Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Segregation an Berliner Schulen: Lieber gleich auf die Privatschule
> In Berlin schicken viele Eltern ihre Kinder ungern auf Schulen mit hohem
> Migrantenanteil. Die Folge: boomende Privatschulen.
Bild: In Berlin geht jedeR zehnteR SchülerIn auf eine Privatschule (Archivbild)
Berlin taz | Es gibt ein Problem, an dem sich das deutsche Schulsystem die
Zähne ausbeißt: die Chancengerechtigkeit, sie will einfach nicht besser
werden. Immer noch bestimmt das Elternhaus über die Bildungschancen. Haben
die Eltern nicht studiert, wird es das Kind mit relativ hoher
Wahrscheinlichkeit auch nicht tun. Wer einen Migrationshintergrund hat, hat
statistisch gesehen ein höheres Risiko, als SchulabbrecherIn zu enden. In
Berlin wurden kürzlich wieder die Ergebnisse der landesweiten
Leistungsvergleiche in den dritten Klassen veröffentlicht – an der
Tatsache, dass Kinder mit einer anderen Muttersprache als der deutschen
schlechter abschneiden im Lesen, Schreiben und Rechnen ändert sich seit
Jahren: gar nichts.
Dabei bemüht sich die Politik redlich darum, diese Ungerechtigkeit
auszugleichen. In Berlin gibt es etwa das Bonus-Programm, mit dem „Schulen
in schwieriger Lage“ zum Beispiel Extrastunden für Sozialarbeit finanzieren
können. Und die Groko will im Fall einer Regierung ein Bund-Länder-Programm
auflegen, [1][um gemeinsam benachteiligte Schulen zu stärken].
Das Problem: Man doktert an am Symptom der Bildungsungerechtigkeit herum,
ohne die Ursachen anzugehen. Zum Beispiel die Furcht der akademischen
Mittelschichtseltern vor der gewöhnlichen Kiezschule mit dem hohem
Migrantenanteil und dem (oft vermeintlich) schlechten Ruf. Wenn etwas
ungleiche Chancen zementiert, dann Segregation.
In Berlin boomen die Privatschulen. Inzwischen geht jedeR zehnte Berliner
SchülerIn auf eine private Schule. Es gibt sehr unterschiedliche freie
Schulen: Die kleine Schule mit 40 SchülerInnen in Kreuzberg, die von einer
alternativen Elterninitiative betrieben wird. Und die noble Kaderschmiede
in Mitte oder im Südwesten der Stadt, wo die Frage höchstens lautet, ob man
das Abitur auch noch in der französischen Variante ablegen will.
Was allen gemein zu sein scheint: Auf den meisten dieser Schulen ist der
Anteil von Kindern aus ärmeren Familien verschwindend gering – das
suggeriert zumindest eine Antwort der Senatsverwaltung für Bildung auf eine
Anfrage aus den Reihen der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. An
den 77 nachgefragtesten freien Schulen in Berlin liegt die Quote der
SchülerInnen, deren Familien Hilfen vom Jobcenter bekommen, bei gerade
einmal 3,5 Prozent. Der berlinweite Schnitt der sogenannten
lernmittelbefreiten SchülerInnen liegt bei etwa 35 Prozent – zehnmal so
hoch.
Zwar ist umstritten, ob diese Zahlen wirklich aussagekräftig sind:
Schulleiter von zwei freien Schulen sagen der taz, sie ermittelten diese
Quote gar nicht – und tauchten dann in der Statistik dennoch mit einer Null
auf. Was allerdings beide sagen: Die Eltern, die sich für ihre Schulen
interessieren, eine vor allem eins: ein Interesse an Schule, an Bildung.
Und das das nicht unbedingt mit einem vollen Konto verbunden sei.
## Soziale Mischung durch Schulfinanzierung?
Dennoch wollen die Fraktionen der SPD und der Grünen im Berliner
Abgeordnetenhaus am Einkommen der Eltern die künftige Finanzierung der
freien Schulen ausrichten – um mehr „soziale Mischung“ in den freien
Schulen zu erzwingen. Die Grünen legten einen Antrag vor, der „deutlich
höhere“ Zuschüsse für Schulen in freier Trägerschaft fordert, plus einem
Bonus für solche Schulen, die sich „für die soziale und inklusive Öffnung�…
einsetzen. Die SPD hat das gleiche Ziel, favorisiert aber „ein
Staffelungsmodell, das soziale Mischung belohnt“, sagte deren
bildungspolitische Sprecherin Maja Lasić der taz. Im Klartext: Wer auf dem
Papier zu wenig Kinder aus ärmeren Familien unter den SchülerInnen hat,
soll mit Mittelkürzungen rechnen müssen.
Andreas Wegener, Schulleiter der Privaten Kant-Schulen im gutbürgerlichen
Bezirk Steglitz-Zehlendorf, muss lachen, wenn man ihn nach seiner Meinung
zum jüngsten Scharmützel um die Privatschulen fragt: Seit mehr als einem
Jahrzehnt diskutiere man mit der Senatsverwaltung für Bildung mühsam über
eine Änderung des Finanzierungssystems. Eine Quote hält er für den falschen
Weg. Weil sie am grundsätzlichen Problem nichts ändern würde: der
strukturellen Unterfinanzierung der freien Schulen – woran sich letztlich
auch die „wirklich entscheidende Frage nach der wachsenden sozialen
Spaltung der Stadt“ knüpfe, wie Wegener sagt.
Denn die Politik traut sich nicht an die Elternbeiträge ran, mit denen die
freien Schulen die Mangelwirtschaft durch die öffentliche Hand auffangen.
Derzeit läuft es in Berlin so: Schulen bekommen abhängig von ihrer
Schülerzahl lediglich 93 Prozent der vergleichbaren Personalkosten einer
öffentlichen Schule. Die Berliner Arbeitsgemeinschaft Freie Schulen fordert
seit Jahren eine „Vollkostenfinanzierung“, die auch Sachkosten in den Blick
nimmt.
## 100-Euro-Regelung
Schulleiter Wegener sagt, die öffentliche Hand müsste die Schulplätze für
Kinder aus ärmeren Familien sponsern – so wie es zum Beispiel auch beim
Schulmittagessen geschieht. „Ein Kostenausgleich wäre einfach, transparent
und gerecht.“ Momentan gilt in Berlin die Regelung, dass bis zu einem
Jahreseinkommen von 30.000 Euro Brutto einer Familie maximal 100 Euro
Schulgeld pro Monat zulässig sind. „Das kann aber kein Hartz-IV-Empfänger
bezahlen“, sagt Wegener. An der Privaten Kant-Schule zahlt man ab Klasse
sieben 430 bis 470 Euro Schulgeld im Monat. Wer weniger verdient, zahlt
auch weniger – mitunter zahlten Eltern auch weniger als 100 Euro, sagt der
Schulleiter.
Die Berliner 100-Euro-Regelung hatte auch eine bundesweite Studie zur
Privatschulfinanzierung des Wissenschaftszentrums Berlin im vergangenen
Herbst als zu hoch angemahnt. Zudem kontrolliere die Bildungsverwaltung von
Senatorin Sandra Scheeres (SPD) nur unzureichend, ob die Schulen diese
Regelung auch einhielten – viele täten es nicht, bemängelten die
Wissenschaftler. Die Bildungsverwaltung teilt auf Anfrage mit, man sei zu
diesem ganzen Themenkomplex „in der Abstimmung“. Demnächst will man das
zukünftige Finanzierungskonzept für die freien Schulen vorlegen.
Selbstverständlich könne man Eltern nicht verübeln, dass sie die beste
Schule für ihr Kind wählen, sagt auch Wegener. Und genau deshalb müsse man
die freien und die staatlichen Schulen zusammen denken: „Wir müssen viel
stärker über Kooperationen nachdenken, über Schulpartnerschaften“ – um s…
gegenseitig zu zeigen, „dass die Welt größer ist als die eigene Schule“,
sagt Wegener. „Davor kann man Angst haben, muss man aber nicht.“ Womöglich
könnten alle Beteiligten sogar profitieren.
3 Mar 2018
## LINKS
[1] /Foerderprogramm-im-Koalitionsvertrag/!5487392
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Bildung
Privatschule
Segregation
Berlin
Chancengleichheit
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Privatschule
Privatschule
Lesestück Meinung und Analyse
Privatschule
Pisa-Studie
Schwarz-rote Koalition
Schwarz-rote Koalition
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Privatschulen bekommen mehr Geld: Grundsätzlich ungerecht
Freie Schulen in Berlin sollen öffentlich geförderte Schulplätze bauen
dürfen, wenn sie auf die soziale Mischung der Schülerschaft achten.
Privatschulgebühren werden neu geregelt: Ist das jetzt sozialdemokratisch?
Ärmere Familien sollen beim Schulgeld stärker entlastet werden, sieht eine
neue Verordnung der Bildungsverwaltung vor.
Aus heiterem Himmel: Kirchliche Schule feuert Schülerin
Die evangelische Bugenhagenschule in Blankenese kündigt einer Schülerin
ohne Begründung. Die Schulbehörde ist gegen solch ein Gebaren von
Privatschulen machtlos.
Debatte Schulpolitik: Privatschulen fördern die Spaltung
Sie entsprechen oft nicht dem Geist des Grundgesetzes. Das Beste für das
eigene Kind ist nicht das Beste für die Gesellschaft.
Debatte Privatschulen: Der falsche Gegner
Privatschulen fördern nicht per se gesellschaftliche Spaltung. Ihre
Gebühren aber müssen auch für Eltern mit schmalem Einkommen erschwinglich
sein.
Luxemburg setzt bei Pisa-Studie aus: Vielsprachigkeit ist nicht vorgesehen
Luxemburg hat beim OECD-Test der Schulleistungen oft nur
unterdurchschnittlich abgeschnitten. Liegt es an der spezifischen Situation
des Landes?
Förderprogramm im Koalitionsvertrag: GroKo will Brennpunktschulen stärken
Für den Fall einer erneuten Großen Koalition haben sich SPD und Union auf
ein Förderprogramm geeinigt. Der Bund soll sich dabei nicht einmischen.
CDU-Vorschlag für Bildungsministerium: Die Überraschung
Anja Karliczek soll neue Bildungsministerin werden. Die Westfälin war im
Bundestag bisher in der Finanzpolitik aktiv.
Präventionsarbeit an Berliner Schulen: In allerbester Absicht
Ein Verein zeichnet Schulen mit der Plakette „Schule ohne Rassismus“ aus.
Ob diese dem schmückenden Titel gerecht werden, wird nicht überprüft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.