# taz.de -- Kolumne Behelfsettikett: Die Stonewashed-Jugend | |
> Geht gar nichts, dann hilft die verordnete Völkerfreundschaft: Wie | |
> Vietnamesen mit Jeans und lecker Essen BerlinerInnen das Leben | |
> verschönern. | |
Bild: Ja, die Mode war zu DDR-Zeiten eine ganz besondere Sache. | |
Anfang der 1980er Jahre muss es gewesen sein, als mich der Trend im | |
Mecklenburgischen erreichte. Durchs Westfernsehen – vor allem durch die | |
Musikshow „Formel Eins“ – waren wir immer auf den aktuellsten Stand, was | |
die Mode betraf. 1981 waren die ersten Jeans auf den westdeutschen Markt | |
gekommen, die mit Bimssteinen und Enzymen gewaschen nicht nur einen | |
weicheren Griff, sondern auch eine damals angesagte Stonewashed-Optik | |
bekamen. | |
Nur konnten wir DDR-Deutschen nicht in den erstbesten Laden gehen und | |
schicke Klamotten kaufen. Die gab es einfach nicht. Man musste jemanden | |
kennen, der jemanden kennt, der … Man musste sich cooles Zeug eben | |
besorgen. Und ich brauchte unbedingt eine Jeansjacke, das war eine | |
überlebenswichtige Investition. He! Ich war 14, und brachte meine Haartolle | |
mangels entsprechender Pflegeprodukte mit Zuckerwasser in Form. | |
Ich hatte eine Schwägerin, die nicht nur wesentlich älter als ich war, | |
sondern auch in einer Großstadt lebte, keine eineinhalb Stunden mit dem | |
Überlandbus von meinem Heimatdorf entfernt. Und sie hatte Vitamin B – das B | |
stand für „Beziehung“ – wie wir das damals nannten. Na ja, eigentlich ha… | |
wir Jugendlichen das auf englisch formuliert und sprachen von | |
„Connections“. Ich hatte also welche. Denn meine Schwägerin kannte | |
Vietnamesen, die in einem Plastemaschinenwerk arbeiteten. Dort stellten sie | |
Maschinen her, mit deren Hilfe sich aus Plaste (die DDR-Sprachvariante von | |
Plastik) Eimer oder Eierbecher herstellen ließen. | |
Mit dem Nähen von gerade populären Kleidungsstücken verdienten sich die | |
Vietnamesen etwas dazu. Die Geschäfte liefen gut. Wo sie den | |
Stonewashed-Stoff her hatten, weiß ich bis heute nicht. Ich musste einmal | |
Maße nehmen lassen von meiner Schwägerin, und ein paar Wochen später zu | |
einer Anprobe bei ihr. Dann konnte ich das gute Stück abholen – es war | |
absurd teuer. Aber in einem Land, in dem so etwas wie Exklusivität faktisch | |
nicht existierte, war das die einzige Möglichkeit, zu eben dieser zu | |
gelangen. | |
Für mich war das der erste, beileibe nicht direkte Kontakt zu Vietnamesen. | |
Die lebten für sich in einem Wohnheim und blieben unter sich. Komische | |
Leute, dachte ich, der keinen Vietnamesen persönlich kannte, nur eine von | |
ihnen genähte coole Jacke trug. Nur theoretisch waren wir Freunde, | |
gewissermaßen staatlich verordnet und durch Phrasen verbunden – von wegen | |
„Wir kämpfen gemeinsam für Weltfrieden und Sozialismus“. Und ja, es sollte | |
um Solidarität gehen mit dem vietnamesischen „Brudervolk“. Dabei war allen | |
klar, dass die DDR dringend Arbeitskräfte brauchte. Die Vertragsarbeiter | |
aus Asien hatten ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, fertig. | |
Bald nach dem Mauerfall flog die Stonewashed-Jeansjacke in den Müll. Sie | |
hatte ausgedient, wie so vieles. Auf Vietnamesisches bin ich erst wieder | |
ein paar Jahre später gestoßen, als ich 1994 nach Friedrichshain zog. Bei | |
mir um die Ecke wurde ein kleiner Asia-Imbiss eröffnet, der auf chinesisch | |
machte, aber von einem vietnamesischen Paar betrieben wurde. | |
Erst kam ein kleiner Laden dazu. Dann wurde der Imbiss größer und größer | |
(die Betreiberfamilie auch). Irgendwann veränderte sich das | |
Erscheinungsbild: Aus einem traditionell mit Klischee-Bildern drapierten | |
Imbiss entstand nach ein paar Wochen Umbau ein modern gestyltes, hipp | |
anmutendes Restaurant, das schnell immer mehr Leute anzog und auf einmal | |
„original vietnamesische Küche“ offerierte. Die ist äußerst lecker und | |
gesund. Und bis heute ist mir die vietnamesische Küche emotional näher als | |
die italienische oder griechische. Das liegt wohl an der Jeansjacke von | |
damals. | |
Ich hab eine alte Tante in Berlin, wie ich ostdeutsch sozialisiert. Sie | |
geht gerne ihre Blumen kaufen bei der vietnamesischen Blumenhändlerin oder | |
Tomaten beim vietnamesischen Gemüsehändler holen. Nur dass sie immer noch | |
davon spricht, so wie sie es zu DDR-Zeiten gelernt hatte, dass sie zum | |
„Fidschi“ geht – von wegen „befreundete Völker“, wie es im offiziell… | |
DDR-Jargon damals hieß. | |
4 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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