# taz.de -- Streik der Frauenhäuser: Viel Gewalt und wenige Plätze | |
> In Frauenhäusern fehlen Betten für Frauen in Not. Mitarbeiterinnen | |
> protestieren deshalb am Dienstag vor dem Brandenburger Tor. | |
Bild: Platz zum Spielen und zur Ruhe kommen: Aufenthaltsraum des Hestia-Frauenh… | |
BERLIN taz | „Wir haben viel zu wenig Frauenhausplätze, und wir haben sie | |
schlecht finanziert“, sagt Britta Schlichting von der zentralen | |
[1][Informationsstelle der Autonomen Frauenhäuser (ZIF)] der taz. In ein | |
Frauenhaus können Frauen, die vor Gewalt in der Partnerschaft oder im | |
familiären Umfeld fliehen, unterkommen. | |
Feminist*innen und Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern weisen jedoch | |
seit Jahren darauf hin, dass es in Deutschland an ausreichendem Schutz | |
mangelt. Die autonomen Frauenhäuser protestieren am 7. März vor dem | |
Brandenburger Tor, um für mehr Plätze zu kämpfen. Allein in Berlin fehlen | |
hunderte Plätze. | |
Fünf Jahre ist es her, dass Deutschland ein umfassendes Instrument des | |
Europarats zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt verabschiedete. | |
Die [2][Istanbul-Konvention,] die alle Unterzeichnerstaaten zu umfassenden | |
Maßnahmen zur Gewaltprävention verpflichtet, trat in Deutschland am 1. | |
Februar 2018 in Kraft. Dazu gehört die Schaffung von Frauenhausplätzen. In | |
denen müssen Frauen und ihre Kinder schnell und unbürokratisch unterkommen | |
können. Bei Einführung des Vertrags mangelte es laut Europarat an 15.000 | |
Plätzen deutschlandweit. | |
Die unabhängige Expert*innen-Kommission Grevio rügte Deutschland | |
auch 2022 noch für erhebliche Defizite: Vor allem fehle es an einer | |
einheitlichen und angemessenen Finanzierung der Frauenhäuser und an | |
Angeboten für Frauen mit Fluchterfahrung oder Abhängigkeitserkrankungen. | |
## Von Prostitution bis Stalking | |
[3][Nach der Coronapandemie befürchten viele Hilfseinrichtungen zusätzlich | |
einen höheren Bedarf an Schutzplätzen]. „Wir stellten in den letzten Jahren | |
einen Anstieg, immer nach den Wellen, fest“, sagt eine Mitarbeiterin des | |
[4][Hestia-Frauenhauses] in Berlin. Sie muss zum Schutz der Frauen anonym | |
bleiben. Die taz hat sich mit ihr beim Hestia-Verein getroffen, der neben | |
dem Frauenhaus auch Beratung und Schutzwohnungen anbietet. | |
Berlin verzeichnete im Jahr 2021 15.630 Opfer häuslicher Gewalt. Das ist | |
ein leichter Rückgang zu 2020, trotzdem bleibt die häusliche Gewalt auf | |
einem hohen Niveau. Der Großteil der Opfer sind deutschlandweit Frauen, in | |
Berlin waren es 2021 71 Prozent. Die Frauen, die den Schritt in ein | |
Frauenhaus wagen, brauchen dann auch einen besonderen Schutz. Das bedeutet: | |
ein geheimer Standort und ein hoher Zaun um das Gelände und eine Bannmeile, | |
in der sich keine Frau mit jemand anderem treffen darf. | |
„Zu uns kommen Frauen, die Gewalt in unterschiedlichen Formen erleben. Das | |
kann physische Gewalt sein, aber auch Zwangsprostitution, digitale Gewalt | |
und Stalking“, erklärt die Mitarbeiterin. Die Frau melde sich meistens | |
selbst beim Verein oder über eine der Hotlines bei häuslicher Gewalt. | |
„Mit rund 20 Frauen und 40 Kindern sind wir gerade voll belegt“, erzählt | |
sie. Das sei selten anders, meistens rücke nach Auszug einer Frau schon am | |
selben Tag die nächste nach und bringe ihre Kinder mit. Je nach Zustand der | |
Frau bleibe sie von ein paar Monaten bis zu einem Jahr. | |
Auf den verschiedenen Etagen des Hauses leben die Bewohnerinnen wie in | |
einer Wohngemeinschaft, sie erstellen gemeinsam einen Putzplan, es kann | |
zusammen gekocht werden. Beim Aufenthalt herrsche der | |
Selbstbestimmungsansatz. „Die Frau weiß am besten, was gut für sie ist, und | |
organisiert das Zusammenleben selbstständig“, meint die Mitarbeiterin. | |
Auch vor einer Rückkehr zum Gewalttäter könnten die Mitarbeiterinnen | |
deshalb nicht abhalten. „Wir können nur gut beraten und die Frau auf dem | |
Weg zu einem selbstständigen Leben unterstützen.“ Nach der erlebten Gewalt | |
sei das der nächste große Schritt: Behördengänge erledigen, manchmal | |
brauche die Frau bei Gerichtsverfahren oder Asylanträgen Unterstützung. | |
## 16 Bundesländer, 16 Mal unterschiedliche Finanzierung | |
Sieben Frauenhäuser mit 422 sogenannten Family Places gibt es in Berlin. | |
Das bedeutet rechnerisch Platz für eine Frau und 1,5 Kinder. Im April | |
dieses Jahres soll ein weiteres eröffnen, das schaffe noch einmal 40 | |
zusätzliche Plätze. Zu wenig, findet die Mitarbeiterin, immerhin schreibt | |
der Europarat pro 10.000 Einwohner*innen einen Familienplatz in | |
Frauenhäusern vor. Für Berlin wären das rund 920 Plätze. | |
Britta Schlichting von der ZIF kritisiert vor allem die Finanzierung: „In | |
16 Bundesländern gibt es 16 unterschiedliche Finanzierungsformen.“ Daraus | |
resultiere eine vom politischen Willen abhängige, personelle und räumlich | |
sehr unterschiedliche Ausstattung. | |
„Am schlechtesten ist die Tagessatzfinanzierung, wie es sie zum Beispiel in | |
Baden-Württemberg gibt.“ Das bedeute, dass der Aufenthalt nur finanziert | |
wird, wenn die Frau zum Beispiel Anspruch auf Bürgergeld habe. „Eine Frau | |
mit prekärem Aufenthaltstitel, die Rentnerin, die Studentin, die | |
berufstätige Frau, für die ist der Aufenthalt gar nicht finanziert.“ | |
In Berlin werden die Frauenhäuser durch die Senatsverwaltung für | |
Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung finanziert, einen | |
zusätzlichen Anteil finanzieren die Frauenhäuser selbst durch Spenden. Der | |
Berliner Senat kündigte für dieses Jahr einen Landesaktionsplan zur | |
„berlinweiten Stärkung des Schutzes und der Unterstützung von | |
gewaltbetroffenen Frauen und Mädchen sowie die vollständige Umsetzung der | |
Istanbul-Konvention“ an. Für ein umfassendes Monitoring will die | |
Senatsverwaltung 80.000 Euro ausgeben. | |
Im Hestia-Frauenhaus gibt es bestimmte Personalbedarfe, die von der | |
Senatsverwaltung aktuell aber nicht bewilligt werden. Das seien zum | |
Beispiel Reinigungskräfte oder Personal für die Kinderbetreuung. | |
„Wir leben von der pauschalen Finanzierung der Anträge, die für zwei Jahre | |
gestellt werden“, sagt die Mitarbeiterin. „Da sind spontane Ausgaben nicht | |
immer sichergestellt“, schildert die Mitarbeiterin. Ein regelmäßiger | |
Austausch mit der Senatsverwaltung sei ihnen wichtig, die Frauenhäuser in | |
Berlin werden den Landesaktionsplan auch deshalb gut beobachten. | |
## Personalmangel | |
Neben der schwierigen Finanzierung macht sich der Platzmangel im | |
Arbeitsalltag der Frauenhausmitarbeiterinnen bemerkbar: Frauen müssen | |
regelmäßig abgewiesen werden. Die Berliner [5][BIG-Hotline bei häuslicher | |
Gewalt] sammelt Zahlen dazu. | |
Vergangenes Jahr vermerkte die Hotline bei rund 8.000 Anrufen 3.409 | |
Vermittlungswünsche. 2.066 davon mussten abgewiesen werden. Es komme | |
allerdings vor, dass Frauen mehrmals anrufen oder sich bei | |
unterschiedlichen Stellen melden. Das sei bei der anonymen Datenerfassung | |
nicht nachvollziehbar, erklärt Doris Felbinger von der Hotline. | |
Neben dem Platzmangel gebe es andere Gründe für eine Abweisung, erklärt die | |
Mitarbeiterin. Ältere Söhne seien ein Problem, das Hestia-Frauenhaus nimmt | |
nur Jungen bis 13 Jahre auf. Viele Häuser seien zudem nicht barrierefrei, | |
Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen können nicht aufgenommen werden. | |
Besondere Hürden hätten Frauen mit Mitgrationsgeschichte, weil sie auf den | |
Ämtern Rassismus und Diskriminierung erfahren oder zum Beispiel durch | |
Asylverfahren nicht so einfach in eine andere Stadt gehen können. In | |
ländlichen Regionen ist das Angebot für Frauenhausplätze meistens | |
schlechter und die Frauen kommen in die Städte. | |
## Ein großer Schritt | |
[6][Auf die Missstände weisen Feminist*innen und die Mitarbeiterinnen | |
der Frauenhäuser seit Jahren hin.] Jetzt sei eine gute Zeit, um ihren | |
Forderungen Nachdruck zu verleihen, meint Britta Schlichting. „Wir haben es | |
geschafft, dass der Ausbau von Frauenhausplätzen in den Koalitionsvertrag | |
aufgenommen wird.“ | |
Die Regierung habe eine bundeseinheitliche Regelung bei der Finanzierung | |
versprochen. Das sei ein großer Schritt. Demgegenüber stünden aber andere | |
Baustellen: „Der Begriff Femizid als letzte Eskalation der Gewalt ist noch | |
nicht anerkannt. Auch darauf wollen wir am Streiktag aufmerksam machen“, | |
sagt Schlichting. | |
6 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://autonome-frauenhaeuser-zif.de/ | |
[2] https://rm.coe.int/1680462535 | |
[3] /Gewalt-gegen-Frauen-in-der-Pandemie/!5730408 | |
[4] https://www.hestia-ev.de/index.php/frauenhaus.html | |
[5] https://www.big-hotline.de/ | |
[6] /Bekaempfung-von-Gewalt-gegen-Frauen/!5886457 | |
## AUTOREN | |
Ann-Kathrin Leclère | |
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