf des Obdachlosen gelegt.
Die Flammen seien auf den in eine Plastiktüte eingewickelten Rucksack
übergegangen, auf dem der Kopf des Obdachlosen ruhte. Anstatt sich um das
Feuer zu kümmern, seien die Angeklagten in eine haltende U-Bahn gesprungen
und davongefahren. Fahrgäste eines kurz darauf eintreffenden Zuges hätten
den Schlafenden geweckt und die Flammen gelöscht.
„Wenn jemand so tief schläft, dann ist das Heimtücke“, begründete
Justizsprecherin Lisa Jani den Vorwurf des versuchten Mordes. Allerdings
wird der nur gegen sechs der Angeklagten erhoben. Dem siebten, dem
17-jährige Eyad S., wird unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Das ergebe
sich aus den Bildern der Überwachungskameras, sagt Jani.
Die jungen Männer hätten neben der Bank gestanden und sich mit dem
Hauptangeklagten unterhalten. Nur Eyad S. habe mit dem Rücken zum Geschehen
gestanden. Als das Feuer brannte, sei S. aber mit den anderen davongerannt,
statt die Flammen zu löschen.
Der Prozess ist auf neun Verhandlungstage angesetzt. Weil der
Hauptangeklagte 21 Jahre alt ist, ist die Verhandlung öffentlich. Das könne
sich aber jederzeit ändern, sagt Jani. Wenn die persönlichen
Lebensverhältnisse der jugendlichen Mitangeklagten erörtert würden, könne
das Gericht die Öffentlichkeit ausschließen. Außer dass es sich bei einigen
von ihnen um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge handelt, ist bislang
kaum etwas über sie bekannt.
In Berlin leben derzeit 1.785 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die
Mehrzahl befindet sich unter Obhut der Bezirke, wohnt in
Gemeinschaftsunterkünften und wird von Sozialarbeitern betreut. Auf dem
Papier genießt diese Gruppe einen besonderen Schutz und eine besondere
Fürsorge. Aber in der Realität wird das längst nicht immer eingelöst (taz
berichtete).
Andreas Meißner ist pädagogischer Leiter von Evin. Die Einrichtung betreut
rund 100 Flüchtlinge ab 15 Jahren aufwärts. Meißners Erfahrung: „Ganz viel
hängt davon ab, was der Jugendliche an eigenem Potenzial mitbringt, welche
Betreuung er bekommt und auf was für ein Umfeld er sich einlässt“.
Die meisten der von ihm Betreuten seien erstaunlich friedlich – für das,
was sie erlebt hätten. Meißner warnt davor, junge Flüchtlinge nach dem
Vorfall im U-Bahnhof Schönleinstraße und einem Mordfall in Freiburg (siehe
Kasten) über einen Kamm zu scheren. „Ich halte das für krasse Einzelfälle.…
7 May 2017
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
U-Bahn Berlin
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Obdachlosigkeit
Brandstiftung
Flüchtlinge
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Unterbringung von Geflüchteten
Flüchtlinge
Lesestück Interview
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