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# taz.de -- Mobbing im Internet: Wir wissen, wo du wohnst
> Cyber-Mobbing ist nicht nur zwischenmenschlich eine Schweinerei. Manch
> harmloser Streich kann dramatische Folgen haben.
Bild: Wenn Cybermobbing nicht im Internet bleibt: Hassdemo gegen einen Youtuber…
Schauspieler Ashton Kutcher ist gerade beim Dreh seiner Serie „Two and a
Half Men“, als die Polizei im Oktober 2012 seine Villa in Hollywood stürmt.
Ein falscher Notruf hatte behauptet, mehrere Personen mit Gewehren und
Sprengstoff befänden sich dort und hätten bereits mehrere Opfer ermordet.
Die Sicherheitskräfte rücken zu Dutzenden an – finden aber nur Handwerker
bei der Arbeit. Eine Woche später trifft es Popstar Justin Bieber im nahen
Calabasas, wieder ein falscher Notruf, wieder kein Notfall.
„Swatting“ heißt diese Art „Streich“, bei denen es darum geht, möglic…
schwer bewaffnete Polizei- oder Anti-Terror-Einheiten bei Ahnungslosen
vorbeizuschicken. Sängerin Miley Cyrus war auch schon Opfer, ebenso der
Rapper Lil Wayne. In Verbindung mit den Fällen um Kutcher und Bieber nimmt
die Polizei schließlich ein halbes Jahr später einen Tatverdächtigen fest.
Es ist ein 12-Jähriger aus Südkalifornien, [1][der gesteht, die Notrufe
getätigt zu haben].
„Swatting“ ist eine Form des Cyber-Mobbings, die zuletzt immer häufiger
vorkommt. Erst vergangene Woche traf es einen Facebook-Manager in Palo
Alto. Swatting kann folgen, wenn die Privatadressen von Prominenten im
Internet auftauchen, so [2][wie bei der Veröffentlichung] von privaten
Daten durch einen 20-jährigen Schüler in Deutschland, die im Moment – nicht
ganz begrifflich präzise – unter #Datenleck oder #Datenhack diskutiert
wird. Richtiger wäre der Begriff „Doxxing“, so heißt diese Form des
Cyber-Mobbings.
„Doxxing“ und „Swatting“ sind mehr als kindlicher Spaß. 2017 wird der
28-Jährige Amerikaner Andrew Finch von einem Sondereinsatzkommando an
seiner Haustür in Wichita, Kansas, erschossen. Ein Mann namens Tyler
Barriss hatte aus dem 2.000 Kilometer entfernten Los Angeles die Polizei
alarmiert. Per Internetanruf aus einer öffentlichen Bücherei beschreibt
Barriss einen angeblichen Mord und behauptete, jemand wolle ein Haus in
Brand setzen – Hintergrund ist offenbar ein Streit mit jemandem im Netz.
## Behörden sind technisch überfordert
Eine Spezialeinheit der Polizei rückt aus, allerdings zu einer falschen
Adresse, und erschießt den völlig unbeteiligten Andrew Finch, als der vor
seine Tür tritt. Gegen Tyler Barriss soll Ende Januar ein Urteil gesprochen
werden, die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung. Der Fall führte dazu,
dass eine Reihe von US-Bundesstaaten Gesetze gegen diese Form des
Cyber-Mobbings verabschiedeten.
Meist ist es jedoch schwierig, die Angreifer zur Rechenschaft zu ziehen –
zum Teil, weil diese die technischen Möglichkeiten des Internets nutzen, um
ihre Identität zu verschleiern. Zum Teil, weil die Strafverfolgungsbehörden
von solchen Attacken schlicht technisch überfordert sind. Oder aber, weil
Politiker den Ernst der Lage verkennen. Ein Beispiel dafür ist Claudia
Blum, die Bürgermeisterin von Homberg/Ohm in Hessen. Homberg ist die
Gemeinde, wo der deutsche Schüler wohnt, der im Dezember die persönlichen
Politiker- und Prominentendaten verbreitet hat. Wobei die SPD-Frau sich
mittlerweile gegen die Art und Weise wehrt, wie sie in einigen Medien
wiedergegeben worden ist.
Blum wurde unter anderem bei Spiegel Online und in Medien der
Madsack-Gruppe [3][mit den Worten] zitiert: „Wir müssen uns nicht schämen.
Es geht ja nicht um Mord und Totschlag.“ Sie habe die Tat nicht
relativieren wollen, sagt die Politikerin inzwischen, auf keinen Fall sei
sie „stolz“ darauf. Doch was ist mit der Vorstellung, „Doxxing“ sei am …
nicht so wild, weil es eben nicht um Mord und Totschlag geht?
Klar, es ist nicht per se tödlich, Adressen im Netz zu veröffentlichen.
Aber Doxxing kann dazu führen, wenn andere die veröffentlichten Adressdaten
nutzen, um zu „swatten“. Etliche andere Swatting-Opfer in den USA wurden
mit vorgehaltener Waffe, zum Teil vor den Augen von Familienmitgliedern,
auf den Boden geworfen, mit Handschellen gefesselt, abgeführt – manche
sogar vor laufender Webcam, wie eine Reihe von Online-Gamern, bei denen die
Wohnung gestürmt wurde, während sie ihre Game-Partien streamten.
## Jahrelanges Cyber-Mobbing
Bei YouTube finden sich diverse Szenen dieser Art, zusammengestellt zu so
etwas wie „Greatest Hits“-Kompilationen. In Deutschland gibt es bisher
einen sehr prominenten Fall. Opfer ist der 29-jährige Rainer Winkler, ein
Heavy-Metal-Fan aus Mittelfranken, der bei den Streaming-Diensten YouTube
und Twitch unter dem Fantasienamen Drachenlord auftrat.
Winkler wurde zur Zielscheibe einer Internet-Subkultur, der es Vergnügen
bereitet, [4][Menschen online zu „trollen“], also zu demütigen und zu
belästigen. Winkler machte bei einem Wutausbruch vor laufender
Internet-Kamera den Fehler, seine Peiniger zu einer direkten Konfrontation
einzuladen. Dabei nannte er seine Adresse.
Seit vier Jahren ist er nun Opfer von nicht enden wollendem Mobbing.
Internet-Plagegeister schickten die Feuerwehr zu seinem Haus, bestellten
Pizzas in seinem Namen oder tauchten direkt auf, um Böller oder Klopapier
auf sein Haus zu werfen. Die Justiz in der bayrischen Provinz ist
überfordert: Wie findet man namenlose, anonyme Mitglieder eines
Online-Mobs, die sich hinter Twitter-Accounts verbergen?
Ein besonders widerlicher Netz-Troll*, der unter den Pseudonymen „Dorian
der Übermensch“ in den sozialen Medien aktiv ist, orchestrierte eine
exzeptionell abstoßende Attacke auf Winkler, den „Drachenlord“. Eine Frau
näherte sich im Auftrag des Trolls Winkler online an.
Als dieser ihr schließlich vor laufender Webcam einen Heiratsantrag machte,
wurde er von der Frau samt einem geifernden Mob, der sich mit Sekt
zuprostete, als „der fetteste, dümmste Idiot, den ich in meinem ganzen
Leben gesehen habe“, erniedrigt. Die Webcam-Aufnahme des Verstoßenen, der
mit den Tränen ringt, gehört zum Erbarmungswürdigsten, was das Internet in
den letzten Jahren hervorgebracht hat.
## „Wir wissen, wo du wohnst“
Die Veröffentlichung der privaten Informationen von politischen Gegnern war
auch schon Kampfmittel der Linken. In Berlin wurde 2014 die Privatadresse
des damaligen Innensenators Frank Henkel im Netz veröffentlicht;
Demonstrationen vor seiner „Dienstvilla“ nach der Räumung des
Flüchtlingslagers am Oranienplatz folgten. Der Kreuzberger
Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann wurde im selben Jahr der Hausflur
beschmiert, nachdem „linke Aktivisten“ ihre Adresse bei Facebook
veröffentlicht hatten.
Die Drohung „Wir wissen, wo du wohnst“ gehört allerdings auch zum
Standardeinschüchterungsvokabular von Rechtsextremen; oft mit der
Aufforderung, bei der geleakten Adresse „mal vorbeizuschauen“. In dem
Berliner Stadtteil Neukölln sind die Folgen bekannt: Seit Jahren ermittelt
die Polizei erfolglos gegen die geografisch gut orientierten Gewalttäter,
die unter anderem [5][durch Brandanschläge gegen die Buchhandlung
Leporello] in Britz oder [6][den Linken-Bezirkspolitiker Ferat Kocak]
Schrecken verbreiten – bloß weil deren Privatadressen irgendwann mal in
irgendwelchen Netzen aufgetaucht sind.
Durch die globale Vernetzung kann das Schikanieren und Bloßstellen von
Leuten, deren Nase oder politische Orientierung einem nicht passt,
potenziell zum internationalen Freizeitsport werden. In den Nullerjahren
hat die Hackerorganisation Anonymous unter anderem die vermeintlichen
Adressen von amerikanischen Ku-Klux-Klan-Mitgliedern veröffentlicht.
Die Methode, die man damals möglicherweise noch für eine gerechtfertigte
Vorgehensweise gegen Rassisten halten konnte, wurde wenige Jahre später von
Macho-Computergamern gegen die Feministinnen Zoë Quinn, Brianna Wu und
[7][Anita Sarkeesian] eingesetzt – die Vorfälle wurden unter dem Stichwort
„Gamergate“ bekannt.
„Doxxing“ ist also nicht nur zwischenmenschlich eine Schweinerei. Wer immer
sich solcher Methoden bedient, will letztlich eine Debatte beenden. In der
Regel sind es Männer, meist aus der rechten Ecke, die dies tun. Sie
schaffen so letztlich ein Milieu der Einschüchterung, in dem der Preis für
individuelle Selbstäußerung oder Engagement so hoch sein kann, dass jeder
es sich gut überlegt, ob er seinen Standpunkt künftig überhaupt noch
öffentlich vertreten oder aktiv werden möchte.
*In einer früheren Version des Artikels war hier fälschlicherweise von
einem weiteren Netztroll die Rede. Den Fehler haben wir korrigiert.
20 Jan 2019
## LINKS
[1] https://edition.cnn.com/2013/03/11/showbiz/kutcher-swatting-conviction/inde…
[2] /Kommentar-Datenschutz/!5559812
[3] http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Hackerangriff-Das-sa…
[4] /Mobbing-gegen-YouTuber/!5531281
[5] /Brandanschlag-auf-Buchhaendler-in-Berlin/!5481673
[6] /Anschlaege-in-Neukoelln/!5485972
[7] /Anita-Sarkeesian-ueber-Hetzkampagnen/!5458965
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
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