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# taz.de -- Ökonomie und Jamaika: Erstmals allgemeine Verunsicherung
> Das Scheitern von Jamaika steckt die Wirtschaft weg. Doch unklare Zeiten
> sind für die stabilitätsverwöhnten Exportweltmeister neu.
Bild: Die politische Stabilität des Landes galt neben der Infrastruktur als ei…
Das Aus für Jamaika wirft viele Fragen auf. Muss sich die Wirtschaft jetzt
auf turbulente Zeiten einstellen? Gerät der Reformkalender der EU
durcheinander? Und was soll jetzt aus dem Euro werden?
Für Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser und Volkswirtschaftler an der Uni
Würzburg, wohnt [1][im Scheitern von Jamaika] eher Gutes inne: „Bei den
Herausforderungen, vor denen wir stehen, wären faule Kompromisse gefährlich
gewesen. Das größte Risiko wäre eine politische Paralyse gewesen“, sagt er
im Gespräch mit der taz. Ausgerechnet die FDP stellt mit ihrem Abbruch der
Sondierungen die deutsche Wirtschaft vor eine völlig unbekannte Situation.
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik scheiterte eine
Regierungsbildung nach der Bundestagswahl. Bisher galt die politische
Stabilität in Deutschland neben der guten Infrastruktur als einer der
Garanten des ökonomischen Erfolgs. Da nehmen Konzerne auch gern höhere
Löhne in Kauf, so die allgemeine Erzählung – auch wenn die Story längst
bröckelt, weil sich Deutschland im europäischen Vergleich zu einem
Billiglohnland entwickelt.
Dennoch, so sehen das viele Beobachter, die deutsche Wirtschaft verträgt
das politische Hin und Her vorerst ohne Probleme. Natürlich sei diese
Unsicherheit Gift, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, von
einem Schock könne man aber kaum sprechen, bei vier Wochen wackeliger
Sondierungen.
Dass der Dax nach dem Jamaika-Ende kurz hüstelt, interessiert in der
Realwirtschaft ernsthaft niemanden. Zumal die Kurse ohnehin maßgeblich von
der Europäische Zentralbank abhängig sind, die mit ihrer lockeren
Geldpolitik weiter macht. Der Dax zuckelt weiter um sein Allzeithoch.
Selbst wenn jetzt „Katerstimmung statt Jahresendrallye“ herrscht, wie es
ein Portfoliomanager ausdrückt – für Nicht-Aktionäre, selbst für
langfristig orientierte Anleger ist derartiges Börsengeruckel egal.
## Emmanuel lebt!
Das ifo-Institut in München sieht denn auch keine kurzfristigen
Auswirkungen des Scheiterns der Sondierungen auf die Konjunktur. Dafür
stimmen auch die sonstigen Rahmenbedingungen zu sehr: Der Weltwirtschaft
geht es trotz Brexit, Trump und Koreakrise relativ gut, für die deutschen
Exportfirmen wäre eine Wachstumsschwäche in China wahrscheinlich deutlich
gravierender als Neuwahlen in Deutschland.
Für Bofinger ist das Scheitern von Jamaika eine Chance auf eine aktivere
staatliche Industriepolitik und mehr öffentliche Investitionen in Bildung
und digitale Infrastruktur. „Jamaika hätte das Geld womöglich für unnötige
Steuersenkungen verbraten“, sagt er – und sieht gerade europapolitisch
Chancen. Schließlich stehe Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron für
weniger Steuerwettbewerb in Europa, einen Mindestpreis für den Ausstoß an
CO2 und eine europäische Industriepolitik. „Wenn die FDP an die Macht
kommt, bin ich tot“, soll Macron mit Blick auf seine ehrgeizigen
Reformpläne im Herbst gesagt haben.
Diese Gefahr scheint nun, nach dem Ausstieg der FDP, gebannt. Glücklich ist
Macron dennoch nicht. „Es ist nicht in unserem Interesse, dass sich das
verkrampft“, sagte er am Montag in Paris über die Entwicklungen in
Deutschland. Ohne Merkel, das weiß auch Macron, kann er in der EU nichts
bewegen.
Hier offenbart sich das für die Wirtschaft langfristig größere Problem:
Dass es Europa nicht schafft, wegen der Regierungskrise in Deutschland die
verabredeten EU-Reformen einzuleiten und den Euro dauerhaft zu
stabilisieren.
„Deutschland mag zwar heute wirtschaftlich sehr gut dastehen, aber die
Herausforderungen sind enorm: Die neue Bundesregierung muss endlich auf
seine europäischen Partner zugehen und Verantwortung für europäische
Reformen übernehmen“, sagte Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts
für Wirtschaftsforschung, der taz.
Die EU-Kommission setzt zwar auf Stabilität: „Es gibt im deutschen
Grundgesetz wegen der Geschichte des Landes eine Basis für Stabilität und
Kontinuität“, sagte ein Kommissionssprecher.
Doch der Schock über das nicht erwartete Scheitern von „Jamaika“ sitzt
tief. Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) hat sich ebenso für
„Jamaika“ ausgesprochen wie Martin Selmayr, die rechte Hand von
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Gleich nach der Bundestagswahl hatte Selmayr sogar einen Tweet abgesetzt,
in dem er die Jamaika-Flagge zeigte – eingerahmt von zwei Europafahnen. Das
Berliner Bündnis ist gut für Europa, so die augenzwinkernde Botschaft. Nun
ist es geplatzt – und Selmayr auf Tauchstation. Statt sich selbst zu
äußern, retweetete Junckers mächtiger Kabinettschef einen Kommentar unter
dem Motto „Ruhe bewahren“. Das dürfte auch die Devise für die EU sein.
## Auch der Brexit könnte leiden
Bisher hatte sich die EU-Kommission fast ausschließlich auf Deutschland und
auf Kanzlerin Angela Merkel verlassen. Zuletzt waren Juncker & Co. der
CDU-Chefin noch bei den neuen Klimaschutz-Vorgaben für PKW entgegen
gekommen – sie wurden deutlich abgeschwächt. Nun könnte Juncker seine
mächtigste Verbündete abhanden kommen. Deshalb ist man in Brüssel bemüht,
den Schaden zu begrenzen und „Business as usual“ zu machen.
Dabei könnte die EU-Agenda nun durcheinander geraten. Bereits beim
EU-Gipfel im Dezember steht die umstrittene Reform der Euro-Währungsunion
auf dem Programm. Sie wird warten müssen, denn Berlin ist nicht
handlungsfähig. Auch der Brexit – der britische EU-Austritt – könnte unter
der Krise in Berlin leiden. Denn ohne deutsche Zustimmung kann die EU den
Briten keine Zugeständnisse machen, die sie so dringend brauchen.
## Chance für Auslaufmodell
Die Unsicherheit für die Wirtschaft über den nationalen Kurs in Deutschland
überträgt sich also nahtlos auf die europäische Ebene. Wobei der deutsche
Sicherheitsfetisch – vier Jahre Koalitionstreue, komme was wolle –
vielleicht ein Auslaufmodell ist. Zumindest das Münchner ifo-Institut
tastet sich gedanklich schon mal an neue Zeiten ran. Möglicherweise gebe es
jetzt eben eine Minderheitrsregierung, sagt ifo-Präsident Clemens Fuest.
Das bringe Risiken, aber auch Chancen. „Die Chance besteht darin, dass die
Rolle des Parlaments gestärkt wird und über einzelne politische
Entscheidungen ausführlicher und offener diskutiert wird“, schreibt er.
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## LINKS
[1] /Sondierungen-gescheitert/!5465454
## AUTOREN
Eric Bonse
Ingo Arzt
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