# taz.de -- Tag der Tiefkühlkost: In der Liga der ganz Bösen | |
> taz-Redakteure haben sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Tiefkühlkost | |
> gemacht. Und sehr unterschiedliche Einstellungen dazu entwickelt. | |
Bild: Lecker Vitaminbombe. | |
BERLIN taz | 1984 rief der damalige US-Präsident Ronald Reagan mit der | |
„Proclamation 5157“ den 6. März offiziell zum „National Frozen Food Day�… | |
aus – im Gedenken daran, dass Mut und Pioniergeist die Welt verbessern | |
können. Wir feiern auch, mit fünf Produkttipps aus unserer Redaktion: | |
## Sahnerebellion | |
Es war die sahnige Rebellion der Kleinstadt-Mittelstandskinder: die | |
Benjamin-Blümchen-Törööö-Torte von Coppenrath & Wiese. Was gab es denn zu | |
Hause aus der Tiefkühltruhe? Nichts. Na ja, gut, nicht nichts, sondern | |
Rosenkohl. Schlimmer als nichts. Oder Mutti hatte noch die Bolognese von | |
letzter Woche eingefroren. Aber – das liegt in der Natur der Sache des | |
Resteeinfrierens – Bolognese hatten wir doch erst letzte Woche. | |
Dagegen mussten wir aufbegehren. Wir wollten auch all die Verlockungen aus | |
den großen Tiefkühltruhen. Und was war künstlicher, kommerzieller und | |
ungesünder als die Benjamin-Blümchen-Törööö-Torte? Was Schlimmeres konnte | |
es nicht geben. | |
Die haben wir uns also gegenseitig zum Geburtstag geschenkt, meine Kumpels | |
und ich. Da waren wir 16 Jahre alt. In meiner süßen Erinnerung schmeckte | |
sie sogar ganz gut. Allerdings kann ich nichts über den Boden sagen. Drei | |
bis vier Stunden sollte man die Torte auftauen lassen! Soviel Zeit hatten | |
wir nicht. Also haben wir den sahnigen Oberteil verdrückt und den Boden | |
weggeschmissen. Das auch noch! Wir waren endgültig als skrupellose | |
Draufgänger in der Liga der ganz Bösen angekommen. | |
Bis wir um 0.30 Uhr nach Hause kamen und brav Bescheid gesagt haben, dass | |
wir wieder da seien. Gute Nacht! Ja, schlaft gut! Jürn Kruse | |
## Vitaminbombe | |
Wenn ich mir was Gutes tun will, hüpfe ich auf dem Heimweg zu Edeka rein | |
und kaufe lauter gesunde Dinge: aromatische Cocktailtomaten, Paprika | |
(Folsäure! Vitamin A! Antioxidantien!), Peperoni, rote Zwiebeln, würzige | |
Kräuter und zwei Sorten Käse (Kalzium!). All das kostet nicht mal drei Euro | |
und ist mit einem Handgriff ins Kühlregal erledigt. | |
Die Vitaminbombe heißt Pizza vegetale von Dr. Oetker und rettet mir den | |
Arsch, wenn der Kühlschrank leer ist, die Küche dreckig und die Zeit knapp. | |
Die Kassiererin – man kennt sich – kommentiert die Ware auf dem Band | |
(Pizza, Wein, fünf Tulpen in Plastikfolie) mit: „Na, wat hamse heute Abend | |
noch Schönes vor?“ Die anderen Kunden gucken pikiert oder anerkennend, je | |
nachdem, ob sie zur Ökoschickeria gehören oder zu den Obdachlosen, die sich | |
ein Bier holen. | |
Frage ich dann nach einer Plastiktüte, ist das Bild von der bedauernswerten | |
jungen Frau perfekt. Die hat ihr Leben nicht im Griff, sagen die Öko-Augen. | |
Die hat niemanden, den sie bekochen kann. Die trinkt! Ich hüpfe beschwingt | |
nach Hause. Franziska Seyboldt | |
## Klimabilanz | |
Ja, auch bei uns gab es früher Tiefkühlkost. Zum Beispiel Fischstäbchen von | |
Iglo. Als Kind fand ich sie lecker. Heute sehe ich das anders: Erstens ist | |
in Platten gepresster Fisch kulinarisch nicht gerade verlockend. Und | |
überhaupt: Wenn Lebensmittel frisch sind, schmecken sie doch viel besser. | |
Zweitens ist die Umweltbilanz von Tiefkühlkost zweifelhaft. Das Kühlen | |
kostet einfach sehr viel Energie. Um die zu erzeugen, werden Treibhausgase | |
ausgestoßen. Zwar hat die Branchenorganisation Deutsches Tiefkühlinstitut | |
ausrechnen lassen, „dass Tiefkühlprodukte nicht klimaschädlicher als ihre | |
Vergleichsprodukte sind“. Aber so allgemein glaube ich das nicht. | |
Klimabilanzen sind derartig komplex, dass sie sich leicht manipulieren | |
lassen. Der gesunde Menschenverstand sagt doch: Wenn eine Möhre nicht oder | |
kaum gekühlt wird, wird dafür weniger Strom verbraucht, als wenn sie von | |
einem Tiefkühler ständig bei minus 18 Grad gehalten werden muss. | |
Mittlerweile esse ich fast nie industrielle Tiefkühlkost. Ein Biohof | |
liefert mir das ganze Jahr über Frisches vom eigenen Acker, aus der Region | |
oder aus Deutschland. Im Winter ist die Auswahl geringer und viel ist | |
gelagert. Dann gibt es eben auch mal Südfrüchte. Ist doch alles besser als | |
Tiefkühlpizza, oder? Jost Maurin | |
## Fortschritt | |
Tiefkühlkost galt bei uns als fortschrittlich und modern. Meine Mutter war | |
berufstätig, zumindest halbtags. Nebenbei war der Haushalt zu erledigen, | |
dazu die Buchhaltung meines Vaters. Da blieb zum Kochen wenig Zeit. Das | |
Schlemmer-Filet à la Bordelaise von Iglo kam gerade recht: Karton | |
aufreißen, Plastikfolie entfernen, rein in den Ofen, 40 Minuten warten, | |
gekochte Kartoffeln und Salat dazu, fertig. | |
Auch wenn mein Vater – der selbsternannte Feinschmecker – stets über die | |
mangelnden Kochkünste meiner Mutter moserte: Mir hat das Fischfilet mit der | |
Glutamat-salzigen Kruste geschmeckt. Es befand sich in guter Gesellschaft | |
auf meinem Speiseplan: Pommes frites von McCain, die Fünf-Minuten-Terrine | |
von Maggi (am liebsten „Nudeln in Rahmsoße“), Tütensuppen von Knorr, you | |
name it … Vermutlich habe ich als Kind so viele Geschmacksverstärker und | |
gehärtete Fette zu mir genommen, dass es bestimmt für zwei Leben reicht. | |
Es war eine Desensibilisierungskur, wenn man so will. Mit 15 Jahren wurde | |
ich zum ersten Mal Vegetarierin. Von da an begann ich wie besessen die | |
Inhaltsangaben auf den Verpackungen zu studieren. Mittlerweile esse ich | |
meist vegan und habe seit mindestens zehn Jahren keine tiefgekühlte | |
Fertignahrung mehr gekauft. Aber heute ist Tiefkühlkost auch nicht mehr | |
schick. Marlene Halser | |
## Studentenglück | |
Fleisch, Erbsen, Möhren, Spargel, Champignons sind drin: Hühnerfrikassee | |
ist also gesund, ausgewogen und dank des Zusatzstoffes Hefeextrakt auch | |
noch lecker – jedenfalls nach Studentenmaßstäben. Außerdem ist die Variante | |
von Gut & Günstig von Edeka auch preiswert. Großes Studentenplus. | |
Die Zubereitung kann sogar „Kochen“ genannt werden. Man muss Reis mit | |
Wasser vermengen und in einem Topf kochen. Danach die Soße aus der | |
Verpackung kippen und aufwärmen. Anschließend den Reis auf einen Teller | |
geben und mit dem grün-orange-grauen Rest vermischen. | |
Das Ergebnis ist ganz okay lecker und es sieht genauso aus wie auf der | |
Verpackung. Das Studentennachwuchskochherz ist entzückt. | |
TV-Koch Christian Rach empfiehlt, das fertige Hühnerfrikassee mit | |
Schnittlauch zu servieren. Schnittlauch gibt es übrigens auch tiefgefroren. | |
An die Kochkünste von Mama kommt man mit diesem Essen natürlich nicht | |
heran. Aber wenn sie anruft und fragt: „Kind, hast du heute etwas | |
Ordentliches gegessen?“, kann man ruhigen Gewissens sagen: „Ja, Mama, habe | |
ich. Reis, Gemüse und Fleisch, garniert mit Schnittlauch.“ Judyta Smykowski | |
6 Mar 2014 | |
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