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# taz.de -- Schwule Grindr-Performance in Berlin: Wanna play? No!
> Ein Künstler projizierte Dating-Chats im öffentlichen Raum. Nun wurde die
> Installation vorzeitig beendet. Fragen bleiben.
Bild: Mehr als nur ein Spiel: Dries Verhoevens Performance in Berlin.
„Wanna play?“, fragte der niederländische Künstler Dries Verhoeven. 14 Ta…
lang wollte er in einem Container mit verglaster Wand auf dem Berliner
Heinrichplatz wohnen, in aller Öffentlichkeit Menschen über Dating-Apps
kontaktieren und zu sich einladen - eine Installation des Berliner Theaters
Hebbel am Ufer (HAU). „Das Private im öffentlichen Raum“ war das Thema.
Da Verhoeven schwul ist, nutzte er vor allem die App Grindr, die mögliche
Sexpartner in der Nähe anzeigt. Verhoeven chattete andere Männer an, aber
nicht für Sex, sondern um mit ihnen über den Tod zu reden, Pfannkuchen zu
machen, Schach zu spielen.
Öffentlich waren dabei auch die Chats und Bilder aus den Apps: Die Fotos
wurden zwar invers und schwarz-weiß angezeigt, um die Männer zu
anonymisieren - doch das reichte nicht aus: Manche erkannten sich oder
Freunde auf den Bildern, ein Chatpartner rastete aus, als er auf dem
Heinrichplatz ankam und sah, dass seine Nachrichten öffentlich projiziert
wurde. Er schlug auf den Künstler ein, erstattete Anzeige und organisierte
Protest, der sich über soziale Netzwerke verbreitete.
Der Protest wurde zum Shitstorm: Der Künstler erhielt Drohungen, andere
riefen zum Boykott des Theaters auf. Manche sprachen von "digitaler
Vergewaltigung" und warfen Verhoeven vor, die Schwulen zu seiner eigenen
Profilierung vorzuführen.
Sonntagabend beendeten Verhoeven und das HAU ihre Aktion nach nur drei
Tagen vorzeitig - vor allem mit Rücksicht auf die Verletzungen der
Privatsphäre von Beteiligten. „Diesen Vorgang bedauern wir sehr und bitten
um Entschuldigung“, schrieb das Theater. Eine spontan einberufene
öffentliche Diskussion am Sonntag im HAU2 war überlaufen. Die Diskussion
der knapp 300 Besucher verlief aggressiv und emotional. Offenbar hat die
gescheiterte Kunstaktion auf vielen Ebenen Fragen aufgeworfen, die nicht
nur Homosexuelle berühren.
***
## Die Verfügbarkeit
Dries Verhoeven ging es bei seinem Projekt „Wanna play?“ auch um die
Selbstdarstellung von Menschen im virtuellen Raum. Und das geht nicht nur
Schwule an. Klar, Homosexuelle sind gesellschaftliche Vorhut, wenn es um
das Organisieren von Körperkontakten in beiderseitigem Einverständnis geht
(= Sex als Spaß).
Relativ neu sind die Mittel dazu, nämlich Apps wie Grindr (für Schwule)
oder Tinder (für Heteros), die Verzeichnisse von potenziell
paarungswilligen Partner_innen bereitstellen. Bei beiden lädt man ein Bild
von sich hoch, weitere Angaben sind spärlich, Schlüsselreiz ist der erste
Eindruck des anderen Menschen, mit Photoshop geglättet, verfremdet, ein
paar Jahre alt oder irgendwo herauskopiert: Wer im realen Leben ein Date
haben will, muss in der virtuellen Welt mit allen Mitteln punkten.
Apps machen das Online-Dating mobil. Super, wenn man wirklich nur mal
jemanden schnell für Sex klarmachen möchte, aber es gibt das Problem der
doppelten ständigen Verfügbarkeit. Man selbst ist verfügbar, online sein
bedeutet: Sex jetzt geht. Also auch, wenn man an der Supermarktkasse nur
mal eben aus Langeweile auf dem Smartphone herumklickt, signalisiert man:
Nimm mich! Jetzt! Da sind Grindr und Tinder eine Mischung aus Sex-App und
Sehnsuchtsmaschine: Womöglich ist der an der Supermarktkasse erchattete
Fick dann doch der Traumpartner.
Das führt zur anderen Seite der Verfügbarkeit: Verhoeven beschrieb, wie
schwierig es für ihn war, sich dauerhaft auf einen Partner einzulassen,
weil er wusste, dass in seiner Hosentasche nur wenige Klicks (oder Wischer)
entfernt jede Menge Alternativen warten. Die schiere Masse der verfügbaren
Optionen macht die Entscheidung schwierig. Das ist kein neues Thema. Aber
dennoch eines, das man immer wieder aufwerfen kann.
***
## Das „wir“
Der Künstler Dries Verhoeven schrieb als Reaktion auf den Shitstorm in
seinem Statement auf [1][//www.facebook.com/driesverhoevencie:Facebook]:
„Wir als Homosexuelle“. Aber wer sind eigentlich „wir“? Wen also adress…
Verhoeven hier?
Egal, ob er schwule Grindr-User, Schwule generell oder Homosexuelle, die
das soziale Netzwerk nutzen, meint - das „wir“ birgt immer ein Problem. Es
täuscht etwas Gemeinsames vor, bleibt dabei aber höchst subjektiv. Das
„wir“ gibt es nicht, es ist eine Illusion.
Nicht alle Männer, die gerne Schwänze lutschen, eint primär etwas – außer
vielleicht der Tatsache, dass sie eben Schwänze mögen. Nicht alle schwulen
Facebook-Nutzer empfinden dasselbe - sie kommunizieren nur über dasselbe
Medium. Und Homosexuelle, die das Internet benutzen, vereint auch nichts -
außer dass sie im Internet sind.
Die einen suchen im Netz nach Kochrezepten, die anderen Pornos. Die einen
holen sich vor ihrer Webcam einen runter, die anderen sprechen mit ihren
entfernten Verwandten über Skype.
Wer also sind „wir“?
Die Lebenswirklichkeit von Verhoeven als schwuler Mann muss nicht die
Wirklichkeit eines anderen schwulen Mannes abbilden. Verhoeven versteckt
sich hinter dem „wir“, hinter dem „Hey, ich bin einer von euch“. Aber er
ist er - und nicht du und nicht ich. Verhoeven ist Verhoeven. Und nur weil
er schwul ist, kann er nicht für alle Schwulen dieser Nation sprechen.
Ähnlich absurd ist allerdings, wenn andere seinen kulturkritischen Ansatz
zerstören wollen, indem sie bei Diskussionsrunden sagen: „Wir wissen sehr
wohl, wie wir Grindr zu benutzen haben.„ Nein, wissen sie nicht. Sie wissen
es vielleicht, ihre schwulen Freunde eventuell auch, aber dann hört es auch
schon auf.
„Wir“ sagt überhaupt nichts aus. Es steht für den Wunsch des
„ich“-sagen-Wollens: Wer „wir“ sagt, sagt in Wahrheit ganz laut „ich!…
ist ein großes „ich“, versteckt in einem vermeintlich-allumfassenden „wi…
***
## Das F-Wort
Interessant an der Debatte über Dries Verhoevens Installation ist, dass der
eigentliche Gegenstand bei all der Aufregung nicht zur Sprache kam: Es geht
ums Ficken.
Der Künstler wollte unter anderem darauf aufmerksam machen, dass schwule
Männer modernste Kommunikationstechnologien vor allem zum Austausch von
Körperflüssigkeiten nutzen - also um möglichst unkomplizierten,
halbanonymen Sex miteinander zu haben.
Es handelt sich um einen digitalen Darkroom, der längst zum Alltag vieler
Schwuler gehört. Statt sich zum Sex zu verabreden, wollte Dries Verhoeven
in diesem Darkroom mit den Schwulen Kuchen backen und Schach spielen. Er
wollte darauf hinweisen, dass Schwule nicht nur aus Schwänzen bestehen,
sondern auch Menschen sind.
Das kann man als naiv bezeichnen, womöglich als überkommene Kulturkritik
bewerten. Spannend aber ist, wie sehr die aufgebrachten Diskutanten darum
bemüht sind, den Eindruck zu vermeiden, dass sich hinter ihrem
Grindr-Profil eben auch ein Schwanz verbirgt; dass diese Plattformen der
Promiskuität gewidmet sind und einer Sexualität dienen, die von der
Mehrheitsgesellschaft abweicht.
Fast erscheint es, als ob Dries Verhoeven, der auf einen internen Missstand
hinweisen wollte, nun als Nestbeschmutzer erscheint. Als jemand, der der
Öffentlichkeit preisgibt, was die Schwulen wirklich machen. Obwohl diese
sich doch in der Öffentlichkeit stets um Entsexualisierung bemühen: Seht
her, Mehrheit, wir sind wie ihr, wollen heiraten und Kinder bekommen. Der
in diesem Sinne augenfälligste Vorwurf an Verhoeven: „Ich habe meinen
Lebensgefährten über Grindr kennengelernt, das hast Du nun zerstört."
***
##
## Der geschützte Raum
Der sicherste Raum für Schwule war stets der Schrank - blieb man darin und
gab weiter vor, ein Heterosexueller zu sein, so war man wirklich sicher in
dieser Welt.
Als Zwischenstufe gab es dann zum Beispiel öffentliche Grünanlagen und
Toiletten. Nicht wirklich sicher, aber dank Dunkelheit (Park) und
kanalisationsartiger Verborgenheit (Klappen) halbwegs geeignet, die
bürgerliche Existenz homosexuell empfindender Männer zu gewährleisten.
Nachts sind alle Katzen grau.
Später dann kam die professionalisierte Variante dieser Grauzone auf den
Markt, nämlich der sogenannte Darkroom als gastrokommerzieller
Erlebnisbereich im Keller einer Kneipe - an deren Tür man klingeln musste,
zum Schutz der Gäste.
Diese Bars mit Darkroom und auch die Badehäuser, das waren und sind
Bunkeranlagen, in denen sich die Minderheit nicht als Minderheit fühlen
muss, weil sie dort schlicht die Mehrheit ist.
Dann kam das Internet. Dann die GPS-gestützte Dating-Apps. Das Netz und die
Apps würden der schwulen Infrastruktur, den Darkrooms und Saunen, den
Garaus machen, hieß es. Die Bunker würde keiner mehr brauchen. Denn wer
braucht Bunker in einer offenen, freien Gesellschaft, in der Homosexualität
nicht mehr strafbar ist?
Die Diskussion um den „Safe Space“, die nun auf Verhoevens Installation
folgte, zeigt, dass es diese offene, freie Gesellschaft offenbar noch nicht
für alle gibt - und dass die alten Klingeln und Überwachungskameras an den
Eisentüren der Bars wesentlich sicherer waren als die heutigen Apps, die
auch Verfolger zu jeder Zeit genau wissen lassen, wie weit die Suchenden
voneinander entfernt sind.
6 Oct 2014
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## AUTOREN
Enrico Ippolito
Malte Göbel
Martin Reichert
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