# taz.de -- Mobbing gegen YouTuber: Menschen, die auf Menschen starren | |
> Der „Drachenlord“ ist einer der meistgehassten YouTuber Deutschlands. | |
> Seine Gegner lauern ihm sogar vor seinem Haus auf. Ein Besuch. | |
Bild: „Drachenlord“ Rainer Winkler 2014, als er in einem Youtube-Video aufg… | |
ALTSCHAUERBERG taz | „Den Drachen das Fürchten lehren“ wollen sie: 800 | |
Menschen, zumeist junge Männer, belagern Mitte August ein einziges Haus. | |
Eine ganze Polizeieinheit muss von einem laufenden DFB-Pokalspiel abgezogen | |
werden, um der Meute Einhalt zu gebieten. Krawalltourismus neuer Art. | |
„Du bist der fetteste, dümmste Idiot, den ich je in meinem ganzen Leben | |
gesehen hab“, antwortet die vermummte junge Frau, als Rainer Winkler ihr im | |
Livestream einen Heiratsantrag macht. Über Wochen hat sie ihn umworben, den | |
YouTuber, der sich „Drachenlord“ nennt. Nun prustet sie los, zwei | |
langhaarige Männer treten ins Bild, lachen. Winkler steht das Entsetzen ins | |
Gesicht geschrieben, er weint. | |
## Fünf Jahre Mobbing | |
Seit fünf Jahren läuft die Mobbing-Kampagne gegen ihn. „Drachengame“ nenn… | |
sie die Mobber. Aus vereinzelten Beleidigungen – „fette Sau“, „geh ins … | |
– wurde mit der Zeit eine ganze Szene. Hunderte Foren, Blogs, Lieder, sogar | |
eine eigene Sprache kreisen nur um Winkler: „Lustlord“, „Lügenlord“, | |
„Rainer Wingel“ sind seine Spitznamen. Winkler ist ein leichtes Ziel: | |
übergewichtig, arbeitslos, ikonisch fränkelnd, erzählte er viel, oft zu | |
viel – über Metal, Computerspiele, die Welt und sein Leben, über Sex mit | |
Tieren und seine Penisgröße. Frauenfeindliche Äußerungen fielen, auch eine | |
antisemitische. Auf Hasskommentare ging er ausführlich ein, schimpfte | |
zurück. Und gab schließlich seine private Adresse preis: „Traut euch, kommt | |
zu mir und legt euch mit mir an! Ich prügel’ die Scheiße aus euch raus!“ | |
Sie trauen sich. Werfen Eier, Klopapier und Feuerwerkskörper; versuchen, | |
auf das Grundstück im 40-Einwohner-Nest zu gelangen. Und filmen das alles. | |
Nachher brüsten sie sich damit im Netz. Die „Drachenschanze“, also das Haus | |
von Winkler, gleicht einer Pilgerstätte. Der mittlerweile verurteilte | |
Alexander S. rief sogar die Feuerwehr während eines | |
„Drachenlord“-Livestreams, obwohl es gar nicht brannte. | |
Am Ortseingang kleben noch Sticker vom „Schanzenfest“, dem | |
800-Personen-Auflauf, vor zwei Wochen. „Traut euch, kommt zu mir“: die | |
Worte aus Winklers Video. Ein Pepe-Meme-Frosch haucht „Antifa go home“. Auf | |
welcher Seite des politischen Spektrums viele der Besucher stehen, ist | |
deutlich – auch wenn sie sich immer wieder mit den hehren Zielen ihres | |
Unternehmens schmücken: Winkler sei sexistisch, rassistisch, gefährlich. | |
Man müsse die Welt vor ihm schützen. | |
Es sind Leute, für die es „schwarzen Humor“ beweist, den Holocaust zu | |
verharmlosen. Denen das Schwache ein Graus ist. Und die sich von ihren | |
Opfern oft nur in einem unterscheiden: nicht das Opfer zu sein. Alexander | |
S. war selbst arbeitslos, bevor er ins Gefängnis musste. Die heutige Jugend | |
sei unpolitisch, behaupten Meinungsführer immer. Aber was, wenn sie sehr | |
wohl politisch ist – nur anders als gedacht? Altschauerberg: Chemnitz in | |
klein. | |
## Wie an einer Unfallstelle | |
Wer als Journalist in den Ort fährt, gerät in ein Dilemma: Durch meine | |
bloße Anwesenheit reihe ich mich ein in all die Hater, die ihn belagern. | |
Wie weit soll ich gehen? Bei den Anwohnern klingeln? Wie nah an die Zäune | |
herantreten? Die Nachbarn stehen im Garten, sind entnervt, wollen nicht | |
reden. Auch ein weiterer Anwohner, der gerade mit dem Auto ankommt, will in | |
Ruhe gelassen werden und lässt seinen bellenden Hund das verdeutlichen. Ich | |
fühle mich wie an einer Unfallstelle. | |
Vor Winklers ramponiertem Haus machen sich gerade zwei blonde junge Frauen | |
an der Pforte zu schaffen. Das Tor ist verrammelt, ein beschädigter | |
Sichtschutz ist gerade nicht hoch genug, um den Blick zu versperren. | |
„Rainer! Rainer!“, ruft die eine, giggelt und klettert darüber. „Wollt i… | |
auch zum Drachenlord?“, frage ich und werde ignoriert. Der anderen ist das | |
Ganze peinlich und sie flüchtet in ihr Auto. Zehn Minuten später sitzen | |
beide auf der Terrasse. „Ich bin auch Journalist“, ruft die eine kichernd | |
über den Zaun und fragt: „Was willst du hier?“ Auch ihr Auto steht nun auf | |
der anderen Seite des Tores. Es scheint, als habe Winkler sie | |
hereingelassen. Sind sie Freundinnen von ihm? Oder wollen sie ihn nur | |
verarschen und er fällt auf sie rein? Und wurde ich jetzt auch gefilmt? | |
Schon kommt er herausgestürmt und brüllt mich an: „Ich prügel’ dich hier | |
runter, wenn du weiter auf mein Grundstück schaust!“ | |
„Jeder Unfall belichtet die Welt“, schreibt der Kulturtheoretiker Paul | |
Virilio. An ihm werde die Gewalt der Geschwindigkeit erst sichtbar, die ihn | |
verursacht hat. In Altschauerberg tritt die Gewalt all des Mobbings ans | |
Licht, das im Internet so verstreut und harmlos wirken kann. Die | |
Allmachtsfantasien, der sonst im stillen Kämmerlein erlebte Rausch der | |
enthemmten Horden hinterlässt unübersehbare Spuren. | |
## „Wahre Idioten sind die, die stundenlang herfahren“ | |
„Einfach nur krank“, findet Wirt Aldo Pometti, was die „Drachenlord“-Ge… | |
treiben. Ihm gehört das Restaurant „Roter Stern“ im Markt Emskirchen, zwei | |
Kilometer weiter. Seit Winkler erwähnt hat, dass er manchmal dort Pizza | |
isst, wird Pometti mit Scherzanrufen terrorisiert, zwanzig, vierzig Mal am | |
Tag: „Ja, einmal hundert Pizzen für Herrn Winkler, bitte.“ Einige riefen | |
sogar mitten in der Nacht an. „Die gehen jetzt alle direkt an meinen | |
Anwalt“, sagt Pometti. „Wir haben schon vier davon erwischt. Das ist | |
Geschäftsschädigung!“ Andere verteilen schlechte Bewertungen seines | |
Restaurants. | |
Andererseits profitiert Pometti auch von dem Hype. „Ich habe nichts gegen | |
diese Leute, solange sie hier herkommen, essen, trinken und brav bezahlen. | |
Letzte Woche war die Bude voll!“ Sollte Rainer Winkler aufhören, damit er | |
seinen Hass-Fans nicht immer neuen Stoff liefert? „Wenn ich er wäre, würde | |
ich jetzt extra weitermachen! Die wahren Idioten sind die Leute, die hier | |
stundenlang herfahren nur wegen Rainer Winkler aus dem Internet.“ Er sei | |
schon fünf Mal mit seinen Kumpels in Altschauerberg gewesen, berichtet auch | |
einer der Kellner, etwa 20 Jahre alt, als sonst niemand im Raum ist. „Aber | |
der hat uns immer sofort weggejagt.“ Die Videos vom „Drachenlord“ seien ja | |
schon „gschmadig“. | |
Der Bürgermeister wolle sich dazu nicht äußern. Seine Sekretärin verweist | |
auf das Landratsamt in Neustadt an der Aisch. „Wir kämpfen mit ungleichen | |
Waffen“, klagt dort Sachgebietsleiter Rainer Kahler. „Wir haben nur legale | |
Mittel zur Verfügung.“ Schon mit den Veranstaltern der Demonstration | |
Kontakt aufzunehmen, sei unmöglich gewesen. „Das verschwindet alles in der | |
Anonymität.“ Im Vorfeld wurde daher ein Versammlungsverbot für das Dorf | |
ausgesprochen. Den Aufmarsch verhindert hat das nicht. | |
„Da sind Staat und Gesellschaft insgesamt gefordert“, sagt Kahler. Man | |
müsse über höhere Strafen nachdenken, über mehr Möglichkeiten für die | |
Polizei, zu ermitteln. „Aber ich bin kein IT-Experte.“ Wie will die | |
Verwaltung Altschauerberg schützen? Man prüfe „weitere Maßnahmen“ – et… | |
ein Betretungsverbot für Teile des Ortes. Auch an Winkler selbst sei das | |
Amt herangetreten, „um gemeinsam eine Lösung zu finden“. | |
Wie die aussehen könnte? Das sei noch nicht mit Gemeinde und Polizei | |
abgestimmt. „Außerdem hört der Feind mit.“ Der Feind: die Hater. Ob die | |
Polizei überhaupt genug Personal hat, um all das durchzusetzen? Da müsse | |
man die fragen. | |
## „Es reicht ein Verrückter“ | |
Der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken will am Telefon | |
nichts dazu sagen. Es sei alles noch „in der Schwebe“. Auf der Wache in | |
Neustadt öffnet ein Beamter, der auch nichts sagen will, dann aber doch | |
etwas sagt. Er sei selbst bei dem Einsatz dabei gewesen. „Aber das war | |
verhältnismäßig ruhig. Das sind ja eigentlich brave Leute. Die machen das | |
dann auch, wenn man ihnen was sagt. Anders als jetzt im linken Spektrum.“ | |
Er glaubt, dass der Mob beim nächsten Mal noch größer wird: „Alle, die da | |
jetzt nicht dabei waren, werden dann unbedingt auch kommen wollen.“ Die | |
Community streue verschiedene Termine, um die Polizei zu verwirren. Ob die | |
Gewalt noch schlimmere Formen annehmen wird? „Es reicht ja ein Verrückter, | |
der da einen Molotowcocktail reinschmeißt.“ | |
Die Politik wirkt überfordert. Etwa 300 Platzverweise wurden bei der Demo | |
ausgesprochen, einige „Hater“ festgenommen. Doch wegen Straftaten, die „im | |
oder mittels Internet“ begangen wurden, sei dort bislang noch keiner | |
belangt worden, schreibt Anita Traud von der Staatsanwaltschaft | |
Nürnberg-Fürth auf Anfrage. | |
Der „Drachenlord“ selbst hat zwar zeitweise seinen YouTube-Kanal gesperrt, | |
machte aber weiter täglich Livestreams – auf Younow. Jetzt ist [1][auch der | |
Kanal wieder freigeschaltet]. Seine Gegner verfolgen weiterhin jede seiner | |
Bewegungen. Zu Tausenden, rund um die Uhr. Winkler kann nicht ohne die | |
Hater, und die Hater, sie können nicht ohne ihn. | |
10 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/user/DrachenLord1510/videos | |
## AUTOREN | |
Adrian Schulz | |
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