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# taz.de -- Anonyme Bewerbungsverfahren: Augen zu und weiter
> Bewerbungsverfahren sollten anonym sein, sagen Bund und Gewerkschaften.
> Aber die Benachteiligung beginnt schon lange vorher.
Bild: Nicht wissen, wer die Bewerbung geschrieben hat: Ist das automatisch fair?
Eigentlich könnte es ja egal sein wer man ist und wie man heißt, wenn man
sich für einen Job bewirbt. [1][Ist es aber nicht in diesem Land]. Was
würde also passieren, wenn Bewerbungen künftig anonym wären? Wenn sie also
ohne die Angabe von Name, Alter, Geschlecht, Geburtsort und Foto gesichtet
würden? Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) und der Deutsche
Gewerkschaftsbund (DGB) behaupten, „Benachteiligungen beim ersten Schritt
im Bewerbungsverfahren“ könnten auf diese Weise minimiert werden. Denn
Bewerbungsverfahren seien in Deutschland noch immer nicht überall
diskriminierungsfrei.
[2][Bereits 2010] hatte die ADS [3][ein Pilotprojekt gestartet], an dem
sich damals fünf Unternehmen beteiligten. Diese verzichteten im ersten
Bewerbungsschritt auf bestimmte Angaben, um das Augenmerk auf die
Qualifikationen von Bewerber*innen zu lenken. Die Rückmeldungen, hieß es
damals, seien positiv gewesen.
In den USA, Kanada oder Belgien sind anonymisierte Bewerbungen schon längst
die Norm. Und deutsche Unternehmen, die etwas auf sich halten, machen das
ebenfalls schon so. Im Jahr 2006 wurde die [4][Initiative „Charta der
Vielfalt“] ins Leben gerufen und ist mittlerweile von über 2.000 Firmen
unterschrieben worden, darunter Bosch, Siemens, Bayer oder Adidas. Wirklich
bewirkt hat das alles aber nichts. Ist Anonymisierung also das Einzige, was
hilft?
Es gibt seit Jahrzehnten unzählige Berichte von Menschen, die gar nicht
erst zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden – weil Arbeitgeber*innen
Name und Aussehen von Bewerber*innen nicht passen. „Bitte keine Araber“
hatte ein Berliner Architekturbüro [5][kürzlich an einen Bewerber
ägyptischer Herkunft verschickt]. Versehentlich, wie sie behaupten.
## Man muss migrantische Biografien sehen: als Vorteil
Diese Benachteiligung nach Namen beschränkt sich nicht nur auf den
Arbeitsmarkt. Beispiel Wohnungssuche: Auch da zeigt sich ein ähnliches
Muster. Bewerber*innen mit nicht kartoffeldeutschen Namen werden erst gar
nicht zur Besichtigung eingeladen. [6][Die taz berichtete mehrfach] über
solche Fälle. Wenn die Namen und Bilder also nicht bekannt wären: Problem
gelöst. Oder etwa nicht?
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet in Deutschland
Diskriminierung auf allen Ebenen des Arbeitslebens. Es gibt nur ein Problem
an der Sache: Diskriminierung und struktureller Rassismus beginnen nicht
erst bei der Suche nach einem Arbeitsplatz. Sie beginnen früher.
Zum Beispiel wenn es darum geht, auf welche weiterführende Schule Kinder
geschickt werden sollen. Wenn sie keine Empfehlung fürs Gymnasium
ausgesprochen bekommen – obwohl sie qualifiziert sind. „Du schaffst das
nicht“ – diesen Satz haben viele Menschen mit Migrationsbiografien in ihrer
Schullaufbahn schon zu hören bekommen. Er ist eine Abfuhr, eine nicht
erhaltene Eintrittskarte in die Welt der Privilegierten.
Es ist doch so: In Deutschland wünscht man sich aufstrebende, gut
integrierte Migrant*innenkinder, die dieselben Chancen haben sollen wie
ihre deutsch-deutschen Mitschüler*innen. Gut, aber dafür muss man ihre
Biografien als Bereicherung für diese Gesellschaft ansehen und nicht als
Defizit.
## Die Illusion der formalen Gleichbehandlung
Wer Bewerbungsverfahren anonymisiert, versucht eine verpasste Chance an der
Endstation auszugleichen. Beim Lebenslauf gewinnen meistens die weißen
Akademikerkinder, und das wird sich nicht umkehren lassen, indem man Name
und Foto aus Bewerbungen entfernt. Die Biografien der Menschen bleiben
unverändert, privilegiert sind sie immer noch nicht.
Der Ansatz der Antidiskriminierungsstelle mag in diesem oder jenem
Unternehmen sinnvoll sein. Aber er verhindert, dass migrantische Biografien
gesehen werden – als ein Vorteil. Und er birgt die Gefahr einer Illusion.
Der Illusion von formaler Gleichbehandlung. Eine Maßnahme, hinter der sich
Arbeitgeber*innen verstecken können, denn es ist ja alles ganz anonym. Wenn
am Ende dann doch nur weiße-deutsche Männer einen Job bekommen haben, na
ja. Und an den rassistischen Strukturen hat dann niemand gerüttelt.
28 Jan 2020
## LINKS
[1] /Studie-zu-Vielfalt-im-oeffentlichen-Dienst/!5637882
[2] https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ThemenUndForschung/Projekte/ab…
[3] /Anonymisierte-Bewerbungen/!5118495
[4] https://www.charta-der-vielfalt.de/ueber-uns/ueber-den-verein-charta-der-vi…
[5] /Diskriminierung/!5654276
[6] /Diskriminierung-bei-der-Wohnungssuche/!5655911
## AUTOREN
Erica Zingher
## TAGS
Arbeitsplätze
Bewerbung
Alltagsrassismus
Bildung
Schwerpunkt Rassismus
Diversität
Donald Trump
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