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# taz.de -- Kolumne Behelfsetikett: Tief ins Glas geschaut
> Die Marmeladensaison hat längst begonnen.
Bild: Rhabarber kommt als erstes in den Topf
Eine der wichtigsten Fragen des Frühjahrs steht jetzt an. Es geht nicht um
Frühjahrsputz. Natürlich nicht. Es geht um die Frage, ob die Gläser
reichen, die ich zum Einmachen von Marmeladen brauchen werde. Denn ich
produziere übers Jahr verteilt rund 200 Stück davon. Und die kommen in die
immer gleichen Gläser. Neue werden nicht gekauft, das verstößt gegen die
Einmacher-Ehre. Denn Gläser sammeln sich im Laufe der Zeit eh an: Da waren
mal Oliven, mal Leberwurst drin. Nur eben keine Marmeladen. Die wird nicht
mehr gekauft, die mach ich alle selber. Und nun geht’s los.
Unkundige werden sich verwundert die Augen reiben: Marmelade kochen – jetzt
schon!? Aber hallo! Der Rhabarber hat Saison: Bereits seit ein paar Wochen
gibt es das Gemüse zu kaufen. Das Knöterichgewächs ist das erste Frische,
das wächst – und zu Kompott, Kuchen, Saft und eben Marmelade verarbeitet
werden kann. Rhabarber, der saure Frühlingsbote, geht zum Beispiel mit
süßen Orangen eine raffinierte Liaison ein.
Noch vor fünf Jahren hab ich nicht in Marmelade gemacht. Ich wusste einfach
nicht, wie’s geht. Dachte wunder, wie schwer das ist. Dabei entstamme ich
einem Haushalt mit großem Garten, in dem von Frühjahr bis Herbst lauter
Zeugs in rauen Mengen heranwuchs.
Es gibt ja diese These: Je älter man wird, desto mehr entdeckt man gewisse
Seiten an sich, die man sich nicht ganz erklären kann. Bis man irgendwann
darauf kommt, dass die Saat dafür in Kindertagen gelegt wurde: Zu Hause
wurden jeden Sommer und Herbst Hunderte Gläser eingeweckt und eingekocht.
Und mit den Jahren stelle ich immer mehr Selbstgemachtes her. Es handelt
sich dabei um Marmeladen erster Güte. Das ist kein Eigenlob, sondern
Resonanz beschenkter Freunde und Familienangehöriger. Denn das ist das
Schöne am Eingekoche: Man hat nicht nur was zum Frühstück im Haus, sondern
immer ein Geschenk zur Hand. Selbstgemachtes spendet Freude – und
Bewunderung.
Seit ich einen Entsafter zu Weihnachten bekommen habe, ist meine
Produktpalette noch größer geworden. Neben feinen Marmeladen – schön durchs
Sieb passiert – und ordentlich stückigen Konfitüren sind Gelees der Renner.
Entsaftete Raritäten wie weiße oder schwarze Johannisbeeren sind so etwas
wie Bückware, man könnte auch Goldstaub sagen – will heißen: Sie sind
wirklich rar und teurer.
Diese besonderen, weil knappen Früchte kaufe ich entweder im Biomarkt oder
auf dem Wochenmarkt am Boxhagener Platz. Beim Fach-Obst-und-Gemüse-Händler
meines Vertrauens. Der nämlich besorgt sich seine Ware nicht nur wie alle
anderen Händler beim Großmarkt, sondern zusätzlich bei kleinen lokalen
Produzenten – und hat deshalb Raritäten für mich. Ich habe keinen Garten
und bin auf solche Händler angewiesen.
Deshalb kann ich kaum den Juni erwarten. Das ist der Monat, in dem die
heimische Erdbeerernte beginnt. Ware aus dem Ausland kommt mir nicht mehr
ins Glas: Die wird in der Regel zu unreif gepflückt und schmeckt nach
nichts. Ich bevorzuge Mecklenburger Erdbeeren vom Stand – das sind diese
großen hölzernen Erdbeerhäuschen, die in der ganzen Stadt herumstehen. Ich
koche Erdbeermarmelade pur. Mit Minze. Mit Himbeeren. Mit Rhabarber,
natürlich.
Doch Moment! Da liegen ja noch zwei Kilogramm aus dem letzten Jahr im
Tiefkühlfach. Aber wie plant man den Eigenbedarf an Marmelade? Zu Hause
stehen volle Gläser von 2012 und 2013 herum, obwohl ich viel verschenke.
Und die neue Einkochsaison beginnt erst …
Okay, ich gebe es zu: Wenn die Gläser nicht reichen, kaufe ich doch neue
hinzu. Dogmatismus hilft hier keinem. Schließlich zieht sich die Saison bis
in den Herbst, wenn die wahren Raritäten zu ernten sind. Umsonst und
draußen. In den Parks von Berlin oder im Umland. Nichts geht über selbst
gemachtes Holundergelee oder Schlehenmarmelade. Ganz zu schweigen von
Brombeer- oder Schlehenlikör, natürlich selbst aufgesetzt. Aber das ist
schon wieder ein anderes Thema.
12 Apr 2015
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