# taz.de -- Studie zu Vielfalt im öffentlichen Dienst: Verwaltung wenig divers | |
> Es mangelt nicht an Konzepten, aber an der Umsetzung. Eine Studie der | |
> Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass Vielfalt in der Verwaltung noch | |
> nicht gelebt wird. | |
Bild: Wenig Veränderung: Stempel in einer deutschen Behörde | |
BERLIN taz | Als Ali Deniz seinen ersten Tag im neuen Job hatte, war er | |
überrascht. „Es gibt hier außer mir keine einzige Person mit | |
Migrationshintergrund“, sagt er. Deniz ist Anfang 30 und Beamter in einer | |
Berliner Landesbehörde. In welcher, soll an dieser Stelle nicht genannt | |
werden, ebenso wenig wie sein echter Name, um berufliche Nachteile zu | |
vermeiden. | |
Zu Anfang habe er „komische Sprüche“ bekommen. „Ich wusste nicht, dass | |
Türken Schwein essen“ in der Mittagspause. Oder: „Du bist gar nicht wie | |
andere Türken.“ Inzwischen sei er gut angekommen, trotzdem bemerke er im | |
Alltag immer wieder gewisse Vorurteile. „Dass ich hier allein bin, ist kein | |
Zufall“, glaubt Deniz. „Für Menschen mit Migrationshintergrund ist es immer | |
noch schwieriger, einen Job in so einer Behörde zu bekommen.“ | |
Ähnliches legt eine qualitative Studie mit dem Titel [1][„Ein Zeitfenster | |
für Vielfalt“] des Deutschen Zentrums für Integrations- und | |
Migrationsforschung (DeZim) im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) | |
nahe, die der taz vorab vorliegt. „Die Gesellschaft hat sich in den letzten | |
Jahrzehnten stark verändert. In den Behörden spiegelt sich das aber völlig | |
unzureichend wider“, sagt Susan Javad von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Für | |
die nicht repräsentative Studie haben die Forscher*innen 38 | |
Integrationsbeauftragten und Personalverantwortlichen auf Bundes-, Landes- | |
sowie auf kommunaler Ebene interviewt. | |
Es ist kein Zufall, dass diese Studie jetzt erscheint. Die Babyboomer*innen | |
gehen bald in Rente. Bis 2036 treten „51 Prozent der aktuell in den | |
öffentlichen Verwaltungen Beschäftigten“ in den Ruhestand ein, heißt es in | |
der Studie. Entsprechend öffne sich „ein Zeitfenster für Neueinstellungen, | |
bei dem migrationsbedingte Vielfalt explizit berücksichtigt werden könnte – | |
wenn der entsprechende politische Willen vorhanden ist“. | |
Menschen mit einem statistischen Migrationshintergrund machen ein Viertel | |
der Gesellschaft aus. Der öffentliche Dienst ist der größte Arbeitgeber in | |
Deutschland. Zahlen dazu, wie es um die Vielfalt steht, gibt es aber kaum. | |
Die Ebene der Bundesverwaltung hat das Bundesinstitut für | |
Bevölkerungsforschung 2016 erstmals untersucht und kam auf 15 Prozent | |
Beschäftigte mit Migrationshintergrund. 2020 soll wegen der „äußerst | |
begrenzten empirischen Datengrundlagen“ die Folgestudie zu „kultureller | |
Diversität und Chancengleichheit“ erscheinen. Die Organisation Citizens For | |
Europe hat 2018 die Berliner Landesbehörden untersucht und festgestellt, | |
dass unter den Führungskräften etwa 11 Prozent einen sogenannten | |
Migrationshintergrund haben – in der Berliner Bevölkerung haben diesen fast | |
ein Drittel. | |
## Problematische Begriffslage | |
Der Wille, daran etwas zu ändern, ist da. Es gibt auf Bundesebene den | |
Nationalen Aktionsplan Integration, in dem die „interkulturelle Öffnung des | |
öffentlichen Dienstes“ explizit genannt ist. Berlin, Nordrhein-Westfalen | |
und Baden-Württemberg haben eigene Partizipationsgesetze. In verschiedenen | |
Bundesländern werben Behörden wie etwa die Polizei ganz offensiv um | |
Auszubildende mit Migrationshintergrund. Viele Länder haben die „Charta der | |
Vielfalt“ unterzeichnet, alle haben Integrationskonzepte vorgelegt, heißt | |
es in der Studie. „Aber diese Konzepte sind Papiertiger“, sagt Anne-Kathrin | |
Will, eine der Studienautor*innen vom DeZim. „Nur ganz selten gibt es | |
irgendeine Art von Monitoring, und nirgends steht konkret: Dieses Ziel | |
wollen wir in dieser Zeit erreichen, und das sind die Konsequenzen, falls | |
es misslingt.“ | |
Auch fehle eine einheitliche Arbeitsdefinition, wen man eigentlich fördern | |
wolle. Mal müsse für einen Migrationshintergrund mindestens ein Elternteil | |
ohne deutsche Staatsbürgerschaft geboren sein, mal beide, teils würden laut | |
Studie „Migranten und Migrantinnen, Neuzugewanderte und Menschen mit | |
Migrationshintergrund“ gleichgesetzt. Der Begriff Migrationshintergrund sei | |
ohnehin problematisch, heißt es in der Studie. | |
„Der Begriff trifft zu oft nicht das, was gemeint ist“, sagt Lucienne | |
Wagner von Citizens For Europe, die die aktuelle Studie externe Expertin | |
begleitet hat. „Er erfasst manche Menschen, die keine rassistische | |
Diskriminierung erfahren, und manche, die es tun, rutschen durch.“ Das | |
zeigte auch die Berliner Untersuchung von 2018: 13 der 17 Befragten mit | |
Migrationshintergrund sagten, sie seien weiß und erlebten keinen Rassismus. | |
Es sei aber scheinbar der einzige Begriff, mit dem die Verwaltung aktuell | |
operieren könne, sagt Wagner. Auch Formulierungen wie „interkulturelle | |
Öffnung“ führten dazu, dass die Zielgruppe als „fremd“ oder „anders“ | |
wahrgenommen werde. „Es braucht eine grundlegende Diskussion über | |
strukturelle Diskriminierung.“ | |
Laut der Studie ist die häufigste Maßnahme eine Ermutigungsklausel in | |
Stellenausschreibungen; also etwa ein „Bewerbungen von Menschen mit | |
Migrationshintergrund sind erwünscht“. Für Menschen mit Schwerbehinderung | |
oder für die Gleichstellung von Frauen gibt es eigene Gesetze, die deren | |
bevorzugte Einstellung bei gleicher Qualifikation erlauben – bei Menschen | |
mit Migrationshintergrund nicht. Darauf verweisen mehrere befragte | |
Personalverantwortliche in der Studie. „Es wäre enorm hilfreich, wenn es | |
hier eine gesetzliche Klarstellung gäbe“, sagt Will vom DeZim. | |
## Flächendeckende Maßnahmen fehlen | |
Die öffentlichen Verwaltungen seien „unterschiedlich gut darauf | |
vorbereitet, die bevorstehenden Neueinstellungen für eine Erhöhung des | |
Anteils von Beschäftigten mit Migrationshintergrund zu nutzen“, heißt es in | |
der Studie. Wegen des bereits existierenden Personalmangels würde vor allem | |
auf kommunaler Ebene bereits gezielt um diese Gruppe geworben, auf Bundes- | |
und Landesebene sei dies „lediglich punktuell“ der Fall. Wichtig sei zudem, | |
dass dies nicht nur bei Positionen mit Migrations- oder Integrationsbezug | |
geschehe, sagt Susan Javad. Es fehlten außerdem flächendeckend Maßnahmen, | |
um auch den Aufstieg in höhere Positionen gezielt zu fördern. | |
„Viele Maßnahmen konzentrieren sich auf die Ausbildung oder Jobs, in denen | |
man Anweisungen ausführt, statt selbst Entscheidungen zu treffen und zu | |
gestalten“, sagt Javad. „Wir brauchen aber Vorbilder: Wenn Kinder sehen, | |
dass jemand wie sie Referentin im Bundesinnenministerium werden und | |
aufsteigen kann, dann kommen solche Laufbahnen auch für sie eher infrage. | |
Und das fördert dann auch das Gefühl von Zugehörigkeit zu dieser | |
Gesellschaft.“ | |
So sieht es auch Gonca Türkeli-Dehnert, Geschäftsführerin der | |
Deutschlandstiftung Integration. Sie ist selbst beurlaubte Beamtin. Bis sie | |
vor anderthalb Jahren zur Stiftung kam, war sie im Arbeitsstab der | |
Integrationsbeauftragten der Bundesregierung tätig. „Soweit ich weiß, war | |
ich die erste türkeistämmige Beamtin im Bundeskanzleramt“, sagt sie. „Der | |
öffentliche Dienst muss ein Spiegelbild der Gesellschaft sein, und momentan | |
ist er es definitiv nicht.“ Vor allem in den sichtbaren Positionen, im | |
höheren und gehobenen Dienst, müsse Diversität viel aktiver vorangetrieben. | |
„Die Frage ist doch: Darf ich die Zukunft dieses Landes als Staatsdiener | |
mitgestalten? Stehen mir die gleichen Türen und Aufstiegschancen offen wie | |
Michael?“ | |
Die Deutschlandstiftung Integration plant ab dem kommenden Jahr ein | |
Projekt, um die Attraktivität und interkulturelle Öffnung des öffentlichen | |
Dienstes zu erhöhen. Junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sollen in | |
Ministerien hospitieren. „Wir wollen Feedback einholen und schauen, wie wir | |
zu mehr Chancengleichheit kommen können“, sagt Türkeli-Dehnert. | |
Viel von dem, was die aktuelle Studie beschreibt, kann Ali Deniz aus seinem | |
Arbeitsalltag bestätigen. Er selbst hatte Vorbilder: Sein Vater und seine | |
Tante arbeiten im öffentlichen Dienst, ebenso seine Schwester und seine | |
Cousine. Er wusste, was ihn dort erwartet. „Ich kenne aber viele, die haben | |
gar keine Vorstellung vom öffentlichen Dienst, weil das in ihrem Umfeld | |
nicht vorkommt“, sagt er. Auch er berichtet von Ermunterungsklauseln in | |
Ausschreibungen – und tut diese als Formalität ab. „Seit ich angefangen | |
habe, wurde hier eine zweistellige Anzahl an Stellen besetzt – keine mit | |
jemandem mit Migrationshintergrund“, sagt er. „Es gibt hier Leute, da frage | |
ich mich schon, wie die die Stelle bekommen haben. Aber als Migrant musst | |
du heute die Anforderungen immer noch zu 150 Prozent erfüllen, um genommen | |
zu werden.“ | |
14 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.fes.de/studie-zeitfenster-fuer-vielfalt | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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