| # taz.de -- „Schwäbische Zeitung“ auf Abwegen: Rechtsruck in Ravensburg | |
| > Populistische Texte, Interviews mit Extremisten – worum geht es bei dem | |
| > Kurswechsel der „Schwäbischen Zeitung“? Und was sagen die Mitarbeitenden? | |
| Bild: Die Wochenendausgabe der Schwäbischen Zeitung | |
| Berlin taz | Christlich und konservativ: Das war die [1][Schwäbische | |
| Zeitung] schon immer. Doch in den vergangenen Monaten rückt die | |
| Regionalzeitung aus Ravensburg immer weiter nach rechts, berichten | |
| ehemalige und derzeitige Mitarbeiter*innen der taz. | |
| Das zeigt sich etwa an einem Interview mit Hans-Georg Maaßen vom 21. Juli. | |
| Schon in der Überschrift darf der Ex-Verfassungsschutzchef, der sich seit | |
| dessen Rauswurf im November 2018 immer wieder rechtspopulistischer und | |
| verschwörungsideologischer Narrative bedient, behaupten, | |
| Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sei „die größte Gefahr für unsere | |
| freiheitliche Demokratie“. | |
| Die Aussage bleibt im Gespräch unwidersprochen, Maaßen behauptet, Faeser | |
| würde „der linksextremen Antifa nahestehen“. Im Rest des Interviews darf er | |
| die Kernfragen der Querdenken-Blase aufgreifen („Was wusste die | |
| Bundesregierung? Woher kamen die Coronaviren wirklich?“). Und die | |
| Falschbehauptung verbreiten, die ihn einst den Job gekostet hat: Es sei | |
| eine „Lüge“, dass es 2018 in Chemnitz rassistische Hetzjagden gegeben habe. | |
| Und die Schwäbische Zeitung? Sie stilisiert Maaßen als Opfer der Affäre: | |
| „Sie sind damals hart angegangen worden […]. Waren Sie im Nachhinein | |
| überrascht, wie sehr Sie von einem Großteil der Medien und dann auch von | |
| der Politik in die rechte Ecke abgestempelt worden waren?“ | |
| ## Was die Mitarbeiter*innen sagen | |
| Eine Reihe weiterer fragwürdiger Texte, Interviews oder redaktioneller | |
| Entscheidungen sorgten auch intern für scharfe Kritik. Vor allem der | |
| überregionale Teil der Zeitung fällt zunehmend mit populistischen | |
| Positionen auf. | |
| Die taz hat mit mehreren Mitarbeiter*innen gesprochen. Manche haben | |
| inzwischen gekündigt, andere überlegen, die Zeitung zu verlassen. Sie alle | |
| wollen anonym bleiben – aus Angst vor beruflichen Konsequenzen. Ihr Urteil | |
| ist eindeutig: Das Blatt, für das sie gerne geschrieben haben, ist nicht | |
| mehr dasselbe. | |
| „Über diesen Rechtsruck wird kaum geredet“, sagt eine. Eine andere: „Es | |
| gibt einen Ruck zu rechtspopulistischen Inhalten, die wir als Belegschaft | |
| mit großer Sorge sehen.“ Ein dritter spricht von einem „verschwörerischen | |
| und populistischen Unterton“, der eine bestimmte Zielgruppe triggern soll: | |
| „Flankiert wird das durch Interviews mit neurechter Prominenz, die | |
| Gefälligkeitsjournalismus darstellen.“ | |
| Im Jahr 1945 wurde die Schwäbische Zeitung gegründet, herausgegeben vom | |
| Schwäbischen Verlag. Die „Tageszeitung für christliche Kultur und Politik“ | |
| ist eines der größten Blätter Baden-Württembergs mit rund 130.000 | |
| Abonnent*innen – mehr als die taz hat. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, | |
| darunter renommierte Journalistenpreise. Doch sie ist von den | |
| Herausforderungen der Branche betroffen: Die Abozahlen sinken, die Kosten | |
| steigen. | |
| ## Und die Chefredaktion? | |
| Lutz Schumacher soll die Zeitung wieder auf Kurs bringen: Im Januar 2020 | |
| wechselte der Geschäftsführer vom mecklenburg-vorpommerischen Nordkurier | |
| zum Schwäbischen Verlag, ein Jahr später wurde der Verlag zum alleinigen | |
| Gesellschafter der Nordkurier Mediengruppe, nachdem er schon seit über 30 | |
| Jahren zu einem Drittel daran beteiligt gewesen war. | |
| Schumacher spricht in Interviews von einer „digitalen Transformation“ – | |
| auch der Kauf des Nordkuriers gehört dazu. Statt digitale Abos will er auf | |
| Reichweite setzen, die Bezahlschranke der Onlineseite wurde inzwischen | |
| abgeschafft. An einer „Klick-Schlacht“ wolle er sich aber nicht beteiligen. | |
| Die Realität sieht bisher anders aus: Im Juni veröffentlichte die | |
| Schwäbische Zeitung das ungekürzte und unverpixelte Video des tödlichen | |
| islamistischen Messerangriffs in Mannheim, bei dem ein Polizist ermordet | |
| wurde. Bis heute ist die Aufnahme online. Vier Personen haben sich | |
| inzwischen über das Video beim Deutschen Presserat beschwert, der sich nun | |
| mit dem Fall beschäftigen wird, heißt es auf taz-Anfrage. Auch | |
| Mitarbeiter*innen üben Kritik. Und die Chefredaktion der Schwäbischen | |
| Zeitung? Sie will die redaktionelle Entscheidung nicht kommentieren. | |
| Doch auffällig ist vor allem der politische Kurswechsel des Blatts, denn | |
| das Maaßen-Interview war kein Ausrutscher: Im Mai durfte der AfD-Politiker | |
| Maximilian Krah, Spitzenkandidat der rechtsradikalen Partei bei der | |
| Europawahl, auf einem prominenten Platz in der Zeitung ausführlich zu Wort | |
| kommen. Kurz zuvor wurde dessen Mitarbeiter wegen mutmaßlicher Spionage für | |
| China festgenommen, Krah soll zudem Geld aus Russland erhalten haben. | |
| Kritische Nachfragen? Nicht wirklich. | |
| ## Bewusst gewählte Triggerthemen | |
| Ähnlich unkritisch verliefen Interviews mit den AfD-Chefs Alice Weidel und | |
| Tino Chrupalla. Grünen-Chef Omid Nouripour wiederum musste sich im Juni | |
| dafür rechtfertigen, dass seine Partei „besonders gegen ‚rechts‘“ käm… | |
| mit „rechts“ in Anführungszeichen. Der Interviewer, Mitglied der | |
| Chefredaktion, wirft der grünen Partei vor: „Teile der Grünen haben | |
| Schwierigkeiten mit zu viel Nationalstolz.“ | |
| Es entsteht das Bild einer Zeitung, deren Kernthemen sich zunehmend wie | |
| bewusst gewählte Triggerthemen lesen, die Klicks generieren sollen, ob | |
| Gendern oder Coronapolitik. Und diese Wende führen manche | |
| Kritiker*innen auf einen Mann zurück: Jürgen Mladek, der im April 2022 | |
| vom Nordkurier zum Co-Chefredakteur der Schwäbischen Zeitung wechselte und | |
| dann zum Leiter des neuen „Editorial Boards“ ernannt wurde, der die | |
| Chefredaktionen beider Zeitungen ersetzt. | |
| In Mecklenburg-Vorpommern wurde der Nordkurier unter seiner Aufsicht [2][zu | |
| einem Querdenken-nahen Blatt]. Mit allen reden und dabei bloß nicht zu | |
| kritisch sein – so schien seine Devise zu sein. Auch mit Rechtsradikalen, | |
| Querdenkern oder Pseudowissenschaftler*innen. | |
| Mit diesem Kurs soll er mit seiner neuen Redaktion in Ravensburg | |
| aneinandergeraten sein. Er habe die Schwäbische Zeitung zu einem „Abklatsch | |
| des Nordkuriers“ gemacht, berichtet eine Redakteurin der taz. | |
| ## „Es ändert sich gar nichts“ | |
| Ende Juni beschrieb [3][ein Artikel des Medieninsider]s die Zustände bei | |
| der Schwäbischen Zeitung unter Mladek: Die Stimmung sei „massiv | |
| verschlechtert“, berichteten Mitarbeiter*innen dem Portal, er falle | |
| auf mit „kruden Ansichten“. Auch [4][ein SWR-Artikel von Anfang] August | |
| zitiert Mitarbeiter*innen: Es gebe eine Offenheit für rechtspopulistische | |
| Themen. Einige langjährige Journalist*innen haben deshalb die Zeitung | |
| inzwischen verlassen, wie Katja Korf, Mitglied der Chefredaktion, oder | |
| Michael Wollny, Leiter der Onlineredaktion. Mit einer Austrittsprämie | |
| wollte Geschäftsführer Schumacher rund 40 Stellen abbauen. Am 13. August | |
| schrieb der Verlag in einer internen E-Mail, die der taz vorliegt, dass | |
| dieses Ziel schon frühzeitig erreicht worden sei. | |
| Eine Wende in der Geschichte: Am 10. Juli starb Jürgen Mladek plötzlich im | |
| Alter von 56 Jahren. Der rechte Rand trauerte mit: „Deutschlands mutigster | |
| Chefredakteur während der Corona-Pandemie“, hieß es in der Überschrift | |
| eines Nachrufs [5][beim rechtspopulistischen Portal Nius], verfasst von | |
| Mladeks früherer Nordkurier-Kollegin Simone Schamann. Auch die | |
| rechtsnationale Junge Freiheit fand für Mladek glühende Worte, nannte ihn | |
| einen „glorreichen Halunken“. Der rechte Desinformationsblogger Boris | |
| Reitschuster schrieb: „Ein Journalist, wie ich mir Journalisten seit meiner | |
| Kindheit immer vorstellte.“ | |
| Inhaltlich ändert sich nach Mladeks Tod wenig. Gabriel Kords, sein | |
| Nachfolger als Nordkurier-Chefredakteur, übernimmt die Leitung des Boards | |
| beider Zeitungen. Ex-Nius-Chef Jan David Sutthoff ist stellvertretender | |
| Chefredakteur. Hinzu kommt ab dem 1. September Philippe Debionne, ehemals | |
| Berliner Zeitung, der sich in einer Videoschalte für Redaktionsmitglieder | |
| am 12. August als „Sprössling der altehrwürdigen | |
| Mladek-Journalisten-Schule“ bezeichnet haben soll. | |
| „Das Editorial Board hat sofort nach Mladeks Tod klargemacht: Es ändert | |
| sich gar nichts“, sagt eine Redakteurin. Sie fragt sich, ob der | |
| publizistische Kurswechsel Teil einer Strategie sei, Reichweite zu | |
| generieren. Und sie ist nicht die Einzige. „Die Strukturen werden als | |
| mediales Vehikel genutzt werden, um über Clickbait und Skandalisierung | |
| digitale Reichweite – und Stimmung – zu machen“, sagt ein anderer | |
| Mitarbeiter. „Es steckt also auf unternehmerischer Seite eventuell auch | |
| reiner ökonomischer Opportunismus dahinter.“ | |
| Michael Seidel, Kommunikationsleiter des Schwäbischen Verlags, weist diese | |
| Sichtweise vehement zurück und wirft der taz eine „tiefgreifende Unkenntnis | |
| der Materie“ vor. Einen Kurswechsel gebe es nicht. Chefredakteur Gabriel | |
| Kords beschreibt die Zeitung als „seit jeher | |
| bürgerlich-liberal-christlich“, Populismus lehne sie ab. Beide bestreiten | |
| stark, dass die Zeitung sich in eine „rechte“ verwandelt habe. Und hinter | |
| dem Kauf des Nordkuriers stünde keine politische Entscheidung, sondern | |
| „schwäbisches Unternehmertum“. | |
| Eine Erklärung für den Kurswechsel, den es offiziell nicht gibt, bietet | |
| Kords dennoch: „Die Chefredaktion hat zuletzt etwas stärker darauf | |
| geachtet, in der Berichterstattung tatsächlich alle relevanten | |
| gesellschaftlichen Gruppen abzubilden und möglichst auch zu erreichen – | |
| darunter auch solche, die von den meisten großen Medien in den vergangenen | |
| Jahren nicht immer überzeugend erreicht worden sind.“ | |
| Zumindest manche Leser*innen der Schwäbischen sind von ihrer Zeitung | |
| nicht mehr überzeugt. Eine, die sie seit 20 Jahren abonniert hat, sagt: | |
| „Sie wird immer tendenziöser, immer populistischer.“ Meinungsvielfalt sieht | |
| anders aus. | |
| 24 Aug 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.schwaebische.de/ | |
| [2] /Nordkurier-bekommt-Konkurrenz/!5765749 | |
| [3] https://medieninsider.com/schwaebische-zeitung-juergen-mladek/22414/ | |
| [4] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/friedrichshafen/schwaebisc… | |
| [5] /Rechtes-Medienportal-Nius/!5945019 | |
| ## AUTOREN | |
| Nicholas Potter | |
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