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# taz.de -- „Drachenlord“ bekommt zwei Jahre Haft: Hass ist eine Form von G…
> Der Youtuber „Drachenlord“ wurde wegen Körperverletzung verurteilt. Über
> das Risiko, sich zu wehren.
Bild: Hass-Demo gegen den Drachenlord vor seinem Haus 2018
Die Geschichte vom Drachenlord ist auch eine Geschichte von der Lust am
Hass. Es ist eine Geschichte vom Internet als Raum der Entladung der Masse.
[1][Eine Geschichte von Plattformen], auf denen Menschen gejagt werden, von
Rechtssystemen, die hinterherhinken. Es ist, vor allem, eine Geschichte von
jemandem, der so dreist war, sich zu wehren.
Doch erst zum Anfang, der vermeintlich in einem Gerichtsurteil sein Ende
gefunden hat. Zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung wurde der Drachenlord,
eigentlicher Name Rainer Winkler, vor wenigen Tagen wegen gefährlicher
Körperverletzung verurteilt. Er hatte eine Person mit einer Taschenlampe
angegriffen, eine andere mit einem Backstein beworfen. Beide hatten sich
in der Nähe seines Grundstücks aufgehalten, es kam zu einer
Auseinandersetzung.
Angefangen hat alles vor zehn Jahren, als Winkler seinen Youtube-Kanal
startete, [2][der heute „Drachenlord“ heißt]. Zunächst war es unauffälli…
Youtube-Content. Er spielte Videospiele, redete über Musik, sprach auch mal
über persönlichere Themen wie den Tod seines Vaters. Er kreierte eine
Persona, die er Drachenbarden nannte und durch die er eigens gedichtete
Märchengeschichten erzählte. Das erzeugte kaum Aufmerksamkeit, Monate
später hatte er nicht mal 100 Abonnenten.
Anfang 2014 ändert sich das. Er lud ein Video hoch. „Ich habe einen Aufruf
an euch kleine, miese Drecksschweine“, sagt er darin. Jemand habe seine
Schwester angerufen und sie bedroht. Also nennt er seine Adresse und
fordert die Täter auf, zu ihm zu kommen. „Ich prügel die Scheiße aus euch
raus.“
## Er hat sich gewehrt
Die Geister, die er rief – kamen. Seit Jahren wird Rainer Winkler nun schon
gemobbt, bedroht, gehasst. Im Internet, unter seinen Videos. Auf eigens für
ihn erstellten Websites und in Foren. Aber eben auch direkt vor seiner
Haustür. Teils zu Hunderten versammeln sich Menschen vor seinem Haus,
bewerfen es, bewerfen ihn. Schon vorher hatte sich Winkler dem tätlich
entgegengesetzt, etwa Pfefferspray eingesetzt, bekam eine Bewährungsstrafe.
Aber nun sind es zwei Jahre, die er im Gefängnis absitzen soll. Er hat sich
gewehrt.
Aktuell dreht sich die Berichterstattung um den Drachenlord oft darum, wie
viel Schuld ihn eigentlich selbst trifft. Seit Anfang 2014 besteht der
Inhalt seines Youtube-Kanals größtenteils aus Reaktionen auf [3][die
Menschen, die ihn hassen]. „Haider“ nennt diese Gruppe sich selbst. Er
postet stundenlange Videos, in denen er auf Kommentare eingeht oder
Material aus seinen Überwachungskameras zeigt, in dem Personen zu sehen
sind, die um sein Haus schleichen.
Unter den Videos Kommentare wie: „Hör doch mit dem albernen Gejammer auf.“
Oder: „Er und Kinder, der Witz war gut, als ob das Jugendamt es zulassen
würde, dass Kinder in der Messie-Bude leben, was für ein Vollidiot.“
Der Drachenlord hat 166.000 Abonnent:innen auf Youtube. Im Vergleich zur
Aufmerksamkeit, die er konstant bekommt, ist das wenig. Gronkh, einer der
größten deutschen Youtuber:innen, hat knapp fünf Millionen. Winkler ist vor
allem durch den Hass bekannt. Der Hashtag #Drachenlord trendet auf Twitter,
wenn er wieder etwas vermeintlich Peinliches auf Youtube hochgeladen hat –
oder wenn mal wieder ein Mob vor seiner Tür steht.
Es sind Mechanismen des Internets, die hier offenbar werden und die er auch
selbst befeuert. Aber wieso ist die erste Frage, die sich viele stellen, ob
er selbst Schuld hat an dem Hass, den er ständig abbekommt? Der Blick
sollte sich auf die Hassenden richten.
## Masse und Macht
Elias Canetti hat 1960 sein Buch „Masse und Macht“ veröffentlicht. Es war
auch eine Reaktion auf den Nationalsozialismus und die Strukturen, die der
eruptiven Gewalt der Masse zugrunde liegen. Darin beschreibt er das
Verhältnis von Masse und Meute – im Speziellen der Kriegsmeute. „Sie setzt
eine zweite Meute aus Menschen voraus, gegen die sie sich richtet, die sie
als solche empfindet, auch wenn sie im Augenblick gar nicht besteht.“
Canetti hat damals nicht über Hassbewegungen im Internet geschrieben. Aber
eines ist an Drachenlord und der Reaktion auf ihn bemerkenswert
„kriegsmeuterisch“: Weil er sich wehrt, wird er als Meute gesehen. Wird so
vom Opfer zu einem legitimen Feind. Es entsteht eine Freude daran, ihn zu
hassen.
Gabbie Hanna ist eine 30-jährige Youtuberin, die mit der Videoplattform
Vine bekannt wurde. Dort hat sie lustige und teils nachdenkliche
Video-Snippets hochgeladen, die millionenfach geteilt wurden. Als Vine
seinen Dienst einstellte, wechselte sie zu Youtube, kreierte vor allem
„story time“-Videos, in denen sie aus ihrem Alltag erzählte. Sie fand ein
großes Publikum, hatte über sechseinhalb Millionen Abos.
Dann konzentrierte sie sich mehr auf ihre Musik. Brachte oftmals recht
kitschige Lieder heraus, mit dramatischen Videos. Sie veröffentlichte
Poesiebände mit simplen Gedichten, zu denen oft das Jugendwort des Jahres
passen würde: „Cringe“, also sich krümmen, weil man so peinlich berührt
ist.
## Hang zur Pose
Gabbie Hanna und Rainer Winkler könnten kaum unterschiedlicher sein. Haben
aber doch etwas gemein: Er ist dick, sie ist peinlich – so der Konsens. Sie
thematisieren immer wieder den Hass gegen sich – und bekommen nur noch mehr
Hass. Im Fall von Hanna begannen Zuschauer:innen, sich über ihre Musik
lustig zu machen, ihre Poesie auseinanderzunehmen. Hanna reagierte. Immer
mit einem Hang zur Dramatik und zur Pose. Das hat sie mit Winkler gemein.
Beide geben sich ihrer Reaktion voll hin, schmeißen sich mit Verve auf ihre
Hater:innen.
Sie zeigen sichtbar ihre Verletzbarkeit, offenbaren, dass sie den Hass
nicht nur mitbekommen, sondern dass er sie trifft. Das gefällt der Meute.
Unter dem Stichwort Gabbie Hanna findet man auf Youtube vor allem Videos,
in denen Menschen sich über sie lustig machen. Sich amüsieren über ihr
offensichtliches Getroffensein.
In der Reaktion auf die Menschen, die sich wehren, scheint eine Lust am
Hass durch. Eine geradezu sadistische Freude daran, zu dieser Masse der
Quälenden zu gehören – und zu schauen, welche Reaktionen die neueste
Boshaftigkeit hervorruft.
Nicht alle, die auf den Drachenlord oder Gabbie Hanna oder andere
öffentliche Personen reagieren, wollen Teil des Hasses sein. Manche bringen
valide Kritik hervor, versuchen den Diskurs zu nuancieren. Doch die
Reflektierten sind meist nur Einzelstimmen im Chor des Hasses.
Das Internet ist die Echokammer, die diesen Chor zur Kakofonie macht. Wer
zuerst geschrien hat, wessen Geschrei eine Gegenreaktion ist, das ist nicht
mehr ausmachbar. In diesem Gedröhne verliert sich jede Spur; Opfer werden
schnell zu Täter:innen – und umgekehrt.
## Mögliche Maßnahmen gegen Internet-Mobbing
Was ist dem entgegenzusetzen? Social-Media- und Videoplattformen müssten
ihre Prioritäten ändern. Weg von Algorithmen, die Aufregung und
Feindlichkeit ordentlich Reichweite geben. Unter den eigenen Videos oder in
den eigenen Streams können Creator:innen Kommentare löschen oder
User:innen sperren. Sie haben einigermaßen Kontrolle. Doch wenn fremde
Videos über sie verbreitet werden, haben sie kaum Möglichkeit, sich dem zu
widersetzen. Es sei denn, in dem Video ist Musik oder Bildmaterial mit
Copyright. Dann werden Videos schnell gelöscht.
Viel wichtiger wäre es, das gesellschaftliche Feingespür für die Lust am
Hass zu schärfen. Wieso ist es für viele ein Genuss, auf jene loszugehen,
die sich wehren? Wieso ist keine Entschuldigung ausreichend, um den Geifer
zu stoppen? Wieso ist Getroffensein ein Impuls für viele, noch mehr zu
zielen?
Im Internet werden Einzelne zur Masse, gehen in ihr auf. Manchmal werden
Teile dieser Masse zum Mob. Das Urteil des Gerichts scheint diese Gewalt
nicht zu sehen. Es sieht nur die Gewalt, die sich manifestiert: eine
Taschenlampe und ein Backstein. Das ist Gewalt, die geahndet werden sollte.
Aber was ist das, was davor kam? Lappalien aus dem Internet? Wie Sascha
Lobo in seinem Artikel für den Spiegel schreibt: „Das Urteil des Gerichts
scheint diese Gewalt nicht zu sehen.“ Winkler hat indessen Berufung
eingelegt. Es ist fraglich, ob sie ihm nützen wird.
1 Nov 2021
## LINKS
[1] /Neue-Richtlinien/!5804680
[2] /Mobbing-gegen-YouTuber/!5531281
[3] /Diskriminierung-im-Netz/!5804507
## AUTOREN
Matthias Kreienbrink
## TAGS
Cybermobbing
Gewalt
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