# taz.de -- Privatschulen bekommen mehr Geld: Grundsätzlich ungerecht | |
> Freie Schulen in Berlin sollen öffentlich geförderte Schulplätze bauen | |
> dürfen, wenn sie auf die soziale Mischung der Schülerschaft achten. | |
Bild: So bunt wie diese Federmappe sollen die Berliner Privatschulen werden | |
BERLIN taz | Rot-Rot-Grün investiert künftig mehr Geld in ein im Kern | |
ungerechtes Schulsystem. Das ist, etwas polemisch formuliert, eine | |
Botschaft, die man aus dem Haushaltsplan für die kommenden beiden Jahre | |
herauslesen kann, den das Abgeordnetenhaus heute final beschließen will. | |
Konkret stellt die Koalition 133 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung, | |
um auch die Träger freier, also privater Schulen am sogenannten | |
Schnellbauprogramm Klassenzimmer zu beteiligen. Rund 3.000 Schulplätze | |
zusätzlich will man so schaffen. | |
Hinter den Kulissen hatte es in den Verhandlungen um diesen Haushaltstitel | |
Nummer 70100 zwischen der SPD und den Grünen ordentlich Diskussionsbedarf | |
gegeben. Die Grünen wollen die Bauförderung an die Prämisse koppeln, dass | |
die nicht staatlichen freien Schulen „die soziale Zusammensetzung der | |
Berliner Schülerinnen und Schüler“ abbilden. Was das konkret heißt, sollte | |
in einer sogenannten „Durchführungsverordnung zum Privatschulgesetz“ | |
festgeklopft werden. | |
Die SPD hingegen wollte in dieser Verordnung auch gleich festgehalten | |
wissen, dass man endlich eine verbindliche Schulgeldtabelle für die freien | |
Schulen einführt. Bisher gilt lediglich die Vorgabe: Um das | |
[1][grundgesetzlich geregelte Sonderungsverbot] zu erfüllen, dürfen die | |
freien Schulen maximal 100 Euro pro Monat Schulgeld von Familien nehmen, | |
die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Kontrolliert wird das allerdings | |
kaum – und nicht zuletzt sind auch 100 Euro nicht wenig für eine Familie, | |
die auf Hartz IV angewiesen ist. | |
Deshalb, sagt auch die SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasić, sei die | |
Schulgeldtabelle die eigentliche Baustelle, die es anzugehen gelte, wenn | |
man es ernst meint beim Thema Chancengerechtigkeit. „Fakt ist, dass wir die | |
Frage nach der sozialen Barrierefreiheit bei freien Schulen nicht mit Ja | |
beantworten können, obwohl das Grundgesetz es vorschreibt“, sagt Lasić. | |
Die bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion findet: Wenn die freien | |
Schulen künftig von Landesmitteln für den Platzausbau profitieren sollen, | |
dann nur, wenn man die freien Schulen ernsthaft sozial inklusiv macht. Sie | |
sagt: „Ansonsten generieren wir Inseln, die sich durch Gebühren der | |
inklusiven Beschulung entziehen, obwohl das Grundgesetz diese vorschreibt.“ | |
Das erzeugt wiederum Widerspruch beim grünen Koalitionspartner. „Meine | |
These ist ja, dass viele freie Schulen bereits eine breite soziale Mischung | |
in der Schülerschaft haben“, sagt Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel. Man | |
wolle also gezielt den Schulen „unter die Arme greifen“, die mit weniger | |
Elternbeiträgen haushalten müssen. | |
Bei der SPD hält man das für eine ziemlich steile These. Tatsächlich hatte | |
eine parlamentarische Anfrage vor zwei Jahren ergeben, dass [2][nicht mal | |
vier Prozent der SchülerInnen an freien Schulen lernmittelbefreit sind], | |
weil sie Hilfen vom Jobcenter bekommen. In den öffentlichen Schulen liegt | |
der Anteil deutlich höher, an Sekundarschulen ohne eigene Oberstufe bei | |
über 50 Prozent, wie eine Erhebung des Wissenschaftszentrum Berlin für | |
Sozialforschung 2017 ergeben hatte. Gebel wiederum sagt: Wenn eine | |
Schulgeldtabelle komme, dann müsse auch klar sein, wie die freien Schulen | |
die wegfallenden Elternbeiträge kompensieren können. Man müsse deshalb die | |
beiden Baustellen, Schulgeldtabelle und den bekanntlich durchaus | |
dringlichen Schulplatzausbau in Berlin, getrennt voneinander entscheiden. | |
Damit haben sich die Grünen dann am Ende offenbar auch durchgesetzt: Im | |
[3][aktuellsten Haushaltsentwurf], der so am Donnerstag verabschiedet | |
werden soll, ist jetzt von einer Novellierung der sogenannten | |
Durchführungsverordnung – wo unter anderem die Mittelverwendung der freien | |
Schulen geregelt ist und wo man auch eine Schulgeldtabelle festschreiben | |
müsste – keine Rede mehr. | |
## Exklusive Angebote gegen Gebühr | |
Stattdessen will man die Bewilligung der Neubaumittel nun an eine | |
Förderrichtlinie „im Sinne des Schulgesetzes“ knüpfen. Dort wird allgemein | |
geregelt, welche Voraussetzungen freie Schulen für eine Genehmigung | |
erfüllen müssen – etwa das nicht kontrollierte Sonderungsverbot einhalten. | |
„Wir glauben schon, dass es auch Zeit ist, eine neue | |
Finanzierungsvereinbarung mit den freien Schulen zu treffen. Aber nur die | |
Durchführungsverordnung entsprechend zu ändern wäre falsch“, betont Gebel. | |
„Wenn, dann muss man zugleich auch darüber reden, wie man freie Schulen in | |
die Lage versetzt, dass sie keine Elternbeiträge mehr nehmen müssen.“ | |
Das sieht indes auch Lasić so: „Natürlich muss auch das Finanzierungsmodell | |
für die freien Schulen novelliert werden, wir können die freien Schulen, | |
die sich verstärkt der Durchmischung widmen, nicht auf den Kosten sitzen | |
lassen.“ | |
Derzeit trägt das Land lediglich rund 92 Prozent der Personalkosten – | |
manche freien Schulen kompensieren das mit hohen Elterngebühren und können | |
so trotzdem exklusivere Angebote machen, etwa kleinere Klassen oder eine | |
bessere Ausstattung. Andere freie Schulen können das nicht, weil sie schon | |
jetzt auf die soziale Mischung achten. | |
## Privatschulverband meckert | |
Volker Symalla, Landesgeschäftsführer des Verbands der Privatschulen | |
Berlin-Brandenburg, hält die an soziale Kriterien gekoppelte Bauförderung | |
indes für „nicht ausgegoren“ und in der Praxis kaum umzusetzen und zu | |
kontrollieren. Er glaubt: „Da wird politisch ein Exempel statuiert. Das | |
offenbart ein ideologisches und kein praktisches Denken.“ | |
Symalla sagt, man fordere stattdessen, „dass das Land das Schulgeld | |
übernimmt für alle Schüler, die einen Berlin-Pass haben und eine Schule in | |
freier Trägerschaft besuchen möchten.“ | |
Das wäre dann zwar immer noch keine Schulgeldtabelle, mit der man mehr | |
Transparenz und Gerechtigkeit bei der Belastung von Eltern auch mit | |
niedrigeren Einkommen schaffen könnte. Aber es wäre immerhin ein erster | |
Schritt. | |
11 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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