# taz.de -- Schutz vor Corona für Geflüchtete: Abstand nicht möglich | |
> In ersten Flüchtlingsunterkünften gibt es Corona-Fälle. Schwierig ist | |
> besonders die Lage von Menschen ohne Aufenthaltstitel. | |
Bild: Hier wird es eng: Mehrbettzimmer in einer Flüchtlingsunterkunft in Frank… | |
BERLIN taz | Ahmad Mohamed hat Angst. „Wir wohnen mit drei oder vier Leuten | |
auf einem Zimmer. Wir schlafen zusammen, essen zusammen. Wie sollen wir | |
Abstand zueinander halten?“ Mohamed kommt aus Afghanistan. Weil er keinen | |
Ärger will, ist sein Name in diesem Artikel geändert. Seit fünf Jahren lebt | |
er in Deutschland, momentan im bayernweiten Ankunfts- und Verteilzentrum in | |
der Maria-Probst-Straße in München. Dort wurden bereits drei Bewohner | |
positiv auf das Corona-Virus getestet. „Wir alle haben Angst, uns | |
anzustecken“, sagt Mohamed. | |
Die Infizierten und direkte Kontaktpersonen seien unter häusliche | |
Quarantäne gestellt worden, es gehe ihnen gut, sie zeigten bisher keine | |
Symptome und würden gut versorgt, erklärt Verena Gros, Pressesprecherin der | |
Regierung Oberbayern, auf taz-Anfrage. Alle übrigen der rund 450 | |
Bewohner*innen stünden nicht unter Quarantäne, unterlägen aber einer | |
besonderen Gesundheitsbeobachtung. Das gleiche gelte für die Beschäftigten | |
vor Ort. | |
In allen anderen Unterkünften seien die vorbeugenden Maßnahmen intensiviert | |
und Personal und Bewohner*innen aufgeklärt und sensibilisiert worden. Schon | |
seit Ende Januar würden neu ankommende Asylsuchende verdachtsunabhängig auf | |
das Virus getetstet. Derzeit würden Vorbereitungen getroffen, „um über | |
ausreichende Kapazitäten für eine isolierte Unterbringung und Quarantäne zu | |
verfügen“, so Groß. Außerdem seien Desinfektionsmittel, Masken und | |
Handschuhe bereitgestellt worden. | |
„Die Securities und andere Angestellte kommen nur noch mit Masken“, | |
bestätigt Mohamed. „Aber wir haben keine bekommen.“ Er fühlt sich auch | |
nicht ausreichend informiert. Was er über das Virus und die | |
Verhaltensvorgaben wisse, stamme aus dem Internet. „Bei Facebook und | |
Youtube, da kann man schon mitkriegen, dass man aufpassen muss“, sagt er. | |
„Es ist eine Katastrophe hier. Vor allem für die Familien mit Kindern.“ | |
## Ausgangssperre für 533 Menschen | |
Deutlich dramatischer ist die Lage im thüringischen Suhl. Dort sitzen seit | |
dem Wochenende die 533 Bewohner*innen der Erstaufnahmeeinrichtung des | |
Landes in Quarantäne. Am Freitagabend war dort ein Bewohner positiv auf das | |
Coronavirus getestet worden. Der Mann war erst am gleichen Tag in die | |
Unterkunft gekommen. Er wird nun isoliert untergebracht. Sämtliche | |
Bewohner*innen dürfen sich zwar im Haus frei bewegen – das Gelände aber | |
nicht verlassen. | |
Medien berichten, dass die Lage in der Unterkunft angespannt ist. Mehrere | |
Bewohner*innen hätten bereits versucht, über den Zaun zu klettern, konnten | |
aber durch Gespräche davon abgehalten werden. Die Polizei sei rund um die | |
Uhr vor Ort. [1][Dem Nachrichtenportal inSüdthüringen.de] sagte ein | |
Bewohner, man fühle sich „alleingelassen“. Es gebe keine Schutzmasken und | |
die medizinische Versorgung sei dürftig. | |
Die Ein- und Ausganssperre gelte für mindestens 14 Tage, erklärt das | |
Thüringer Migrationsministerium auf Anfrage. Es werde „alles getan, um die | |
Situation für alle Beteiligten, insbesondere die Bewohner/innen, möglichst | |
entlastend zu gestalten“. Aufgrund der Quarantäne könne derzeit niemand neu | |
in der Unterkunft aufgenommen werden. Im Moment würden keine Flüchtlinge | |
nach Thüringen zugeteilt. | |
Pro Asyl bekräftigt angesichts der aktuellen Lage seine alte Kritik an | |
Sammelunterkünften: „Wenn Menschen auf engem Raum in Lagern leben müssen, | |
ist die [2][Gefahr groß, dass viele krank werden]. Ohnehin ist die | |
Belastung in Großunterkünften groß, weil es kaum Privatsphäre und | |
Rückzugsorte gibt und weil die Betroffenen isoliert und ohne sozialen | |
Anschluss am Rande von Ortschaften leben“, sagt Günter Burkhardt, | |
Geschäftsführer der NGO. | |
## Abschiebungen aussetzen | |
Es sei nun höchste Zeit, die Großunterkünfte zu schließen und die Menschen | |
zügig auf die Kommen zu verteilen. Nur so könne eine Ausbreitung des Virus | |
verhindert werden. | |
Ähnliches fordern auch die Flüchtlingsräte. Zudem müssten mit Blick auf die | |
weltweite Krise alle [3][Abschiebungen ausgesetzt] und Duldungen verlängert | |
werden, damit die Menschen seltener zur Ausländerbehörde müssten, erklärt | |
etwa der Flüchtlingsrat Thüringen. Informationen müssten dringend | |
mehrsprachig zur Verfügung gestellt werden. Außerdem dürften wegbrechende | |
Beschäftigungsverhältnisse keine negativen aufenthaltsrechtlichen | |
Auswirkungen für Geflüchtete mit unsicherem Status haben. | |
Das Bundesgesundheitsministerium erklärt auf Anfrage, dass die Empfehlungen | |
des Robert-Koch-Instituts zum Umgang mit Verdachtsfällen „für Asylsuchende | |
und andere Menschen gleichermaßen“ gelten. Was die konkrete Umsetzung | |
angehe, seien die Länder gefragt. Eine Anfrage an das | |
Bundesinnenministerium blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. | |
Neben den Bewohner*innen von Sammelunterkünften ist die Corona-Pandemie für | |
Menschen ohne regulären Aufenthaltstitel ein besonderes Problem. Menschen | |
also, die den Kontakt zu Behörden wenn möglich meiden, weil sie sich vor | |
einer Abschiebung fürchten. | |
## Aus Angst nicht zum Arzt | |
Zwar ist die medizinische Behandlung dieser Gruppe über das | |
Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Wenn es nicht um Notfälle geht, | |
müssen Betroffene aber erst einen Krankenschein bei der Sozialbehörde | |
beantragen – und die muss das der Ausländerbehörde melden. „Da haben | |
natürlich viele Angst vor Repressionen“, sagt Carolin Bader von Ärzte der | |
Welt Deutschland. Die Hilfsorganisation betreibt ehrenamtliche | |
Anlaufstellen für Menschen ohne Krankenversicherung. | |
Ein anderes Problem sei die Abrechnung: Gerade in der aktuell angespannten | |
Lage sei der bürokratische Mehraufwand für viele Krankenhäuser gar nicht zu | |
leisten. Oft würde dann doch eine Privatrechnung ausgestellt, sagt Bader. | |
„Bei vielen Betroffenen führt auch nur die Befürchtung, am Ende selbst | |
zahlen zu müssen dazu, dass sie gar nicht erst zum Arzt gehen“, sagt Bader. | |
Das treffe auch auf andere Menschen ohne Krankenversicherung zu – etwa | |
prekär Beschäftigte aus anderen EU-Staaten. | |
Besser sei die Lage in Bundesländern, die einen anonymen Krankenschein | |
haben – etwa in Berlin oder Thüringen. Vertrauensärzt*innen können diesen | |
Schein ausstellen, die Betroffenen können sich damit anonym bei einer | |
anderen Ärztin behandeln lassen – und diese rechnet die Kosten dafür über | |
Vereine wie den Anonymen Krankenschein Thüringen ab. Das Geld kommt vom | |
Land. | |
„Wenn Angela Merkel in der Corona-Krise zu Solidarität aufruft, muss diese | |
deshalb vor allem auch für marginalisierte und damit besonders gefährdete | |
Gruppen gelten“, [4][so Ärzte der Welt]. „Corona macht keinen Unterschied | |
nach Aufenthaltsstatus, Versicherungsstatus oder Wohnsituation“, sagt | |
François de Keersmaeker, Direktor der Organisation in Deutschland. „Ein | |
Gesundheitssystem kann es sich nicht leisten, diesen Unterschied zu | |
machen.“ | |
17 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.insuedthueringen.de/region/suhl_zellamehlis/suhl/533-Fluechtlin… | |
[2] /Coronavirus-in-Berlin/!5666679 | |
[3] /Gefluechtete-in-Europa/!5667913 | |
[4] https://www.aerztederwelt.org/presse-und-publikationen/presseinformationen/… | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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