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# taz.de -- Kolumne Behelfsetikett: Engel sind auch nur Menschen
> Von Vögeln und anderen Himmelserscheinungen: Ein windiger Samstag in
> Berlin.
Bild: Lassen sich auch vom Wind nicht stören: zwei Spatzen in Berlin.
Diesmal schreibe ich eine Kolumne über Porno, denke ich mir, schließlich
musste ich mich beruflich acht Jahre lang auch damit herumschlagen. Ich
setze mich zum Schreiben an den Rechner – und dann kommt natürlich etwas
dazwischen: eine Horde kleiner Vögeln, die meinen Balkon in Beschlag
nehmen. Okay, schreibe ich eben eine Kolumne über niedliche Tiere. Das
passt wunderbar zu unserer tierischen Sommerserie, die immer dienstags in
der taz erscheint.
Auf dem Balkon blühen derzeit die Sonnenblumen vor sich her, lauter alte
Sorten. Auf die Sonnenblumenkerne haben es die kleinen Viecher abgesehen
und machen einen Höllenlärm dabei. Sie fühlen sich sicher und unbeobachtet.
Dabei war die Balkontür sperrangelweit auf, aber eine durchsichtige Gaze,
eine Art Fliegenschutz, ließ mich alles gut sehen und hören. Ich komme mir
wie ein richtiger Tierbeobachter vor. Mir gelingen sogar Filmaufnahmen. Sie
dienen der Identifizierung dieser Frechspatzen.
Die Gruppe aus vielleicht acht bis zehn Tieren stellt sich als Wandertrupp
des Stieglitzes heraus, auch Distelfink genannt. Der Stieglitz ist ein
Futterspezialist, lese ich im Internet, und mag halbreife und reife
Sämereien von Stauden, Wiesenpflanzen und Bäumen und eben auch
Sonnenblumen. Der Stieglitz sucht die Umgebung nach Nahrung und Futter ab –
immer in der Gruppe, da Sämereien räumlich und zeitlich ungleichmäßig
verteilt sind, lautet die Erklärung. Ich hatte also gar nichts
Ungewöhnliches beobachtet. Dennoch war es etwas Besonderes für mich.
## Dann wird’s überirdisch
Um diese Kolumne weiter mit Tierischen zu füllen, bot sich das Wochenende
an. Mein Mann und ich sind zum Grillen in einem Garten am Stadtrand
eingeladen. Den „Zug der Liebe“ hinter uns lassend, wurde es jedoch
überhaupt nicht tierisch, sondern – überirdisch. Aus dem Supermarkt kurz
vor unserem Ziel kommt eine kleine Frau auf uns zu, die irgendwie seltsam,
ja verstrahlt aussieht, wie nicht von dieser Welt. Sie lächelt. Das ist für
Berliner Verhältnisse ja schon ungewöhnlich genug, doch sie spricht uns
auch noch an. Sie wolle nur mal etwas fragen und ob das okay wäre ...
Wir sind spät dran, lassen uns aber auf ein kurzes Gespräch ein. Die Dame
holt aus: Sie würde ja so gern zum CSD gehen, denn da würde sie sich sehr
wohlfühlen, wie immer unter schwulen Männern, denn sie selbst sei asexuell,
Psychopharmaka hätten sie dazu gemacht, und Schwule würden sie in Ruhe
lassen. „Seid ihr Schwule?“, fragt sie abschließend.
Das bejahen wir, wir haben nichts zu leugnen. Daraufhin drückt sie uns die
Hand und sagt – es fühlt sich wie ein Ritterschlag an, ach was: wie eine
Segnung: „Ihr seid Engel! Denn Schwule sind Engel!“ Sie lächelt noch einmal
und verschwindet.
Dann Bratwurst und Aubergine vom Grill. Den Nachmittag über – Samstag ist
es stürmisch und im Stadtzentrum tobt immer noch der Zug der Liebe – zeigt
sich im Garten kein einziges Tier, nicht mal ein Vogel. Die sind eben alle
schlauer als wir Menschen und bleiben bei Sturm zu Hause.
Am Abend dann, der Wind hat sich längst gelegt, treiben es zwei Spatzen
wild miteinander auf dem Balkonsims. Ein Vogelporno, immerhin.
2 Aug 2015
## AUTOREN
Andreas Hergeth
## TAGS
Vögel
Wind
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