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# taz.de -- Magazine für Homosexuelle: „Schwule leben anders, lieben anders�…
> Früher Wichsvorlage und Infoquelle – heute Gratisheftchen oder pleite.
> Schwule Printmedien stecken in der Krise. Wieso eigentlich?
Bild: „Schwule leben anders, sie lieben anders, sie ficken anders, sie haben …
Die kleine Redaktion der Du&Ich hat die klassischen Trauerstadien
durchgemacht. Erst Schock, dann Frust, dann Wut. Gefolgt von Trauer,
Sarkasmus und schließlich Befreiung. „Gegen Ende haben wir dann wieder viel
gelacht“, erzählt Andreas Hergeth. Bis vor Kurzem war er Chefredakteur von
Deutschlands ältestem Schwulen-Magazin, der Du&Ich. Nach 45 Jahren und 493
Ausgaben ist jetzt Schluss. Vor zwei Wochen erschien die letzte Ausgabe. Zu
wenig Leser, zu wenig Anzeigenkunden.
Die schwulen Printmedien stecken in der Krise, schon lange. Der Du&Ich ging
es seit Jahren schlecht, zuletzt wurden – nach Verlagsangaben – nur noch
rund 15.000 Hefte verkauft. Inoffiziell hört man auch deutlich niedrigere
Zahlen. Auch Männer, das zweite große schwule Kaufmagazin in Deutschland,
sieht unsicheren Zeiten entgegen. Im Mai meldete der Bruno Gmünder Verlag
Insolvenz an. Ob und wie es weitergeht, ist unklar. Prominente
Neugründungen gab es in den vergangenen Jahren kaum, und wenn, wurden sie
schnell wieder eingestellt. Der Markt für schwule Kaufmagazine scheint tot.
Wieso eigentlich?
Andreas Hergeth sucht nach Erklärungen. „Identifikationsstiftende Magazine
für schwule Männer braucht es heute wohl nicht mehr. Man ist schwul und ein
selbstbewusster Teil der Gesellschaft geworden.“ Schwule Themen werden
heute tatsächlich viel häufiger in Mainstream-Medien verhandelt als vor 20
Jahren. Wobei es noch immer einen Unterschied macht, ob Spiegel Online, FAZ
und Leipziger Volkszeitung über Conchita Wurst oder das Blutspendeverbot
für Schwule berichten oder ob es Homomedien mit Expertise und Szenekenntnis
tun.
„Der Markt für schwule, überregionale Kaufhefte ist seit Jahren kleiner
geworden, der Bedarf ist weg“, sagt auch Manuela Kay. Sie ist
Geschäftsführerin des Special Media SDL Verlags, bei dem neben der Du&Ich
auch das Lesbenmagazin l.mag sowie Europas größtes schwules Gratisheft
Siegessäule erscheint. „Die Kontaktanzeigen sind schon ewig verschwunden,
der Anzeigenmarkt war schon immer schwierig“, sagt sie.
## Viele Berührungsängste
Im Gegensatz zum englischsprachigen Raum hätten große Marken in Deutschland
noch immer Berührungsängste mit allem, was homosexuell ist. Trotzdem wehrt
sie sich gegen Untergangsfantasien eines ganzen Printsegments. „Beim l.mag
kann von Krise keine Rede sein.“ Das mit den Lesben hätten die Massenmedien
ebenso wie die Gesellschaft noch immer nicht begriffen. „Homosexuell wird
noch immer häufig mit schwul gleichgesetzt, Lesben kommen kaum vor“, sagt
sie. Und auch die Siegessäule vermeldete jüngst einen Auflagenrekord mit
über 53.000 Exemplaren im Monat, die in Berlin kostenlos verteilt werden.
Andere kostenlose schwul-lesbische Stadtmagazine kämpfen dagegen mit
finanziellen Schwierigkeiten und um ihre publizistische Relevanz. Waren die
meisten von ihnen vor drei Jahren noch unabhängig, fand seitdem ein
dramatischer Konzentrationsprozess statt. Die blu-Mediengruppe aus Berlin
schluckte die größten Titel: hinnerk in Hamburg, leo in München, rik in
Köln und gab in Frankfurt, Stuttgart und Mannheim. So entstand ein
homosexueller Verlagsriese mit über 120.000 Gratis-Exemplaren, der für
Anzeigenkunden interessanter sein soll.
Paul Schulz ist der neue Publishing Director der blu-Mediengruppe, zuvor
war er Chef bei Männer. Damals kritisierte er, wie viele in der schwulen
Szene, den Konzentrationsprozess bei Stadtmagazinen. Jetzt ist er
inhaltlich für sie verantwortlich. Konzentrationsprozesse seien nicht per
se schlecht, sagt er heute. „Wenn sie von Kompetenz unterfüttert sind, habe
ich keine Angst.“
## Schwule als Zielgruppe
Schulz sieht die vermeintliche Krise der schwulen Kaufzeitschriften ohnehin
gelassen. „Wenn man die Auflagenzahlen ins Verhältnis setzt zum Anteil
Schwuler in der Gesellschaft, ist das gar nicht so schlecht“, sagt er.
Leider hätten in Deutschland die großen Verlage nie Schwule als Zielgruppe
entdeckt. Wo sie doch sonst auf jeden Trend aufspringen würden: Heavy Metal
Fans, Autotuner, bürgerliche Jungfamilien. Für alle gibt es Magazine aus
Großverlagen.
Dabei wird die schwule Zielgruppe immer größer. „Heute gibt es 70-Jährige,
die ihr ganzes Leben schwul gelebt haben, das gab es vor 30 Jahren nicht“,
sagt Schulz. Die vorhandenen Kaufmagazine verstünden es nur nicht, die
Zielgruppe adäquat zu erreichen.
Ähnlich sieht das Peter Rehberg. Der Kulturwissenschaftler lehrt in den USA
unter anderem Queer Theory und hat mit seinem Kollegen Bradley Boovy jüngst
einen Aufsatz über „Schwule Medien nach 1945“ geschrieben. Denn sucht man
nach Gründen für die aktuelle Krise, muss man auch zurückblicken.
Laut Rehberg und Boovy haben schwule Medien seit jeher eine
Gegenöffentlichkeit ermöglicht. Besonders in der frühen Bundesrepublik
waren sie historisch an der Entstehung der Schwulenbewegung beteiligt.
## Alles anders nach Aids
In den 50er Jahren, als Homosexualität verfolgt und zensiert wurde, dienten
sie vor allem der Vermittlung schwuler Kultur – und von (Sexual-)Kontakten
–, mussten wegen juristischer Probleme aber schnell eingestellt werden.
Erst Ende der 60er etablierte sich Du&Ich. Während in den USA mit The
Advocate aber ein schwules Magazin gegründet wurde, das kulturelle und
politische Veränderungen reflektierte und das bis heute als Sprachrohr der
Schwulen wahrgenommen wird, waren die deutschen Homomedien eher unpolitisch
und an Pornografie angelehnt.
Auch Männer, die sich in den 80ern gründete, diente vor allem der
Bereitstellung von Sexbildchen und als Kontaktbörse. Wie bei anderen
Magazinen auch setzte sich Kultur und Politik nicht gegen
(Soft-)Pornografie als schwule Leitkultur durch. Politischer war da schon
die Siegessäule in Berlin, die, vor allem als Aids aufkam, eine alternative
Berichterstattung bot. Als Folge der Aids-Krise kam es schließlich zu einer
Desexualisierung. Die hält bis heute an. Penisse finden sich weder in der
aktuellen Ausgabe der Du&Ich noch in der Männer. Obwohl sie am Kiosk
zwischen Playboy und St. Pauli Nachrichten liegen. Ein weiterer Versuch,
sich an mögliche Anzeigenkunden anzupassen.
In der letzten Ausgabe der Du&Ich steht kein Wort vom Ende von Deutschlands
ältestem Schwulenmagazin. Alles wie immer: Reportage über Schwule im
Ausland, Bericht über Coming-out-Gruppen, ein bisschen Medienrezensionen,
Interview mit Pornostar, Kolumnen, Titelthema zur „schwulen Szene“ und
erotische Fotostrecken – nicht zu explizit. Wirklich anregend –
intellektuell, sexuell, geistig – ist das nicht.
## Gayromeo und queer.de
Keiner kauft heute mehr Schwulenmagazine, um sich nackte Männer anzusehen.
Da bietet das Internet sehr viel mehr. In Zeiten von Facebook, Gayromeo,
Grindr und schwulen Onlinemedien wie [1][queer.de] sind viele historische
Funktionen der Printtitel ins Netz gewandert. Sexualkontakte,
Informationen, Wichsvorlage, Veranstaltungskalender. Alles online. „Die
können das sogar besser“, sagt Rehberg.
Doch es geht ihm um mehr. „Eigentlich müssten schwule Medien der Ort sein,
wo schwule Kultur und queerer Diskurs stattfindet. Wo auch mal Kunst und
Porno verbunden wird.“ Das gebe es im Netz bisher nicht, die großen
Magazine haben es aber zuletzt auch nicht geleistet. „Dass die Du&Ich jetzt
vom Markt ist, ist deshalb kein großer Verlust“, sagt Rehberg. Denn
überzeugend sei der Titel aus seiner Sicht in den vergangenen Jahren nicht
gewesen.
Er sieht deshalb auch Positives in der aktuellen Krise. Es bräuchte jetzt
neue Ideen, neue Magazine, solche, die sich ernsthaft und umfassend mit
Schwulen auseinandersetzen. Ansätze dazu gibt es. Das niederländische
Magazin Butt etwa, das zwar immer als Vorbild genannt wird, aber 2011 das
letzte Mal gedruckt wurde. Hello Mr. aus New York oder Horst aus Hamburg.
Postporno, Queernes, Kunst, Kultur.
Eine weit verbreitete These ist, dass Schwule in der Post-Aids-Ära mit der
Heterogesellschaft eine Art Kuhhandel eingegangen sind. Die Utopien der
60er und 70er wurden aufgegeben, die Anpassung wurde vollzogen. „Es gibt
eine Gleichzeitigkeit von schwuler Sichtbarkeit und schwuler
Unsichtbarkeit“, sagt Rehberg. „Bei aller Assimilation muss man immer
wieder daran erinnern: Schwule leben anders, sie lieben anders, sie ficken
anders, sie haben andere Karrieren, andere Realitäten.“
Schwule Medien sind demnach nicht überflüssig geworden. Wer das sagt, folgt
dem Assimilationsparadigma. Es braucht einen Kontrapunkt. So profan es
klingt: Im Scheitern der alten Homomagazine kann auch die Chance für etwas
Neues liegen.
9 Aug 2014
## LINKS
[1] http://queer.de
## AUTOREN
Paul Wrusch
## TAGS
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