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# taz.de -- Sexismus bei Computerspielern: Rache des Gamer-Stars
> Frauen zu diskriminieren ist in der Computerspielszene Alltag. Wer darauf
> hinweist, wird schnell zum Ziel von Hasskampagnen.
Bild: In der Gamingszene gibt es ein Problem mit misogyner Kultur
Berlin taz | Sobald sie sich einloggt, geht es los. Jedes Mal, wenn die
Studentin ihre sozialen Netzwerke öffnet, blöken ihr Beleidigungen und
Drohungen entgegen – nicht selten in Großbuchstaben. Für sie ist das längst
Alltag, sie kann nichts dagegen tun. „NeueSappho“ ist das Pseudonym der
Frau, um die es geht. Mit der taz spricht sie nur unter der Bedingung, dass
wir ihren Klarnamen nicht nennen – aus Furcht vor weiteren Anfeindungen.
Denn dass immer mehr Menschen im Netz sie kennen, ist der Kern ihres
Problems.
„Ekelhaftes Stück Dreck“ muss sie lesen, wenn sie online geht. Sie sei eine
„Nutte“, „Möchtegernfeministin“. Die Absender sind Computerspielfans,
genauer: Fans eines Computerspielers, den „Sappho“ kritisiert hat, und die
nun ihr Idol verteidigen – und die dabei keine Grenzen zu kennen scheinen.
So etwas wie Sappho kann im Grund allen passieren, die Kritik an Idolen aus
der Gamer-Community üben.
Der Computerspieler, über den sich „Sappho“ geäußert hat, heißt Erik Ra…
und hat als Spiele-Influencer „Gronkh“ über fünf Millionen Fans auf
YouTube, wo er Games ausprobiert und dabei über die fiktiven Welten in
diesen Spielen sinniert. „Sappho“, selbst Gamerin, störte sich an einigen
seiner grobhumorigen Einlagen: Beim Vorspielen der Abenteuersimulation „The
Forest“ deute „Gronkh“ mit seinem Avatar, also seiner Spielfigur, sexuelle
Handlungen an Gegnern an, wirft sie ihm vor.
Besonders bei besiegten (sprich: gemetzelten) weiblichen Zombies. Die
Geschichte beginnt, als „Sappho“ auf Twitter erklärt, warum sie derartige
„Vergewaltigungswitze“ verletzend findet. Diese verharmlosten Gewalttaten
könnten außerdem Missbrauchsopfer triggern, also an die Tat erinnern und
starke negative Gefühle hervorrufen. „Das ist nicht akzeptabel. Nicht für
mich und nicht für andere Opfer“, schreibt Sappho abschließend.
Gronkh reagiert, indem er seine Kritikerin in einem Kommentar als „Furie“
bezeichnet. Eine einzelne sexistische Beleidigung – das hätte es gewesen
sein können. Doch Gronkh folgen auf Twitter knapp 1,3 Millionen Fans, von
denen einige sich zur Ehrenrettung des YouTubers bestellt sehen. Über
sechshundert Nachrichten, über 2.000 Kommentare erhält Sappho in den
folgenden Wochen. Viele herabwürdigend, einige noch schlimmer, mehrere
wünschen ihr eine echte Vergewaltigung.
Weit über dreihundert Folgen gibt es, in denen Gronkh „The Forest“ spielt,
Hunderttausende schauen zu. Greift man sich nur stichprobenartig einige
Folgen heraus, kommt man zu folgendem Ergebnis: In mehreren der
halbstündigen Videos wird die Misshandlung untoter Frauen zumindest
angedeutet.
In der Folge „Achtung, Polizei! Wände hoch!“ spielt Gronkh auf so etwas wie
Fellatio mit einem Leichnam an, durch ruckartige Bewegungen des Cursors; in
der Folge „Smalltalk, Schlachten, Häuslebau“ steigt die Figur von Gronkhs
Mitspieler auf einen leblosen Körper und bewegt sich mehrfach auf und ab.
## Vergewaltigend durch die Stadt
Längst ist klar, dass es in der Gamingszene ein Problem mit
frauenverachtenden Gewaltfantasien, mit misogyner Kultur gibt. Erst im
letzten Herbst war der Spieler „Shirrako“ mit frauenverachtenden Aktionen
innerhalb der Pixelwelt des Westernspiels „Red Dead Redemption 2“
aufgefallen, zwischenzeitlich löschte YouTube sein Konto. Im Februar 2019
sorgte ein Teaser für das Spiel „Rape Day“ auf der Plattform Steam für
Empörung – das Spielkonzept sah vor, als Glatzkopf vergewaltigend durch die
Stadt zu ziehen.
Mittlerweile steht das Werk auf dem Index der Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Medien. „Rape Day“, das dürfte fast allen klar sein, ist
eine Geschmacklosigkeit. Bei vielen subtileren Sexismen ist es aber
notwendig, dass kritische Gamer*innen immer wieder darauf hinweisen. Was
aber, wenn sie das nicht mehr wagen, aus Angst vor nicht enden wollenden
Attacken einer Armee von Unbekannten, wie sie Sappho erlebt hat und noch
immer erlebt?
Das Prinzip heißt „Silencing“ – Ruhigstellen. Und das funktioniert. „G…
YouTuber*innen nutzen ihre Followerzahl öfter aus, um zu zeigen: Wenn du
mich kritisierst, schicke ich meine Armee“, beschreibt es Sappho gegenüber
der taz. Das muss keine Absicht sein. „Diese YouTuber*innen verstehen
nicht, dass ihre Fans es sehen, wenn sie beleidigend kommentieren, und sich
natürlich auf ihre Seite stellen.“ Sie nennt das, was diesen Stars im Netz
fehlt, „Reichweitenverantwortung“. Das Management von Erik Range alias
„Gronkh“ reagierte auf unsere Bitte um eine Stellungnahme nicht.
Der Internetsoziologe Stephan Humer beschäftigt sich mit solchen
[1][Strategien der Einschüchterung]. Humer sieht diejenigen in der Pflicht,
die im Besitz einflussreicher Accounts sind: „Wer eine sechs- oder
siebenstellige Followerzahl hat, muss sich der Verantwortung auch bewusst
werden.“ Wenn so ein Star bei einer offensichtlichen Kampagne der eigenen
Fans gegen Dritte nicht eingreife, sei das eine bewusste Entscheidung:
„Nichtstun kann nicht als Ausrede gelten“.
Um eine solche Kampagne auszulösen, reicht es oft aus, den oder die
Kritiker*in in einem Post zu erwähnen. Das heißt auch „DrüKo“, Abkürzung
für „Drüberkommentar“. So kann eine Person, die gerade im Netz noch ein
Niemand war, plötzlich ins Fadenkreuz von Millionen User*innen geraten.
## „Viele ätzende Nachrichten“
So passiert ist es „Lou“, die aus den gleichen Gründen wie Sappho unerkannt
bleiben möchte. Lou bemängelte auf Twitter [2][rechtes Gedankengut in der
Gamingszene]. Der Gamer Viktor Roth alias „iBlali“ erwähnte sie einem
solchen „DrüKo“. Roth, 27, macht seit zehn Jahren Youtube-Videos, 1,4
Millionen Menschen folgen ihm. „Ich bekam extrem viele ätzende
Nachrichten“, berichtet Lou. Ihr Postfach sei praktisch eingenommen worden
von Fans, die sich misogyn oder behindertenfeindlich äußerten. „Dadurch war
meine Möglichkeit, Twitter zu nutzen, sehr stark eingeschränkt.“
Roth, dessen Fans auf Lou losgegangen sind, bedauert das: „Mir tut es leid,
dass die betroffene Userin beleidigt wurde“, sagt er auf Nachfrage. Doch
auch er selbst sei mit Hunderten generalisierenden und aggressiven „DrüKos“
beleidigt worden, als „Sexist“ und „Antifeminist“ habe man ihn ins fals…
Licht gestellt. Dass die entsprechenden Accounts deutlich weniger
Reichweite haben als seiner, lässt er nicht gelten: „Jeder von uns ist
Influencer, ganz egal ob mit 1.000 oder einer Millionen Follower.“ Wer mit
negativen Reaktionen nicht klarkomme, könne sein Profil ja auf „privat“
schalten.
Dann jedoch gibt man die Chance auf, an Netzdebatten teilzunehmen und
wichtige Kritik so zu äußern, dass sie wahrgenommen wird. Zwar gibt es
Werkzeuge, die nur das Blockieren der Follower eines bestimmten Kontos
möglich machen sollen. Diese sind aber in ihren Möglichkeiten begrenzt. Das
Problem bleibt: Wer Stellvertreterhelden kritisiert, muss wie Sappho mit
der Wut loyaler Anhänger rechnen, und damit, dass die Flut an
Herabwürdigungen so schnell nicht mehr aufhört.
3 Apr 2019
## LINKS
[1] /Mobbing-im-Internet/!5561520
[2] /NS-Symbole-in-Videospielen/!5525850
## AUTOREN
Finn Holitzka
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