| # taz.de -- Videospielmesse E3 in Los Angeles: Hallelujah heißt hier Yeeeaaaaa… | |
| > Bei der E3 geht es um Games – und um die Konstruktion eines Konsumenten, | |
| > der alles abfeiert. Zum Glück ist da noch ein Hai mit Mission. | |
| Bild: Anstehen mit Borderlands-3-Maske: E3 2019 in L.A. | |
| Los Angeles taz | Ein rauer Schrei. „Yeeeeeeeaaaaaaah“ – so in etwa schal… | |
| es mehrere Male durch die volle Mehrzweckhalle. Kaum eine Äußerung auf der | |
| Bühne, sei sie auch noch so nichtig, wird nicht begleitet von diesem | |
| „Yeeeeeaaaaaaah“. Die Freude ist groß. Wahrscheinlich zu groß. | |
| Es ist wieder [1][E3], Electronic Entertainment Expo, in Los Angeles. Wie | |
| jedes Jahr im Juni inszeniert die Videospiel-Industrie hier auf eigenen | |
| Bühnen ihre neuen Spiele. Es ist die wichtigste Videospielmesse der Welt. | |
| Das gesamte Jahr über arbeiten die großen Publisher an der Dramaturgie | |
| ihrer Shows. Entscheiden, was gezeigt wird und was nicht. Und versuchen | |
| alles so geheim wie möglich zu halten. | |
| Die Fans gieren dagegen nach Leaks, vorzeitig und inoffiziell | |
| durchgesickerten Infos – die Firmen selbst fürchten sie. Sie möchten ihre | |
| Spiele nicht ohne Kontext dem Publikum vorstellen. Wollen selbst den Ort | |
| und die Staffage wählen, wo ihre Produkte angepriesen werden. Doch | |
| mindestens mit der gleichen Intensität , mit der sie hier ihre Spiele | |
| präsentieren, arbeiten sie daran, ihr intendiertes Publikum zu formen: die | |
| Gamer. | |
| Es stimmt: Videospiele und die dazugehörige Industrie sind in den letzten | |
| Jahren etwas diverser geworden. In den Spielen tauchen durchaus Charaktere | |
| auf, die nicht weiß, nicht heterosexuell und nicht männlich sind. | |
| ## Sogar Frauen! | |
| Und auch auf den Bühnen der E3 2019 zeigen die Publisher, dass ihnen das | |
| sich ausdifferenzierende Publikum bewusst ist. So kamen etwa auf der | |
| Pressekonferenz des Publishers Bethesda endlich auch Frauen zu Wort, sogar | |
| eine Frau, die sich selbst dem LGBTIQ-Spektrum zuschreibt, wird gezeigt, | |
| darf sprechen. Klingt nach nicht viel beziehungsweise wenig, war aber lange | |
| Zeit durchaus nicht selbstverständlich. | |
| Doch das laute, aggressive „Yeah“ gehört eben auch noch zu dieser Show. Es | |
| erschallt von einem Fan aus dem Publikum, immer wieder. Feiert das, was da | |
| auf der Bühne gezeigt wird: Spiele. Und die Menschen auf der Bühne | |
| quittieren es mit einem Grinsen: So wollen sie ihre Gamer, enthusiastisch, | |
| feiernd – Hauptsache, nicht zweifelnd. | |
| Seit Anbeginn der Gaming-Industrie herrscht der „Konsolenkrieg“. Er besteht | |
| aus Fraktionen, Firmen also, die ihre Kund*innen darauf einstimmen, ihr | |
| Produkt zu verehren, bitte bedingungslos. | |
| Und so gibt es Gamer, die Sonys „PlayStation 4“ stets verteidigen, | |
| Microsofts „Xbox One“ aber niemals anfassen würden. Die jedes Exklusivspiel | |
| der eigenen Firma bejubeln und es als Verrat verstehen, wenn es dann auf | |
| einer anderen Plattform erscheint. | |
| ## PC oder Konsole? | |
| Es ist auch eine Glaubensfrage, ob man auf PC oder Konsole spielt: eher auf | |
| dem Sofa vorm Fernseher oder auf dem Gaming-Stuhl am Schreibtisch? Lieber | |
| fertige Gaming-Maschinen oder selbst zusammengestellte Hardware? „PC | |
| Masterrace“ – ja, dieser Begriff wird, teilweise nicht mal ironisch, | |
| benutzt. Fans haben loyal zu sein, ihre Firmen sind ihre | |
| Glaubensgemeinschaft. | |
| Die E3 ist eben eine Messe – nicht nur in dem Sinne, dass hier Produkte | |
| präsentiert werden. Sie ist es auch, da hier eine Gemeinschaft beschworen | |
| wird. Die Gemeinschaft der Gamer. Hört man genau hin, was auf den Bühnen | |
| unter den großen Scheinwerfern und den gigantischen Bildschirmen gesagt | |
| wird, fällt schnell auf, dass nicht zu Menschen gesprochen wird, die gerne | |
| Videospiele spielen. Es geht nicht nur um die Inhalte der Spiele selbst. Es | |
| geht um ein Flair, eine Atmosphäre, ein gewisses Surplus, das mit den | |
| Videospielen kommt: Es geht um Menschen, deren Leben sich wesentlich um | |
| Videospiele dreht. | |
| Auf Videospiel-Messen wie der E3 werden nicht nur Produkte für Kunden | |
| präsentiert – die Kunden werden diskursiv gleich mitgeformt. Ihnen werden | |
| nicht nur Spiele geboten, sondern direkt auch Rollen, Haltungen. Wie sahen | |
| diese auf der E3 2019 aus? | |
| Es sind, wie immer, viele Waffen. Es sind auch graue, dystopische Welten, | |
| Männer mit tiefen Stimmen, die bedeutende Dinge über Weltuntergang und | |
| -rettung sagen. Über das Ende von Zivilisationen und den Ausbruch von | |
| Gewalt. Eine Gewalt freilich, die eine Einladung an die Spieler*innen ist. | |
| ## Das Übel der Welt | |
| In „Watch Dogs: Legion“ etwa, das auf der Pressekonferenz von Ubisoft | |
| vorgestellt wurde, übernehmen die Gamer direkt die Rolle von ganz vielen | |
| Menschen. In einem London nach dem Brexit finden wir uns in einem | |
| gewalttätigen Polizeistaat wieder. Die Spieler*innen können nun die | |
| Kontrolle von beliebigen Passanten dieses digitalen Londons übernehmen. Sei | |
| es ein Hacker-Profi oder eine 70-jährige Großmutter. Gemein haben sie alle, | |
| dass sie irgendwann die Waffe ziehen. Der Gamer, der dieses Geschehen bald | |
| steuert, wird hier als aktive, aggressive Instanz konstruiert. Er erkennt | |
| das Übel dieser Welt und kämpft dagegen an. Er nimmt den Ruf des Publishers | |
| an: Kampf! Das ist bei „Halo: Infinite“ ebenso wie bei „Deathloop“ oder | |
| „Gears 5“. Die Liste ließe sich fortsetzen. | |
| An Spielen mit Kampfschrei mangelt es dieser E3, wie auch keiner davor, | |
| also nicht. Es ist noch immer das geläufigste Thema: Gewalt, Katastrophe, | |
| Aufstand. Das machen Videospiele auch ziemlich gut, ziemlich unterhaltsam. | |
| Doch scheint inzwischen der Autopilot zu steuern. In jedem zweiten Game der | |
| E3 fliegen Drohnen über den Bildschirm. Programmierte Maschinen, loyal, | |
| gehorsam. | |
| Vielleicht ist das auch ein wenig das Problem der Videospiele momentan. Die | |
| Industrie hat sich auf Messen wie dieser einen Typus Konsumenten geformt – | |
| und meint nun genau zu wissen, was dieser Gamer für den Rest seines Lebens | |
| spielen möchte. Ein Ausbruch scheint da kaum möglich. | |
| Und wer auf etwas Stilleres steht? Im Laufe der E3 wurden auch solche | |
| Spiele präsentiert: „Spiritfarer“ etwa, in dem die Spieler*innen auf einem | |
| Schiff dabei helfen, die Seelen von Verstorbenen sicher ins Jenseits zu | |
| bringen. Doch während das Schiff schwamm, ging das Spiel in dem Getöse | |
| dieser Messe eher: unter. | |
| ## Maneater | |
| Ein neuer Schrei ertönt. Wieder rau, wieder frenetisch. Diesmal unterlegt | |
| er die Enthüllung der Special Edition des Spiels „Final Fantasy 7 Remake“. | |
| Eine Plastikfigur wird enthalten sein, der Preis wahrscheinlich | |
| astronomisch. Angekündigt wurde das Spiel 2015, erscheinen soll es 2020. | |
| Eine lange Zeit, die auf diesen Moment zielte: eine Special Edition, | |
| Konsum. Und: Yeeeaaaaaah. | |
| Emotionen gibt es auf der E3 viele. Sie gehören zur Dramaturgie der Shows, | |
| sind Teil des Gamer-Gefühls. Doch meistens, so scheint es, brechen die | |
| Emotionen nicht wegen der Inhalte der Spiele aus. Nicht wegen dem, was sie | |
| erzählen wollen: Gesellschaftliches, Politisches, Emotionales. Die größten | |
| Jubelschreie erfolgen dann, wenn diese Spiele als Produkte gezeigt werden. | |
| Als käufliches Ding, mit dem der Gamer zeigen kann, dass er Teil von etwas | |
| ist. Von einer Firma, einer Konsole – etwas fast schon Metaphysisches, | |
| Sakrales. Eine Religion eben. | |
| Jedes Jahr veranstaltet der Indie-Publisher Devolver Digital auf der E3 | |
| eine eigene kleine Show, in der diese gesamte pseudoreligiöse | |
| Videospiel-Industrie persifliert wird. Sie dekonstruieren das | |
| Marketing-Sprech der großen Firmen. Lassen noch mehr Blut fließen als alle | |
| anderen, zeigen noch mehr Möglichkeiten, sinnlos Geld auszugeben. | |
| Und zeigen dabei oft wirklich interessante Spiele. Etwa „Maneater“, in dem | |
| die Spieler*innen einen Hai steuern, der sich dafür an den Menschen rächt, | |
| als Kind aus dem Bauch seiner Mutter geschnitten worden zu sein. Übrig | |
| bleiben nach dieser Dekonstruktion dann keine Gamer, sondern Menschen, die | |
| sich für Spiele interessieren. Für ein Medium, das vor allem eines bieten | |
| kann: Erfahrungen. Yeah. | |
| 13 Jun 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://live.e3expo.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Matthias Kreienbrink | |
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