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# taz.de -- Polizeigewalt in NRW: „Der Korpsgeist ist der Skandal“
> Polizisten in Herford werfen einem Autofahrer Gewalttätigkeit vor. Ein
> Video zeigt vor Gericht: Es war genau andersrum.
Bild: Polizei in NRW.
KÖLN taz | Es sind Bilder, wie man sie aus den USA kennt. Bei einer
Verkehrskontrolle werden einem Autofahrer ohne ersichtlichen Grund die Arme
auf den Rücken gedreht. Als dieser sich wehrt, schlägt ein Polizist ihm
mehrmals gegen den Kopf, sprüht Pfefferspray in sein Gesicht. Dann wird der
Mann in Gewahrsam genommen.
Die Szene aus dem nordrhein-westfälischen Herford ist genau ein Jahr alt.
Bis heute aber beschäftigt sie Politik und Justiz in NRW. Die Szene ist auf
einem Video zu sehen, das die Kamera im Streifenwagen aufzeichnete. Der
Autofahrer war Hüseyin E. „Ich habe mich nicht gewehrt, weil es die
deutsche Polizei ist“, sagt der 39-Jährige. „Ich habe immer gelernt,
Respekt und Achtung vor der deutschen Polizei zu haben.“
Die Polizei wertet den Vorfall anders. Er habe aus Notwehr gehandelt, gibt
der Polizist zu Protokoll. Es habe nach einem verbalen Disput die Gefahr
eines Angriffs bestanden. Der Beamte zeigt E. an: Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte. Auch E.s Cousin, der mit im Auto saß, kassiert eine
Anzeige. Er hatte Beamte von E. weggezogen.
Auch Hüseyin E. erstattet Anzeige – gegen die Polizisten. Die Ermittlungen
jedoch werden eingestellt. Im Januar diesen Jahres werden dagegen E. und
sein Cousin angeklagt. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld stützt sich auf
eine Auswahl von 53 Standbildern aus dem Video von dem Polizeieinsatz. Die
Fotoserie hatte ein Beamter aus der Polizeibehörde in Herford
zusammengestellt. Darauf wirkt es, als würde E. die Polizisten angreifen.
Detlev Binder, der Verteidiger von Hüseyin E., beantragt Akteneinsicht –
wiederholt, wie er sagt. Das Gesuch bleibt unbeantwortet. Im März wird das
Hauptverfahren eröffnet. Binder erhält nun die DVD mit der Videosequenz.
Doch die ist verschlüsselt. Mehrmals fordert Binder das Passwort an. Erst
am 4. Mai, dem Tag des Prozessauftakts, sieht Binder das Video zum ersten
Mal. „Ich war erst mal sprachlos.“
## Ein grundsätzliches Problem
Das Video stellt den Prozess auf den Kopf. Der Polizist, der zugeschlagen
hatte, beharrt zunächst auf seiner Version. Dann zieht er seine Aussage
zurück. Er habe „wohl überreagiert“, sagt er nun und entschuldigt sich bei
den Angeklagten. Hüseyin E. und sein Cousin werden freigesprochen. Die
Richter sprechen von „Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der polizeilichen
Diensthandlungen“. Verteidiger Binder sagt: „Der Prozess wäre komplett
anders ausgegangen, wenn das Video nicht gezeigt worden wäre.“
Der Anwalt sieht ein grundsätzliches Problem. „Der Korpsgeist ist der
Skandal. Mehrere Polizisten wollten nicht nur die Geschichte vertuschen,
sondern haben einen Unschuldigen vor Gericht gezerrt, nur damit der Kollege
gedeckt wird.“ Der Staatsanwältin, die das Video nicht gesichtet hatte,
macht Binder keinen Vorwurf. „Die Staatsanwaltschaft gibt der Polizei
üblicherweise einen Vertrauensvorschuss, und der wurde missbraucht.“ Das
NRW-Justizministerium beteuert, es habe keine Anhaltspunkte für eine
Abweichung der Darstellung vom Video gegeben.
Die Geschichte ist noch nicht vorbei. Wenige Tage nach dem Urteil erfolgen
mehrere Anzeigen. Gegen die Staatsanwältin, wegen Strafvereitelung im Amt
und Verfolgung Unschuldiger. Gegen eine Polizistin, die bei der Kontrolle
dabei war – wegen unterlassener Hilfeleistung. Und auch die Anzeige von
Hüseyin E. wird wieder aufgenommen: wegen Misshandlung in der
Polizeikontrolle. Ausgang offen.
17 Jun 2015
## AUTOREN
Helke Ellersiek
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Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
NRW
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