Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Subventionierung von Tageszeitungen: Perfekter Tabubruch
> Der Bund steigt in die Subventionierung des Vertriebs von Tageszeitungen
> ein. Die Summe reicht nicht, um die Probleme der Branche zu lösen.
Bild: Zeitungszusteller bekommen mittlerweile auch den Mindestlohn, für die Ve…
Lutz Schumacher dürfte sich in diesen Tagen verstanden fühlen. Der
Geschäftsführer des Nordkurier, der mit einem eher dünn besiedelten
Verbreitungsgebiet in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gesegnet ist,
hatte seit Jahren den Tag beschworen, an dem die Belieferung der immer
weniger werdenden Abonnent*innen mit der gedruckten Zeitung schlicht
logistisch nicht mehr möglich, weil zu teuer würde. Anfang 2019 dachte die
Funke-Gruppe dann ebenfalls laut über ein Ende ihrer gedruckten Zeitungen
in Thüringen nach – und scheuchte damit die Politik im Freistaat auf.
Gehandelt wird jetzt auf Bundesebene. Der [1][Haushaltsausschuss des
Bundestags hatte schon vor einer Woche] 40 Millionen Euro für die
Unterstützung des Vertriebs von Tageszeitungen und Anzeigenblättern im
kommenden Jahr durchgewinkt, die noch ausstehende Bestätigung durch das
Bundestagsplenum gilt als Formsache. Nach Presseberichten hatte
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zunächst sogar 100 Millionen Euro
vorgesehen, diese Summe wurde dann aber schleunig wieder
zusammengestrichen.
Für die Zeitungsunternehmen ist die Sache klar: Sie leiden am 2018 auch
[2][für Zeitungszusteller*innen eingeführten Mindestlohn], der sich nach
Arbeitsstunden bemisst. Zuvor wurden die Menschen, die meist noch vor 6 Uhr
morgens die Briefkästen der Leser*innen bestücken, pro ausgelieferter
Zeitung bezahlt. Nun mache der Mindestlohn das ohnehin im digitalen Wandel
schwer geforderte Geschäftsmodell der klassischen Tageszeitungen schier zu
einem Ding der Unmöglichkeit.
Weshalb der Einstieg in diese direkte Infrastruktur-Förderung der Presse
zwar nett, aber viel zu wenig sei: „Es ist gut, dass das Arbeitsministerium
den Handlungsbedarf erkannt und sich entschlossen hat, auf eine Situation
zu reagieren, die auch durch Regierungshandeln entstanden ist“, [3][heißt
es in einem Statement von Dietmar Wolff], dem Hauptgeschäftsführer des
Bundesverbandes deutscher Zeitungsverleger (BDZV).
## Digitale Transformation
Die geringe Förderhöhe für das Jahr 2020 löse aber „kein einziges Problem…
Denn die Fördersumme würde pro ausgeliefertem Zeitungsexemplar „weniger als
einem Cent“ entsprechen, so Wolff. Immerhin werden in Deutschland aktuell
noch immer über 13 Millionen gedruckte Zeitungen pro Tag verkauft und
zugestellt, die Anzeigenblätter sind in dieser Zahl noch gar nicht
enthalten.
Laut BDZV betragen die Vertriebskosten im Durchschnitt aber 52 Cent pro
ausgetragener Zeitung. „Der hohe Kostendruck bei der Zeitungszustellung
bleibt eine Herausforderung mit gesellschaftspolitischer Tragweite, was
sich zukünftig auch in einer angemessenen und wirksamen Förderhöhe
widerspiegeln muss“, fordert daher der BDZV.
Der Tabubruch ist allerdings auch mit 40 Millionen Euro perfekt: Die
Verlage fordern erstmals direkte Subventionen vom Staat. Bislang gibt es
nur indirekte Vorteile wie den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent
auf Presseprodukte und Vergünstigungen beim allerdings immer unwichtiger
werdenden Vertrieb der Zeitungen per Post.
Eine ähnliche Diskussion gibt es in der Schweiz. Auch dort lehnten die
Verlage eine Presseförderung lange Zeit ab, nun ist sie als „Stärkung der
Branche zugunsten der Demokratie und des Föderalismus“ – so der ehemalige
Tagesanzeiger-Chefredakteur Peter Hartmeier – höchst willkommen. Ähnlich
wird auch in Deutschland argumentiert.
Die Verödung vor allem der Lokal- und Regionalberichterstattung nun aber
dem Mindestlohn für die bislang unterirdisch bezahlten Zusteller*innen
in die Schuhe zu schieben, lenkt ab vom seit Jahren praktizierten Sparkurs
in Redaktionen und von der nach wie vor mangelhaften
Innovationsbereitschaft oder -fähigkeit vieler Verlagshäuser.
## Nachteile im ländlichen Raum
Der Bund will die Zustellung zunächst nun als Beitrag zur „digitalen
Transformation“ unterstützten, wie es in dem vom Haushaltsausschuss
verabschiedeten Antrag heißt. Das Ganze soll zunächst auf fünf Jahre
begrenzt sein.
Damit überhaupt Geld fließt, muss außerdem noch ein schlüssiges
Gesamtkonzept her. Und hier liegt der nächste Pferdefuß: Nicht bei allen
Zeitungen ist der Vertrieb so aufwändig und kostenintensiv wie
beispielsweise beim Nordkurier. Zeitungen mit immer noch hoher Abo-Dichte
in Ballungsräumen stehen besser da als die in ländlichen Räumen. Doch wie
soll unterschieden werden?
21 Nov 2019
## LINKS
[1] /Zeitungen-in-der-Krise/!5642331
[2] /Prekaere-Arbeit-in-Berlin/!5586778
[3] https://www.bdzv.de/
## AUTOREN
Steffen Grimberg
## TAGS
Schwerpunkt Zeitungskrise
Zeitung
Journalismus
Zeitungsmarkt
Literatur
Medien
Hubertus Heil
Schwerpunkt Zeitungskrise
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Schwäbische Zeitung“ auf Abwegen: Rechtsruck in Ravensburg
Populistische Texte, Interviews mit Extremisten – worum geht es bei dem
Kurswechsel der „Schwäbischen Zeitung“? Und was sagen die Mitarbeitenden?
Aufruf bayerischer Kleinverleger: Schutz vor kultureller Demenz
In Zeiten des Rechtsrucks müssen gerade kleine Verlage gefördert werden. Es
braucht Geschichten von und über Menschen anderer Klassen und Herkunft.
Zeitungen in der Krise: Subventionen für Zustellung
Der Haushaltsausschuss des Bundestags will in die finanzielle Unterstützung
von Zeitungsverlagen einsteigen. Das Parlament muss noch zustimmen.
Kolumne Liebeserklärung: Hoffnung für Baumreste
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erwägt Subventionen für
Zeitungszusteller. Ist das die Rettung der Printmedien?
Kommentar Zeitungskrise bei DuMont: Im Schlummer-Schlummer-Land
DuMont will vielleicht alle seine Zeitungen verkaufen. Huch. Daran sind
nicht nur die zahlungsfaulen Leser*innen schuld.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.