| # taz.de -- Solidarität in der Corona-Pandemie: Italien nicht im Stich lassen | |
| > In Italien sterben die Menschen wie die Fliegen, und Deutschland eiert | |
| > bei europäischen Anleihen herum, dass Fremdschämen kein Ausdruck mehr | |
| > ist. | |
| Bild: Italien ist in großer Not, Aufrufe zu weniger Solidarität sind menschen… | |
| Man könnte es Timing nennen, wenn inmitten der größten Tragödie Italiens | |
| seit dem Zweiten Weltkrieg – die Welt hat die schockierenden Bilder von den | |
| endlosen Militärkolonnen beim Abtransport der Särge noch nicht vergessen, | |
| und es gibt in der Coronakrise kaum irgendwo mehr Opfer als in Italien, | |
| mehr als 18.279 Tote, darunter allein 100 Ärzte – wenn also in diesem | |
| Moment ein Journalist der Welt es für nötig hält, auf die Grenzen der | |
| Solidarität aufmerksam machen zu müssen. Einer, der noch nie mit Analysen | |
| zu Italien aufgefallen ist, der aber seinen [1][schwülstigen Appell mit dem | |
| Titel „Frau Merkel, bleiben Sie standhaft!“] rund um die Debatte der | |
| Coronabonds damit rechtfertigt, dass die Mafia in Italien ja landesweit | |
| eine feste Größe sei und nur auf einen neuen Geldregen aus Brüssel warte. | |
| So weit, so schlicht. | |
| In Italien brach daraufhin ein Sturm der Entrüstung los. Der Außenminister, | |
| der Präsident der parlamentarischen Antimafia-Kommission, der | |
| Parlamentspräsident: alle fassungslos. Dass die Mafia seit mehr als 40 | |
| Jahren [2][auch in Deutschland eine feste Größe ist], wo im Jahr | |
| durchschnittlich 100 Milliarden Euro gewaschen werden – diese Erkenntnis | |
| hat sich bei der Welt noch nicht durchgesetzt. | |
| Anders als in Italien ist die bloße Zugehörigkeit zur Mafia in Deutschland | |
| kein Straftatbestand. Anders als in Italien, wo es der Berichterstattung | |
| erlaubt ist, unter Nennung der Namen aus allen verfügbaren Quellen zu | |
| zitieren, werden Bücher über die Machenschaften der Mafia auf Geheiß | |
| deutscher Gerichte geschwärzt und Journalisten von „erfolgreichen | |
| italienischen Unternehmern“ erfolgreich verklagt – so dass die deutsche | |
| Öffentlichkeit wenig Chancen hat, sich ein Bild über die Geschäfte der | |
| Mafia in Deutschland zu machen. Auch nicht darüber, dass in den vergangenen | |
| zwanzig Jahren in Deutschland schmutziges Geld in Höhe der italienischen | |
| Staatsschulden in die deutsche Wirtschaft geflossen ist. Geld, an dem der | |
| deutsche Staat gut verdient hat. | |
| Denn anders als in Italien, Frankreich, Portugal und Spanien, wo die | |
| Bargeldzahlung begrenzt ist – in Italien auf 2.000 Euro, ab Januar 2022 | |
| sogar auf 1.000 Euro –, gibt es in Deutschland bis heute keine Höchstgrenze | |
| für Bargeldzahlungen. Das bedeutet, wie der italienische | |
| Antimafia-Staatsanwalt Vincenzo Macrì feststellt, nicht nur, dass | |
| Mafia-Ermittlungen damit praktisch unmöglich gemacht werden, weil es bei | |
| Bargeld keine Rückverfolgungsmöglichkeiten gibt, sondern auch, dass die | |
| Mafia dadurch in Deutschland inzwischen ganze Wirtschaftsbereiche ihr Eigen | |
| nennen kann. | |
| Das weiß auch die Financial Action Task Force, das wichtigste | |
| internationale Instrument zur Bekämpfung von Geldwäsche, die, wie die | |
| Süddeutsche Zeitung meldete, jetzt auf das Risiko aufmerksam gemacht hat, | |
| das entsteht, wenn bei der Verteilung des größten Rettungspakets der | |
| deutschen Geschichte im Kampf gegen die Corona-Wirtschaftskrise auf die | |
| sonst übliche Risikoprüfung verzichtet werden soll. Für Geldwäscher und | |
| Mafiosi eröffnet das in Deutschland grandiose Möglichkeiten für ihr | |
| bewährtes Geschäftsmodell. | |
| Hinzu kommt, dass die Bosse sich auch im modernen Geldverkehr besser | |
| auskennen als jeder andere. Laut Ermittlern handelten sie schon 2015 mit | |
| Bitcoins, als ein Bitcoin noch 500 Dollar kostete. Und wie Staatsanwalt | |
| Vincenzo Macrì deutlich macht, kursieren bereits 7,5 Milliarden | |
| „CoronaCoins“, eine Kryptovaluta, die auf die Epidemie des gleichnamigen | |
| Virus gesetzt hat. | |
| Wer die Mafia in Deutschland ignoriert und Italien beschuldigt, ist also | |
| ungefähr so schlau wie Trump und Johnson, für die das Coronavirus nichts | |
| anderes war als eine Art Grippe. Nein, gegen die Mafia ist kein Land auf | |
| der Welt immun, ein Impfstoff wurde bis heute nicht gefunden. | |
| Um so bigotter mutet es an, dass in der abstoßenden Debatte rund [3][um die | |
| Coronabonds ausgerechnet Deutschland und die Niederlande Front machen] – | |
| zwei Länder, die nicht nur nach Italien die höchste Präsenz an Mafiaclans | |
| aufweisen, sondern auch keine Höchstgrenzen bei Bargeldzahlungen haben, | |
| praktisch eine Einladung zur Geldwäsche. Dass ausgerechnet sie über die | |
| europäischen Finanzen wachen, mutet an wie ein Treppenwitz der Geschichte. | |
| Wobei die Niederlande die Rolle des Bad Cops übernommen haben: Ein Land, | |
| dessen Geschäftsmodell aus Steuerdumping besteht, hat die Stirn, sich als | |
| Frontman der Austerität zu stilisieren, mit einem Finanzminister, der eine | |
| Kontoüberprüfung der Südländer verlangt, um nachzuprüfen, ob sie auch | |
| rigoros genug gespart hätten. So was kriegen nur Calvinisten hin, ohne rot | |
| zu werden. | |
| In Italien [4][sterben die Menschen] wie die Fliegen und Deutschland eiert | |
| dermaßen herum, dass Fremdschämen kein Ausdruck mehr ist. Die Coronakrise | |
| ist die Bewährungsprobe – nicht nur für das deutsch-italienische | |
| Verhältnis, sondern für Europa. Natürlich will Italien nicht das, was auf | |
| Deutsch euphemistisch „Rettungsschirm“ genannt wird: Griechenland lässt | |
| grüßen. Dass die Griechenlandrettung nichts anderes als eine Bankenrettung | |
| war, wird heute wohl niemand mehr ernsthaft bestreiten wollen. Mitgefühl? | |
| Solidarität in Zeiten der Not? Niente. Alles keine Kategorien für die | |
| deutsche Politik. Wie soll man es nennen? Kaltschnäuzigkeit? Arroganz? | |
| Natürlich wird die Wut der Italiener von italienischen Rechtspopulisten wie | |
| Matteo Salvini oder Giorgia Meloni weiter angeheizt. Für Salvini, dessen | |
| Umfragewerte bereits sanken, ist die Haltung der EU und Deutschlands Gold | |
| wert: „Europa ist tot, gestorben zwischen Berlin und Brüssel“, twitterte er | |
| – worauf sich in den Socials, den Foren und Chats die antideutschen Gefühle | |
| schneller verbreiteten als das Coronavirus. | |
| Sicher, in Deutschland gibt es offene Briefe und Petitionen von Künstlern | |
| und Wissenschaftlern und Juristen, die die Bundesregierung auffordern, in | |
| der Corona-Krise für gemeinsame europäische Anleihen zu stimmen. Aber der | |
| Schaden ist da. Und er ist gewaltig. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder | |
| hat die deutsche Politik den Ernst der Lage nicht erkannt. Oder sie ist so | |
| zynisch, wie wir es uns nie hätten träumen lassen. | |
| 12 Apr 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article207146171/Debatte-um-Corona-B… | |
| [2] /Mafia-und-Clans/!5635529 | |
| [3] /500-Milliarden-Euro-fuer-Europa/!5675250 | |
| [4] /Corona-in-Norditalien/!5669311 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Reski | |
| ## TAGS | |
| Italien | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Staatsanleihen | |
| Coronabonds | |
| Mafia | |
| Italien | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| EU-Finanzpolitik | |
| EU-Finanzpolitik | |
| Europäische Union | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Italienische Gewerkschafterin zum 1. Mai: Schützt die Arbeiter! | |
| Die Gewerkschafterin Oriella Savoldi bereitet auch in der Coronakrise den | |
| 1. Mai vor. Die Regierung müsse Fabrikarbeiter ausreichend schützen. | |
| EU-Gipfel und Corona: Der Streit ist vertagt | |
| Das Tauziehen um ein Rettungsprogramm für die europäische Wirtschaft dauert | |
| an. Jetzt soll es Kommissionschefin von der Leyen richten. | |
| EU-Streit um Coronabonds: Kein Land geht pleite | |
| Die Forderung nach gemeinsamen europäischen Staatsanleihen lässt bei | |
| Deutschen die Alarmglocken schrillen. Warum Coronabonds notwendig sind. | |
| Streit über Coronabonds: Die SPD muss mehr riskieren | |
| Die SPD-Linke sollte konkret sagen, was Berlin Südeuropa anbieten muss. | |
| Allgemeine Forderungen reichen nicht. | |
| Tote Bootsflüchtlinge: Ermittlungen gegen Maltas Premier | |
| Hilfsorganisationen geben Maltas Regierungschef Robert Abela die | |
| Verantwortung für den Tod von fünf Migranten. Nun ermittelt die Polizei | |
| gegen den Premier. | |
| Organisierte Kriminalität in Italien: Corona und die Mafia | |
| Ausblick ins Unbekannte: Wo der Staat sich in der Coronakrise zurückzieht, | |
| lässt er Raum für die Mafias – ob in Italien oder in Ostdeutschland. | |
| Opec reagiert auf Coronakrise: Ölstaaten drosseln Förderung | |
| Die Corona-Pandemie hat den ohnehin schwächelnden Preis für Öl zum Absturz | |
| gebracht. Im Mai und Juni wollen die Opec-Mitglieder deutlich weniger | |
| fördern. | |
| 500 Milliarden Euro für Europa: Das Geld wird nicht reichen | |
| Wieso Italien und Spanien Hilfe brauchen und warum es dennoch keine | |
| Coronabonds gibt. Zehn Fragen und Antworten zur EU-Finanzpolitik. | |
| Coronapaket der EU-Finanzminister: „Eurobonds“ tauchen nicht auf | |
| Im Vergleich zu den deutschen Wirtschaftshilfen ist das Coronaprogramm der | |
| EU bescheiden. Aber: Es gibt eine Einigung – und auch einen Lichtblick. | |
| Wirtschaftskrise durch Corona: EU schnürt 500-Milliarden-Paket | |
| Es war langwierig und nervenaufreibend: Aber nun gibt es eine gemeinsame | |
| europäische Antwort auf die Corona-Wirtschaftskrise. |