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# taz.de -- Kolumne Behelfsetikett: Die Geschmacksdiktatur lässt grüßen
> Kaffee ohne jeden Milchschaum wird jetzt wieder getrunken. Wer auf Milch
> beharrt, hat bisweilen Pech – und fühlt sich an die DDR erinnert.
Bild: So ist es etwas trocken: Aber Milch gibt es trotzdem nicht!
Milchgeschäumte Kreationen sind ja irgendwie out. Viele BerlinerInnen
haben sich an Cappuccino und Latte macchiato satt getrunken. Geht mir
genauso. Viel zu viel Milch, die dann süß schmeckt, und zu wenig herber
Kaffee.
Der Trend hat sich längst umgekehrt. Kaffee brühen ist jetzt das große
Ding. Noch immer eröffnen Cafés mit angeschlossener Kaffeerösterei. Dort
werden vor Ort ausgewählte Kaffeesorten aus aller Welt, oft Bioware und
Fairtrade, geröstet. Das macht sie einmalig, denn jede Röstung ist anders.
Sorte, Anbauregion, Qualität, Röstzeit und Rösttemperatur – das alles läs…
sich schmecken.
Für das Mehr an Geschmack zahle ich gern ein paar Euro mehr. Eins meiner
Lieblingscafés, das „KaffeeRaum“ im Bötzowviertel in Prenzlauer Berg, hat
ein paar erstklassige Sorten im Angebot, die Nuancen sind was für feine
Zungen. Eine Sorte aus Äthiopien ist ein kräftiger, würziger Kaffee, der
leicht nach Kakao schmeckt. Ein Kaffee aus Malawi bietet eine
zurückhaltende Säure, Nuancen von Schokolade und dunklen Beeren.
Ich trinke mal Kaffee aus Peru, mal aus Tansania, aber immer aus dem
French-Press-Glaskännchen. Der Kaffee dafür wird frisch gemahlen und
„türkisch“ aufgebrüht. Kurz warten, Sieb runterdrücken, fertig. Diese
Kannen heißen im Fachjargon „Pressstempelkannen“. So ein Wortungetüm hät…
sich auch die DDR mit ihren teils skurrilen Bezeichnungen für Dinge des
Alltags ausdenken können.
Apropos DDR: Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen, da gab es Konsum,
Bäcker, Kneipe und viel Langeweile. Wir gingen abends oft in die
Gaststätte. Zu essen gab es außer Bockwurst und Salzstangen (wenn es
Salzstangen gab) nichts weiter. Die Bockwurst war leider auch keine sichere
Bank. Mal gab es kein Brot dazu, mal war die Wurst alle, aber Brot noch
vorrätig. War der Appetit groß, bestellten wir eine Scheibe Brot – mit Senf
bestrichen. Senf war immer da. „Nimm nicht so viel Senf“, hat meine Oma
stets gescherzt, „Senf macht dumm.“
Worauf ich hinauswill: Die DDR war eine Geschmacksdiktatur. Man konnte nie
das essen, worauf man gerade Lust hatte, sondern nur das, was vorrätig war.
Kaffee übrigens wurde in der DDR-Dorfkneipe in Mitropa-Tassen türkisch
aufgebrüht. So gesehen, ist mir aufgebrühter Kaffee von jeher näher als
jedes italienisch daherkommende Heißgetränk (außer milchloser Espresso, das
ist was anderes).
Ich musste zuletzt immer mal wieder an die Senfbrote denken. Denn die
Geschmacksdiktatur ist zurück. Sie kommt jetzt nur moderner verpackt daher,
mit einem individuellen Touch. Es gibt da scheint’s einen universellen
Ratgeber, den vor allem Cafés mit eigener Kaffeerösterei zu beherzigen
scheinen. Kurz zusammengefasst lauten diese Regeln: Selbstbedienung.
Englischsprachiges und vollbarttragendes Personal. Gehobenes Preissegment.
Viel Holz als Interieur. Ein bisschen Budenzauber (Kunst oder Deko oder
Musik oder alles zusammen). Und eben richtig guten Kaffee: tolle Sorten,
super Röstungen, spezielle Zubereitungen.
Eigentlich ist mir das alles egal, ich kann gut und gern meinen Kaffee auf
Englisch bestellen und lauter Hipster-Schnickschnack ertragen, solange der
Kaffee – eben aufgebrüht– richtig gut ist. Im „The Barn“ nahe dem
Rosa-Luxemburg-Platz soll er das sein. Einem jener Cafés neuen Typs mit
eigener Rösterei, wie ich gelesen hatte. Den Kaffee wollte ich kosten.
Doch das klappte nicht. Die Kaffeekreationen, so wurde mir erklärt, hätten
alle so feine Aromanuancen, die würden durch den Geschmack der kleinsten
Menge Milch verfälscht. Das hab ich natürlich eingesehen. Es war mir aber
egal, ich wollte Milch. Denn ich trinke meinen Kaffee niemals schwarz. Doch
selbst wenn ich Milch bestellen würde, so die Auskunft am
Selbstbedienungstresen, bekäme ich einfach keine. Also hab ich verzichtet.
Ich hab keinen Bock auf Geschmacksdiktatur.
30 Aug 2015
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