# taz.de -- Corona und Abschiebegewahrsam: Pandemie bremst den Knastbetrieb | |
> In Niedersachsen steht der Abschiebegewahrsam schon leer, andere Länder | |
> ziehen nach. Flüchtlingsräte fordern die Aussetzung von Abschiebungen. | |
Bild: Steht jetzt leer: der Abschiebegewahrsam in Hannover-Langenhagen | |
BERLIN taz | Der niedersächsische Abschiebegewahrsam in Langenhagen bei | |
Hannover ist schon mal leer. Am Mittwoch seien die letzten sechs | |
Inhaftierten ausgezogen, bestätigt ein Sprecher des Justizministeriums der | |
taz. Zu den Gründen sagte er nichts. Der niedersächsische Flüchtlingsrat | |
aber vermutet: Verantwortlich ist das Corona-Virus. | |
„Mit der Corona-Pandemie sind Abschiebungen in die allermeisten Staaten | |
faktisch nicht mehr möglich“, erklärt Muzaffer Öztürkyilmaz vom | |
Flüchtlingsrat. [1][Schon jetzt seien Flüge in diverse Länder nicht mehr | |
erlaubt]. Abschiebungen würden die Gefahr bergen, dass sich das Virus | |
weiterverbreite. „Auch wäre es völlig unverantwortlich, jetzt Menschen in | |
Länder mit ohnehin kritischer medizinischer Infrastruktur abzuschieben“, so | |
Öztürkyilmaz. Die Forderung seines Flüchtlingsrats: Abschiebungen müssten | |
nun bundesweit ausgesetzt werden und Abschiebegewahrsame schließen. | |
Das Justizministerium Niedersachsen geht diesen Schritt offiziell noch | |
nicht. Die Abschiebegefangenen seien zwar freigelassen, sagte der Sprecher. | |
Aber: „Die Haftanstalt für Abschiebungshaft ist und bleibt geöffnet.“ | |
Flüchtlingsräte auch aus anderen Bundesländern, Pro Asyl und die sächsische | |
Linksfraktion fordern indes ebenfalls das Gegenteil. Der Vollzug der | |
Abschiebehaft und Abschiebungen müssten ausgesetzt werden, sagt die | |
Linken-Abgeordnete Jule Nagel. „So können unnötige Risiken vermieden | |
werden.“ | |
## Die Länder zögern | |
Tatsächlich halten die Länder noch an den Abschiebegefängnissen fest – | |
faktisch aber läuft ihr Betrieb langsam gen Null. So heißt es etwa aus dem | |
sächsischen Innenministerium, man habe derzeit noch drei Inhaftierte, deren | |
Abschiebungen noch als realisierbar erachtet wird. Aber: „Aufnahmen von | |
abzuschiebenden Flüchtlingen, bei denen derzeit eine Abschiebung nicht | |
möglich ist, erfolgen nicht.“ | |
Auch Hessen stellte klar, dass sein Gewahrsam in Darmstadt – derzeit belegt | |
mit sechs Personen – offen bleibe. Auch Rückführungen würden nicht pauschal | |
ausgesetzt. Das Corona-Virus setze die Rechtslage nicht außer Kraft, | |
betonte ein Sprecher des hessischen Innenministeriums. Und die medizinische | |
Betreuung der Inhaftierten sei sichergestellt. Aber, so heißt es auch dort: | |
Sei eine Abschiebung „in absehbarer Zeit nicht möglich, werden die | |
Untergebrachten aus der Abschiebungshafteinrichtung entlassen“. | |
Hart bleibt das schwarz-grüne Baden-Württemberg. Die Abschiebehaft sei | |
weiter ein „wichtiges Instrument, um Ausländer abschieben zu können, die | |
ihrer Pflicht zur Ausreise nicht von selbst nachkommen“, erklärt das | |
Innenministerium. Im Gewahrsam in Pforzheim würden nun aber alle neu | |
eintreffenden Abschiebeinhaftierten einem Corona-Test unterzogen. Der | |
Besucherverkehr wurde eingeschränkt. | |
Auch im rot-rot-grünen Berlin – das nur noch einen Abschiebegewahrsam für | |
Gefährder hat – wird an der Einrichtung festgehalten. „Eine Schließung der | |
Abschiebungshafteinrichtung ist derzeit nicht geplant“, so die | |
Innenverwaltung. | |
## „Ein Skandal, dass noch Menschen in Abschiebehaft landen“ | |
Schon jetzt sind allerdings wegen der Corona-Pandemie [2][keine | |
Abschiebungen mehr nach Italien im Rahmen des Dublin-Abkommens] möglich. | |
Andere EU-Länder könnten folgen. Grundsätzlich eingestellt [3][sind | |
Abschiebungen in Deutschland derzeit aber nicht]. Das Innenministerium | |
teilte zuletzt indes mit, dass es aufgrund von „vorrangigen Schutzaufgaben“ | |
der Polizei bei der Bekämpfung des Corona-Virus zu [4][„weiteren | |
Einschränkungen bei Rückführungsmaßnahmen kommen“ könne]. | |
Muzaffer Öztürkyilmaz kritisiert das Zögern einiger Länder. „Es ist ein | |
Skandal, dass immer noch Menschen in Abschiebehaft landen, die auf | |
absehbare Zeit überhaupt nicht außer Landes geschafft werden können. Das | |
ist rechtlich nicht haltbar und muss sofort beendet werden.“ Auch die | |
Linken-Politikerin Jule Nagel betont: Es gehe nicht nur darum, die | |
Geflüchteten zu schützen, sondern letztlich auch die MitarbeiterInnen in | |
den Einrichtungen. | |
Nagel und die Flüchtlingsräte fordern wegen der Corona-Pandemie zudem, | |
[5][Sammelunterkünfte für Geflüchtete durch dezentrale Unterbringungen zu | |
ersetzen] – um auch dort Ansteckungsrisiken zu verhindern. Zudem dürften | |
die Asylsuchenden bei Corona-Tests und der medizinische Versorgung nicht | |
benachteiligt werden. | |
21 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Gefluechtete-in-Europa/!5667913 | |
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[3] /Fluechtlinge-in-der-Corona-Krise/!5672393 | |
[4] /Fluechtlinge-in-der-Corona-Krise/!5672393 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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