| # taz.de -- Festwochen in Wien: Entlastungsrituale in der Geisterbahn | |
| > Mit der Performance „Phobiarama“ stellt Dries Verhoeven in Wien die | |
| > richtigen Fragen zum Rechtspopulismus, verfährt sich aber in der | |
| > Affirmation. | |
| Bild: Vor dem Eingang der Show | |
| „Terrorist*innen und Politiker*innen aller Lager schaffen zunehmend ein | |
| Theater der Angst, in dem wir nicht mit einer konkreten Gefahr, sondern | |
| einer möglichen Gefahr konfrontiert sind.“ Diesen Satz schickt der | |
| niederländische Künstler Dries Verhoeven seiner Performance „Phobiarama“ | |
| bei den Wiener Festwochen voran. Wenn so ein Claim auf der Packung steht, | |
| landet sie schnell im Warenkorb – auch ohne den zuvor prüfenden Blick auf | |
| das Kleingedruckte. | |
| Es ist die Frage hinter dem Projekt, die den Spontankauf motiviert: Wie | |
| soll das Theater umgehen mit der Theatralisierung der Politik durch rechte | |
| Populisten? Schließlich verwandeln diese den Widerstreit von Interessen und | |
| das Ringen um die Lösung von Problemen in unüberbrückbare Gegensätze | |
| zwischen dem Fremden und dem Eigenen. An die Stelle von Fakten tritt die | |
| Magie innerer Gewissheiten. Sie zaubern die Abenddämmerung der Vernunft an | |
| den Himmel und machen uns zur Unzeit zu Tragöden. Zu Figuren, die an | |
| Konflikten zu scheitern drohen, die gerade eben noch – vor der | |
| Suspendierung der Politik durch Erregung – durchaus lösbar schienen. | |
| Populismus verwandelt Fakten in Affekte, Rede in (stereotype) Bilder. Er | |
| appelliert an Gefühle und bietet an, sie (stellvertretend) auszuleben. Das | |
| Erregen von Mitleid und Furcht war einmal Privileg des Theaters. Seit der | |
| Antike wollte es so aus Zuschauern bessere Bürger machen. Bürger, die | |
| autonom, rational und ethisch begründet handeln. Die populistischen | |
| Erregungspotenziale dagegen enden in Agonie und der Akzeptanz von | |
| Verhältnissen, die der Aufregung durchaus wert wären. | |
| ## Die Klaviatur der Emotionen ist verbrannt | |
| Die Intensität ihrer Sprachbildschöpfungen aber lässt sich kaum überbieten. | |
| Die Klaviatur der Emotionen, auf der das Theater über Jahrhunderte so | |
| virtuos spielte, ist verbrannt, endgültig. Seine Aufgaben sind nun andere: | |
| Räume des Handelns und Verhandelns vorwegnehmen, die das Gespräch in einer | |
| Gemeinschaft der Verschiedenen ermöglichen; ein Ort sein, der permanent die | |
| Neugründung von Gesellschaft vorstellt. | |
| Nicht umsonst haben die Festwochen in diesem Jahr die „Orestie“ in der | |
| Regie von Ersan Mondtag), in der Aischylos gegen Ende Pallas Athene | |
| herabsteigen lässt, um Gesetz und Verhandlung an die Stelle von Mord und | |
| Totschlag treten zu lassen. | |
| Wie ist das nun mit der Angst? Dries Verhoeven packt sie in einen | |
| Container. Darin zirkuliert eine kleine Geisterbahn. Autoscooter-Wägelchen | |
| schippern das Publikum auf Schienen durch ein Halbdunkel, das nur von | |
| aufblitzenden Pixeln der Überwachungsmonitore durchschnitten wird. Im Ohr | |
| hat man eine Kakophonie aus Alltagsgeräuschen und Stimmen von Populisten, | |
| Fundamentalisten und Terroristenbekämpfern. Der Westen ist im Krieg – gegen | |
| den Terrorismus schreien die einen, gegen den Islam als solchen die | |
| anderen. | |
| ## Das Schwadronieren beleidigt das Ohr | |
| Das Setting mischt höchst Verschiedenes ineinander: die Angst, die | |
| Populisten an die Wand malen, und die begründete Furcht derer, die als | |
| fremd stigmatisiert sind. Das von Fehlern durchsetzte Schwadronieren | |
| österreichischer Rechtspopulisten beleidigt das Ohr, schafft aber noch | |
| keine Erkenntnis über deren Sprachspiele. Und wie wollen die, die nicht von | |
| Rassismus betroffen sind, erfahren, wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu | |
| sein? Die Grenzen des Illusionstheaters sollten sich herumgesprochen haben, | |
| man müsste sein Als-ob verlassen, über solche Erfahrungen reden und | |
| zuhören, um im ursprünglichen Sinn des aristotelischen Theaters geläutert | |
| solidarisch zu handeln. | |
| Stattdessen geht es um die nächste Kurve, es stellt sich jenes diffuse | |
| Unbehagen ein, das die österreichische Alltagssprache „entrisch“ nennt. Man | |
| soll wohl ein wenig über sein white privilege nachdenken, fühlt sich aber | |
| doch gegen die Dummen und die Rechten auf der richtigen Seite. Katharsis | |
| wird zu einem unpolitischen Entlastungsritual. | |
| Dann kommen doch noch Geisterbahnfiguren. Gestalten in Grizzlybärkostümen – | |
| ganz kuschelig trotz langer Krallen – entblättern sich zu Horrorclowns mit | |
| Maske und ziehen sich schließlich aus bis auf die Unterhose, als ob sie | |
| gerade die burgenländische Polizei nach dem Grenzübertritt aus Ungarn | |
| gefilzt hätte: Junge Männer mit außermitteleuropäischem | |
| Migrationshintergrund posieren schweigend mit ihrer betont wohltrainierten | |
| Oberkörpermuskulatur. Fassungslosigkeit macht sich breit angesichts der | |
| unvermittelten Ästhetisierung und Objektifizierung von Körpern in diesem | |
| Kontext. | |
| Jetzt hätte man reden müssen, um das Projekt noch zu retten: Mussten Sie | |
| oder Ihre Eltern flüchten? Wenn ja, von wo? Wie kommen Sie zu dieser | |
| Produktion? Was ist Ihre Haltung dazu? Die persons of color haben ihre | |
| Schuldigkeit getan, sie können gehen. Vor dem Tor warten die nächsten white | |
| liberals darauf, eine Dreiviertelstunde im Kreis zu fahren. | |
| 15 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Mattheiß | |
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