| # taz.de -- Wiener Festwochen: Die toten Fische bleiben | |
| > In seinem zweiten Programm der Wiener Festwochen hat Intendant Tomas | |
| > Zierhofer-Kin auf bürgerliche Repräsentation gesetzt. Ein Rückblick. | |
| Bild: Vom Wiener Publikum gefeiert: „Tiefer Schweb“ von Christoph Marthaler | |
| Es gibt dieses Bullshit-Bingo aktueller kulturpolitischer Schlagworte, die | |
| das Gespräch über Kunst mehr und mehr ersetzen. KünstlerInnen montieren sie | |
| bei Strafe der Nichtfinanzierung geschickt in alle Förderanträge. | |
| „Experimentell und innovativ“ war vorgestern, auf der Suche nach „neuen | |
| Formaten“ bewegt man/frau sich ohnehin jenseits „hergebrachter | |
| Spartengrenzen“. Aktuell zu achten wäre vorzugsweise auf den | |
| gesellschaftlichen „impact“ des eigenen Tuns, „Partizipation“ ist immer | |
| gut, ohne „audience development“ geht gar nichts. | |
| Beschwörungsformeln, die der künstlerischen Praxis die symbolische | |
| Abgeltung dessen auferlegen, was die Politik nicht mehr zu leisten vermag. | |
| Die Antwort auf den exklusiven Charakter bürgerlicher Kultur war einmal | |
| „Kultur für alle“. Budgets, die dafür nötig wären, scheinen im Zeitalter | |
| der „schwarzen Null“ illusorisch. Bleibt als Betätigungsfeld für | |
| neoliberale Kulturpolitik die Arbeit an der Marke. | |
| Ein solches „re-branding“ durchlaufen gerade die Wiener Festwochen. Das | |
| Festival sollte mit gut 11 Millionen Euro öffentlicher Zuschüsse ohne die | |
| organisatorischen Lasten einer Theaterimmobilie, ohne AbonnentInnenstamm | |
| und festes Ensemble ein Paradies für kunstpolitischen Gestaltungswillen | |
| sein, kommt aber nicht recht aus der Problemzone. | |
| Da hatte Tomas Zierhofer-Kin, neuer Intendant im vergangenen Jahr, den | |
| Auftrag, erst einmal disruptiv dazwischenzufahren. Postkoloniale | |
| Perspektiven sollten den behäbigen BewohnerInnen der Wiener Wohlstandsinsel | |
| einen anderen Blick auf die Welt vergönnen, dem Theaterpublikum wollte er | |
| die folgenlose Schönheit „irgendwelcher teuer produzierten toten Fische“ | |
| nicht mehr einfach so ans Parkett liefern. Clubkultur und Popdiskurse | |
| versprachen „niederschwellige“ Zugänge. | |
| Ein Resultat war staatlich verordnete Popkultur, und allen, die ein wenig | |
| Poststrukturalismus gelesen hatten, dämmerte, dass ihnen Identitätsdiskurse | |
| der 1990er Jahre als Dernier Cri vorgesetzt wurden. Jonathan Meeses | |
| „Parsifal“-Überschreibung entwich als heiße Luft der Kunstmarktblase. Die | |
| Ablehnung der lokalen Medien blieb nicht aus. Zwei KuratorInnen, die den | |
| antibürgerlichen Reflex wohl allzu offensiv nach außen getragen hatten, | |
| wurden gefeuert. | |
| ## Wieder an Land geschwemmt | |
| Zierhofer-Kin selbst überdauerte als Intendant. Seiner inhaltlichen | |
| Ausrichtung bleibt er in der gerade abgelaufenen aktuellen Saison durchaus | |
| treu, sie kommt allerdings so seltsam von Rücksicht weichgespült daher, | |
| dass die Watschen zum Festivalabschluss milder ausfallen werden. Aber | |
| vielleicht ist gerade die vermeintliche Rettung das Verhängnis. | |
| „The Song of Roland“ von Wael Shawky und die koreanische Produktion „Troj… | |
| Women“ zeigten außereuropäische Virtuosenpraxis ohne große | |
| Herausforderungen. Es gab performative Arbeiten wie Markus Öhrns „Häusliche | |
| Gewalt“ oder Christiane Jatahys „The Walking Forest“, in denen sich der | |
| behauptete Einbruch der Wirklichkeit als das theatralische Als-ob | |
| geliehener Gefühle erwies. | |
| Die „toten Fische“ hat eine reflektierende Welle schließlich wieder an Land | |
| geschwemmt. Ein Jahr später könnte sich Geruch bemerkbar machen. Theater | |
| ist wieder vertreten – in „Formaten“, die den Festwochen auch in früheren | |
| Jahren gut anstanden. Christoph Marthaler kehrte mit „Tiefer Schweb“ | |
| zurück. Selbst diese etwas schwächere Arbeit aus seinem Oeuvre wurde vom | |
| Publikum mit forderndem Jubel demonstrativ gefeiert. | |
| Vielleicht ist Zierhofer-Kins antibürgerlicher Reflex dem missverstandenen | |
| Doppelsinn des Worts geschuldet. Für den Widerwillen an bourgeoisen | |
| Gesellschaftsspielen gibt es im Wiener Kulturbetrieb andere Adressaten, das | |
| Festival war immer auch eine seltene Feier des auf die Welt neugierigen | |
| Citoyens. Nicht alles, was Theater repräsentiert, muss also schlecht sein. | |
| ## Erneute Neuausrichtung erwartbar | |
| Mit Ersan Mondtags „Orestie“ und „Die Selbstmord-Schwestern / The Virgin | |
| Suicides“ von Susanne Kennedy war eine jüngere Generation von | |
| RegisseurInnen vertreten. Das fühlte sich alles aber wie das Resultat eines | |
| guten Ratschlags an. Kauf im anerkannten Fachgeschäft – zweimal Münchner | |
| Kammerspiele, einmal Thalia Theater. Das schwächelnde „New Order“-Konzert | |
| war von Manchester International übernommen. | |
| Was die Festwochen einst stark gemacht hat, fehlte: das Pouvoir, Projekte | |
| zumindest mitzuproduzieren und Qualitäten zu ermöglichen, die der | |
| Routinebetrieb nicht mehr erreicht. Das Festival war auch immer eine letzte | |
| Bastion gegen die Selbstverschlankung von Kunstproduktion im Sinne von | |
| „Wettbewerbsfähigkeit“. | |
| Dass die Festwochen immer am stärksten waren, „wo sie mit Auftragswerken, | |
| mit Ur- und Erstaufführungen in Erscheinung getreten sind“, monierte auch | |
| Veronica Kaup-Hasler, die ehemalige Festwochendramaturgin, langjährige | |
| Intendantin des Steirischen Herbstes und neu berufene Kulturstadträtin der | |
| rotgrünen Wiener Landesregierung in einem ihrer ersten öffentlichen | |
| Statements. Das lässt eine abermalige Neuausrichtung erwarten. | |
| 17 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Mattheiß | |
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