| # taz.de -- Steinmeier zu Regierungsbildung: Neuwahl eher ungern | |
| > Die Auflösung des Bundestags führt nur über den Bundespräsidenten. | |
| > Frank-Walter Steinmeier hat aber gute Gründe, zu zögern. | |
| Bild: Der Bundespräsident darf keine Genossen kennen | |
| Berlin taz | Frank-Walter Steinmeier hält eine Standpauke. Seine Stimme | |
| kommt ihm dabei gelegen. Sie hat ja diesen sonoren Klang, der bisher immer | |
| so schön beruhigend wirkte, wenn er davon erzählte, wie die Welt aus den | |
| Fugen gerät. Heute dröhnt sie aber einmal ganz anders, nicht wohlig, nicht | |
| tröstend, sondern streng. | |
| „Die Parteien haben sich in der Wahl am 24. September um die Verantwortung | |
| für Deutschland beworben – eine Verantwortung, die man auch nach der | |
| Vorstellung des Grundgesetzes nicht einfach an die Wählerinnen und Wähler | |
| zurückgeben kann“, mahnt der Bundespräsident während seines dreiminütigen | |
| Pressestatements im Großen Saal von Schloss Bellevue. | |
| Alle Parteien sollten noch mal nachdenken. Er erwarte von allen | |
| Gesprächsbereitschaft. Und er werde sie alle zu Einzelterminen in seinen | |
| Amtssitz laden. All das sagt Steinmeier, eine halbe Stunde nachdem die | |
| SPD-Spitze im Willy-Brandt-Haus ihren Beschluss bekräftigt hat, lieber in | |
| Neuwahlen zu gehen als doch in eine Sondierung mit der Union. | |
| Der Weg dorthin, das ist spätestens jetzt klar, wird nicht einfach. All | |
| jene, die Neuwahlen wollen, müssen erst mal an Steinmeier vorbeikommen. | |
| Denn durch den Sondierungsausstieg der FDP wurde er über Sonntagnacht vom | |
| formal ersten Mann im Staat zum tatsächlich wichtigsten. Statt wie geplant | |
| am Montagnachmittag im Maschinenbau-Institut der Technischen Hochschule | |
| Aachen Hände zu schütteln, verkündet er jetzt in Berlin, wo es langgeht. | |
| Das Grundgesetz sieht für ihn in dieser Situation verschiedene | |
| Möglichkeiten vor. Zunächst darf er in Ruhe seine Gespräche mit den | |
| Parteien führen und abwarten, ob sich nicht doch noch jemand bewegt. Er | |
| kann sich dafür Tage, Wochen oder sogar Monate Zeit lassen. Wenn sich | |
| danach immer noch keine Koalition abzeichnet, kann er die Wahl des | |
| Bundeskanzlers durch den Bundestag einleiten. Wenn diese nach mehreren | |
| Wochen ohne absolute Mehrheit für einen Kandidaten endet, darf er endgültig | |
| entscheiden: entweder doch Neuwahlen oder, wenn er das noch immer nicht | |
| will, dann halt eine Minderheitsregierung. | |
| Steinmeier ist damit im Moment der mächtigste Bundespräsident, den das Land | |
| je hatte. „Wir stehen jetzt vor einer Situation, die es in der Geschichte | |
| der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben hat“, sagt er selbst. | |
| Seht her, signalisiert er mit diesem Satz, ich trage historische | |
| Verantwortung, und dessen bin ich mir bewusst. | |
| ## Unangenehme Gespräche | |
| Welche Schlüsse er aus dieser Verantwortung wohl zieht? Als Student hat | |
| sich Steinmeier intensiv mit dem Ende der Weimarer Republik beschäftigt, | |
| der Blick in die Geschichte prägte ihn politisch. Er weiß also, dass die | |
| junge Demokratie unter anderem an der Instabilität der eigenen | |
| Institutionen scheiterte – und dass die Autoren des Grundgesetzes deshalb | |
| bewusst hohe Hürden für die Auflösung des Bundestags aufstellten. Selbst | |
| wenn der Bundespräsident am Ende Neuwahlen zustimmen sollte, muss er also | |
| zuvor zögern und mahnen – ansonsten könnte die Ausnahmeregelung schnell zur | |
| Normalität werden. | |
| Für FDP und SPD, die er jetzt ins Schloss Bellevue zitiert, ist das | |
| unangenehm. Gerade auf die Sozialdemokraten kommt Steinmeier zurück wie ein | |
| Bumerang: Der damalige Parteichef Sigmar Gabriel hatte ihn im vorigen | |
| Herbst im Alleingang als Präsidentschaftskandidaten ins Gespräch gebracht, | |
| und nur weil die Unionsparteien partout keine Alternative fanden, mussten | |
| sie schließlich zustimmen – übrigens auch das an einem Montag im November. | |
| Damals feierten die Sozialdemokraten die Personalie als Coup. Endlich | |
| einmal hatten sie die scheinbar allmächtige Merkel ausgetrickst. Jetzt aber | |
| scheint es fast so, als habe sich der Präsident mit der Kanzlerin | |
| verbündet. Während der Amtszeit ruht seine Parteimitgliedschaft nun mal. | |
| Für einen Präsidenten gibt es formal keine Genossen. | |
| 20 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
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