| # taz.de -- Feind & Schläger: Die Schlagkraft der Polizei | |
| > Weil er einen Koch auf dem Weg zur Frühschicht krankenhausreif geprügelt | |
| > haben soll, steht in Bremen ein Zivilpolizist vor Gericht. | |
| Bild: Fatale Fehleinschätzung: Manchmal gehört so eine Faust auch einem verme… | |
| Bremen taz | Wahrscheinlich hat der Polizist Marcel B. am 21. Mai 2013 um | |
| 3.30 Uhr mit Faustschlägen das Leben von V. de O. zerstört. V. de O. ist | |
| Brasilianer, ein ausgebildeter Koch. Er ist auf dem Weg zur Frühschicht in | |
| einer Wurstfabrik, als B. ihn attackiert – hinterrücks und ohne jede | |
| Vorwarnung, so berichtet es die Augenzeugin beim Prozessauftakt im Bremer | |
| Amtsgericht. Und so berichtet es auch V. de O. selbst, der als Nebenkläger | |
| am Verfahren vorm Bremer Amtsgericht teilnimmt, denn gestorben ist er | |
| nicht, an dem Überfall. Aber fast: „Ich fühle: mein Leben ist zu Ende“, | |
| sagt er. | |
| Den Satz sagt er in einem Deutsch, das immer ins Unverständliche rutscht, | |
| wenn de O. aufgeregt ist. Und er sagt ihn unter Tränen. Als Richter Hans | |
| Ahlers noch einmal nachfragt, erklärt de O., „já tentei me suicidar duas | |
| vezes“, er gestikuliert. „Er hat zweimal versucht sich umzubringen“, | |
| erläutert die Übersetzerin. Ständig habe er Schmerzen seither, Zähne, | |
| Ellbogen, Knie, die OP-Narben und dann die Panikattacken. | |
| Ein posttraumatisches Belastungssyndrom hat die Therapeutin diagnostiziert, | |
| bei der de O. seither in Behandlung ist. Und als vorne am Richtertisch die | |
| Bilder seiner Verletzungen gezeigt werden, die komplett zugeschwollene | |
| linke Gesichtshälfte, Jochbeinbruch, Augenhöhlenbruch, Kieferfraktur, | |
| Quetschungen, da kann er nicht mehr an sich halten. Die Erinnerung | |
| schüttelt ihn. Er schluchzt. Er weint. Seine Anwältin bittet um eine | |
| Verhandlungspause. Marcel B. verdreht die Augen. | |
| Er war gar nicht erst mitgekommen, nach vorne, um sich die Bilder | |
| anzugucken. Auf der Anklagebank zieht er währenddessen die Stirn hoch und | |
| feixt ins Publikum wie ein Schulbub, der gerade eine Gardinenpredigt über | |
| sich ergehen lässt. Von der Opferseite ist niemand da, stattdessen bilden | |
| zwölf KollegInnen des Marcel B. eine Phalanx. Und deren ermutigende Mimik | |
| lässt sich gewiss als Ausdruck schönster Solidarität unter Beamten deuten. | |
| Zumal Marcel B. ja wirklich in der Scheiße sitzt. Er ist gleich wegen | |
| zweier Rohheitsdelikte angeklagt, von diversen älteren Sachen, die | |
| eingestellt wurden, ist auch die Rede. | |
| Und obendrein muss er sich jetzt noch wegen falscher Beschuldigungen | |
| rechtfertigen: Schon im Herbst 2012, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor, | |
| habe B. einen jungen Mann, Patrick K., grundlos „mit der Faust gegen die | |
| Brust“ geboxt. Schmerzhafte Prellungen, Hämatome hat er laut ärztlichem | |
| Attest davongetragen. Obendrein habe B. sein Opfer noch verhöhnt und | |
| „sinngemäß mit den Worten: Macker, verpiss dich!“ beleidigt. Als Patrick … | |
| ihn daraufhin anzeigte, hat ihn Zivilpolizist B. nach Überzeugung der | |
| Ermittler verleumdet. | |
| „Nach Rücksprache mit den unmittelbaren Vorgesetzten des Beamten gab es | |
| keine Anhaltspunkte, ihn von seiner Aufgabe abzuziehen“, erklärt die | |
| Pressestelle, warum B. auch acht Monate später noch im Dienst ist – und zum | |
| Verhängnis werden kann für V. de O.: | |
| Auch in dessen Fall ist von Verhöhnung die Rede. Denn als V. de O., am | |
| Boden liegend, „Polícia!, socorro!, polícia!“ ruft und nach seiner Mama | |
| verlangt, zückt Marcel B. die Waffe und sagt: „Die Polizei bin ich.“ Und | |
| als V. de O. seinem Peiniger droht, ihn anzuzeigen, soll der Beamte ihm | |
| bloß „ja, mach‘ das mal“ geraten und gelacht haben – in Anwesenheit der | |
| später eingetroffenen anderen Cops. | |
| Davon wissen die nichts mehr. Und sie erinnern sich plötzlich vor Gericht | |
| ganz anders als bei den Vernehmungen durch die interne Ermittlung. Als | |
| hätten sie ein Skript vom selben Autor, fällt ihnen ein, wie der | |
| untersetzte und diabeteskranke Koch sich gewehrt habe: Auf dem Bauch | |
| liegend und damit beschäftigt, seine Arme dem Zugriff der Polizei zu | |
| entziehen, habe Herr de O. doch auch dem muskulösen Marcel B. an der Jacke | |
| gezerrt und diesen arg in Bedrängnis gebracht. Staatsanwalt Udo Stehmeier | |
| hat Mühe, sich diese athletische Tat vorzustellen. | |
| V. de O. ist denselben Weg wie jeden Morgen gegangen. Er trägt, wie stets, | |
| eine Tasche mit Wechselklamotten bei sich. Es ist regnerisch und zu kühl | |
| für Mitte Mai, die Dämmerung beginnt gerade erst, als der Koch Sankt Marien | |
| in Bremen Walle passiert. Seine Kapuze hat de O. aufgesetzt, darunter eine | |
| Mütze, die ihm Ailton selbst einst geschenkt hat. Um die Ohren zu schützen, | |
| hat er Kopfhörer aufgesetzt. | |
| Er nimmt sie ab, als er aus den Augenwinkeln bei der Kirche eine Gestalt | |
| gewahrt, so sein Bericht. „Ich dachte, es ist ein Betrunkener“, sagt V. de | |
| O.. Also lieber vorsichtig und auf die andre Seite gewechselt. Ach wäre es | |
| doch so gewesen! Auch Besoffene sind unangenehm und unberechenbar – aber | |
| körperlich meist weniger fit als der Zivilpolizist Marcel B., der da im | |
| Gebüsch hockt und Verbrecher jagt. | |
| Wie, das schildern zwei Augenzeugen zwei Jahre nach der Tat weitgehend | |
| übereinstimmend: B. verfolgt de O. Er packt ihn. Er traktiert ihn mit | |
| Hieben. Der Brasilianer flüchtet. B. setzt ihm nach, er haut wieder zu. Das | |
| Opfer stürzt. „Er hat sich ihm auf den Rücken gesetzt“, das hat ein Stude… | |
| beobachtet, der wegen der Schreie ans Fenster getreten ist. | |
| Ein Krankenwagen wird zum Tatort gerufen. Einer der Rettungsassistenten hat | |
| lebhafte Erinnerungen: Beim Eintreffen am Einsatzort „herrschte betretenes | |
| Schweigen“, schildert er. Die PolizistInnen hätten ihn an „12-Jährige, die | |
| beim Klauen erwischt worden sind“ denken lassen In seiner über zehnjährigen | |
| Karriere habe er „keinen Fall gehabt, wo jemand nach einem Polizeieinsatz | |
| so heftig verletzt war“. | |
| Es soll um 2.40 Uhr einen Einbruchsversuch in einer Gaststätte in | |
| anderthalb Kilometern Entfernung gegeben haben. Dadurch habe 50 Minuten | |
| später ein Anfangsverdacht gegen Herrn de O. bestanden, stellt ein Kollege | |
| von B. fest. „Warum denn?“, fragt Staatsanwalt Stehmeier nach. „Spielte | |
| dabei möglicherweise die Hautfarbe des Herrn de O. eine Rolle?“ Aber woher | |
| denn. Die Polizei hat nichts gegen Schwarze. Es war bloß so, dass Herr de | |
| O. eine Tasche trug, und zu Fuß nachts durch die Straße ging, in der Marcel | |
| B. für Sicherheit sorgte. | |
| 30 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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