| # taz.de -- Künstler über Grindr-Performance: „Als ob man im Bordell wohnt�… | |
| > Sein Glaskasten-Kunstprojekt zur schwulen Dating-App Grindr musste Dries | |
| > Verhoeven abbrechen. Ein Gespräch über Bedürfnisse, Erwartungen und | |
| > Naivität. | |
| Bild: Er suchte Liebe und bekam Hass zu spüren: Dries Verhoeven in seinem Glas… | |
| Am 1. Oktober begann der Künstler Dries Verhoeven im Rahmen der | |
| Hebbel-am-Ufer-Reihe „Treffpunkte“ sein Projekt „Wanna Play? Liebe in | |
| Zeiten von Grindr“. Er entwickelte eine Installation, „welche die | |
| Möglichkeiten und die Tragik des Phänomens der Smartphone-Apps für Sexdates | |
| thematisiert“. Dafür wollte er zwei Wochen lang in einem Glascontainer in | |
| Berlin-Kreuzberg wohnen, nur über Smartphones mit Menschen in der Umgebung | |
| kommunizieren und sie zu sich in den Container einladen. Diese Bilder und | |
| Online-Chats, die Verhoeven vor allem mit Männern hatte, projizierte er für | |
| Passanten sichtbar leicht verfremdet bzw. anonymisiert in den Container. | |
| Nach einer Beschwerdewelle diverser Akteure und aus Gründen des | |
| Datenschutzes [1][beendeten das Theater und Verhoeven am 5. Oktober das | |
| Projekt vorzeitig]. | |
| taz: Herr Verhoeven, haben Sie noch Ihr Grindr-Profil? | |
| Dries Verhoeven: Nein, Grindr hat mein Profil gelöscht. Und ich habe | |
| sowieso nicht das Bedürfnis, ein Profil auf Grindr zu haben. Das hat mit | |
| der Stadt zu tun. | |
| Weil es in Berlin genug Kneipen, Bars und Clubs gibt? | |
| Genau. Und jetzt bewegen sich auf Grindr nicht gerade meine Freunde. | |
| Was wollten Sie eigentlich mit Ihrer Kunstaktion „Wanna Play? Liebe in | |
| Zeiten von Grindr“ erreichen? | |
| Die Frage war: Kann man Liebe und Intimität erlangen, wenn man sich nur in | |
| Datingportalen bewegt? Ich wollte das Potenzial der neuen Liebestechnologie | |
| untersuchen, sehen, was diese gibt und vielleicht auch nimmt. Dafür wollte | |
| ich mich 15 Tage lang nicht im öffentlichen Raum, sondern eben nur auf | |
| diesen Portalen bewegen und dabei Männer treffen, die mich in meinem nicht | |
| sexuellen Bedürfnis befriedigen. Anschließend wollte ich über die Zukunft | |
| sprechen: Wie sieht eine Welt aus, in der wir uns verstärkt virtuell | |
| bewegen – macht es das schwerer oder leichter? | |
| Und was ist Ihre Antwort darauf? | |
| Vorher dachte ich, es würde den Kontakt erschweren, aber ich habe 23 Leute | |
| getroffen, ohne Probleme zu haben. Ich hatte das nicht erwartet, dass so | |
| viele Menschen so schnell schon vorbeikommen, um zum Beispiel Schach zu | |
| spielen. | |
| Sie haben aber schon bei Ihrer Vorstellung des Projektes viel Kritik | |
| erhalten, vor allem weil Ihnen unterstellt wurde, eine anachronistische | |
| Kulturkritik zu üben. | |
| Ich habe immer von Möglichkeiten und zugleich Tragik gesprochen, die hinter | |
| diesen neuen Werkzeugen liegen. Vielleicht war mein größter Fehler, schon | |
| vorab einen reflexiven Text über die Arbeit zu schreiben. Aber ich halte es | |
| für falsch, nicht selbstreflexiv zu sein und auf eventuelle Probleme in der | |
| Community nicht hinzuweisen. | |
| Inwiefern haben Sie Grindr als tragisch empfunden? | |
| In den drei Jahren, die ich Grindr benutzt habe, habe ich mehr Männer | |
| kennengelernt als vorher. Ich hatte aber weniger Beziehungen als vorher. | |
| Die App ist gut, um ein kurzes Bedürfnis zu befriedigen. Auch wenn man | |
| etwas anderes sucht, führt der Weg dahin oft über den Sex. Das Fleisch ist | |
| schwach. Mich interessiert, was passiert, wenn man immer die Cruising Area | |
| dabei hat und eben nicht nur zweimal die Woche in den Darkroom geht. | |
| Stattdessen kann ich auf der Arbeit, im Supermarkt, in der U-Bahn eben eine | |
| Taste drücken, und bin immer in diesem Gedankenmuster. | |
| Und das ist ein Problem? | |
| Das ist erst mal wunderbar. Ich habe nichts dagegen. | |
| Aber? | |
| Problematisch ist es ab dem Moment, in dem man herausfindet, dass es einen | |
| davon abhält, sich mit jemandem zu verbinden. | |
| Weil die Verabredungen nicht zustande gekommen sind? | |
| Doch, aber man hat nur ein konstruiertes Bild von sich bestätigt. Wir | |
| treffen uns, sind cool und stark, und man darf nicht zu viel erwarten. Und | |
| genau das ist schwer zu durchbrechen, weil Zärtlichkeit und Verletzlichkeit | |
| verboten sind in dieser Welt. Klar, man hat sexuelle Bedürfnisse, aber eben | |
| auch andere. Wenn es üblicher ist, dreimal zu ficken und dann erst zu | |
| fragen, ob man gemeinsam ins Kino geht, dann ist man Teil einer Welt, wo | |
| andere Normen und Gesetze gelten, denen ich nicht leicht widersprechen | |
| kann. | |
| Hat es für sie denn eher ein Suchtmoment? | |
| Man hat letztendlich acht Apps auf dem Smartphone und wird ständig | |
| benachrichtigt, wenn etwas passiert. Das wird Teil deiner sozialen | |
| Administration. Für mich war es auch nicht einfach, eine Beziehung zu | |
| führen und zu wissen, sobald es Probleme gab, dass es auf meinem Handy noch | |
| 200 Alternativen gibt und schon Nachrichten warten. Es ist, als ob man eine | |
| Beziehung aufbaut und gleichzeitig noch im Bordell wohnt. Ich übertreibe | |
| jetzt natürlich. | |
| An wen genau haben Sie eigentlich geglaubt, sich zu richten? | |
| An alle. Ich hoffe, dass, wenn man so etwas zeigt, Menschen selbst das | |
| Gezeigte interpretieren können und so zur Reflexion angeregt werden. Die | |
| Frage war: Ist es eine Dystopie oder eine Utopie? Was heißt es, wenn man | |
| dem Gerät mehr vertraut als den Menschen auf den Straßen? | |
| Sie wollten sich an alle richten, stellten aber mit Grindr eine schwule | |
| Subkultur dar. | |
| Ich habe auch Tinder [Dating-App für Heterosexuelle; d. Red.] benutzt und | |
| hatte vor, weitere Apps zu verwenden. | |
| Sie sind aber meist bei Grindr hängen geblieben. | |
| Die ersten zwei Tage. Ich denke immer, man kann ein Beispiel verwenden, um | |
| etwas Größeres zu erzählen. Und ich habe mein Leben als Ausgangspunkt | |
| genommen. | |
| Hätte dieses Projekt funktioniert, wenn Sie es nicht über Grindr, sondern | |
| über Facebook kommuniziert hätten? | |
| Dann wäre es aber ein anderes Projekt gewesen. | |
| Inwieweit unterschiedet sich denn Ihr Facebook-Ich von Ihrem Grindr-Ich? | |
| Über Facebook bin ich viel mehr in Kontakt mit Menschen, die ich schon | |
| kenne, da ist das Bild von mir näher an dem, das ich auch in der | |
| Öffentlichkeit zeige. Wenn ich aber nach Liebe suche, suche ich zuerst nach | |
| einem schwulen Mann. Dann gehe ich an einen Platz, wo sich andere schwule | |
| Männer befinden. Mein Grindr-Ich ist sexueller geprägt. | |
| Aber diese sexuelle Subkultur, die Sie beschreiben, gab es doch auch schon | |
| vor dem Internet. Darkrooms, Saunen, Klappen. Jetzt hat sich eben nur das | |
| Medium geändert. | |
| Der Unterschied zwischen einem Darkroom und Grindr ist aber, dass ich mein | |
| Smartphone und somit Grindr immer dabeihabe. | |
| In einem Darkroom sucht man erst mal Sex und vielleicht tut man dies auch | |
| bei Grindr. Sie suchen aber nach Liebe. Daher auch die Kritik einer | |
| Desexualisierung von Homosexuellen. Ist dann nicht schon Ihre Prämisse | |
| falsch? | |
| Ich wollte nicht sagen, dass wir alle weniger Sex haben sollen, sondern | |
| wollte einfach wissen, was passiert, wenn wir ein Tool benutzen, das immer | |
| mehr zum Alltag der Schwulen gehört, in dem Verletzlichkeit oft als Tabu | |
| gesehen wird. | |
| Sie haben Liebe gesucht und Hass zurückbekommen. Sind Sie wirklich davon | |
| überrascht? | |
| Ja. Vielleicht bin ich naiv, aber es hat mich überrascht. Und Naivität ist | |
| auch ab und zu gut als Künstler. Ich will keine Angst haben, den Konsens | |
| infrage zu stellen. Wie sich Leute aber auf Facebook präsentieren, zeigt, | |
| dass wir eine extremere Version von uns selbst abbilden – ein bisschen | |
| pornografischer, ein bisschen gewalttätiger. | |
| Ist das eine extreme Version von uns selbst oder eher eine ehrlichere? | |
| Mich interessiert eher, was wir im öffentlichen Raum eigentlich von uns | |
| zeigen. Ich habe das Gefühl, dass der richtige öffentliche und der | |
| öffentlich-digitale Raum immer mehr voneinander in unserem Kopf getrennt | |
| werden. Der öffentliche Raum wird prüder und das Internet pornografischer – | |
| das sind einander verstärkende Bewegungen. In dem Moment, in dem wir das | |
| Digitale in den analogen öffentlichen Raum übertragen, kommt es zu | |
| Problemen. Erschrecken wir, wenn unser Chef unsere Urlaubsfotos sieht oder | |
| wir unsere Grindr-Freunde in einer Bar treffen? | |
| Es geht dann eher darum, wie in der Gesellschaft öffentlich über Sex | |
| gesprochen wird. | |
| Das Internet ist auch ein öffentlicher Raum, weil jeder reinschauen kann. | |
| Es macht aber einen Unterschied, ob Fotos oder Chats den digitalen Raum | |
| verlassen. Im Internet kann ich niemandem in die Augen schauen und trotzdem | |
| finde ich es einfacher, dort jemanden anzuschreiben und mehr über mich zu | |
| sagen, als ich es in einer Kneipe tun würde. | |
| Ist es eine Befreiung für Sie, jetzt kein Grindr-Profil mehr zu haben? | |
| Ja. Ich hatte letztlich eine Überdosis davon. | |
| 23 Oct 2014 | |
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| ## AUTOREN | |
| Enrico Ippolito | |
| Martin Reichert | |
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