# taz.de -- Aktivist über Hilfe für Geflüchtete: „Die Menschen müssen da … | |
> Mission Lifeline sammelt Geld, um 100 Kinder aus den Lagern auf Lesbos | |
> nach Deutschland zu fliegen. Der Vorsitzende Axel Steier fordert | |
> Unterstützung. | |
Bild: Flüchtlinge in Moria | |
Am 8. März startete die deutsche Seenotrettungsorganisation Mission | |
Lifeline einen Spendenaufruf: Mithilfe von Spenden soll ein Flugzeug | |
gechartert werden, um 100 Kinder aus dem heillos überfüllten | |
[1][Flüchtlingslager] auf Lesbos nach Berlin zu bringen. Die erforderlichen | |
55.000 Euro sind bereits innerhalb weniger Tage zusammengekommen. Axel | |
Steier ist Vorsitzender und Sprecher von Mission Lifeline. | |
taz: Herr Steier, das Geld für den Charterflug ist da. Die Landeerlaubnis | |
nicht. Wie geht es jetzt weiter? | |
Wir haben bereits Kontakt mit den Büros der deutschen Außen- und | |
Innenminister aufgenommen, aber noch keine Rückmeldung erhalten. Jetzt | |
müssen gesellschaftliche AkteurInnen Stellung beziehen. Denn für jeden | |
weiteren Tag, den die Menschen in Moria verbringen, sind die | |
verantwortlich, die uns die Landeerlaubnis verwehren. | |
Welche AkteurInnen meinen Sie? | |
Die Diakonie und die Juso-Vorsitzende in Sachsen haben sich bereits mit uns | |
solidarisiert. Wir haben auch schon von vielen PolitikerInnen Unterstützung | |
erfahren – aber leider nur unter vorgehaltener Hand. Wir sind enttäuscht, | |
wie wenig PolitikerInnen sich öffentlich dazu äußern. Jetzt, wo Deutschland | |
[2][die Aufnahme von 400 Geflüchteten] zugesagt hat und wir diesbezüglich | |
konkrete Maßnahmen bieten können, müssen alle, die sich davor für eine | |
Aufnahme Geflüchteter ausgesprochen haben, auch für deren Umsetzung | |
kämpfen. Auf unserer Website gibt es einen Vordruck für einen Brief, den | |
jede/r an Abgeordnete, Bischöfe oder Prominente schicken kann, damit diese | |
öffentlich für eine Landegenehmigung eintreten können. | |
Die Grünen haben bereits einen Antrag für die Aufnahme von 5.000 | |
Geflüchteten gestellt … | |
Solche Anträge werden aus meiner Sicht eher für die Öffentlichkeit und | |
nicht für die Kinder gestellt. Der Antrag wurde ohne Absprache mit CDU und | |
SPD gestellt und war somit aussichtslos. Das ist reine Parteipolitik. Die | |
Parteien hätten sich im Vorhinein absprechen und gemeinsam einen Antrag | |
stellen können. | |
Haben sich denn Kommunen aus dem Städtebündnis [3][„Sichere Häfen“] mit | |
Ihnen solidarisiert und Bereitschaft gezeigt, die Menschen aufzunehmen? | |
Nein, aber dieser Zusammenschluss ist auch nur bedingt wirkungsvoll: In | |
politischer Hinsicht kann durch das Bündnis natürlich Druck ausgeübt | |
werden. Es ist jedoch ein Trugschluss zu denken, dass das Bundesministerium | |
jetzt in irgendeiner Weise von seiner administrativen Linie abweicht. | |
Inwiefern? | |
Die Verteilung der Geflüchteten auf die Städte wird über den Königsteiner | |
Schlüssel geregelt – also nach Einwohnerzahl. Das läuft seit jeher so, | |
damit alle Kommunen gleichmäßig belastet sind und es auch nicht dazu kommen | |
kann, dass einige Kommunen viele und andere gar keine Flüchtlinge | |
aufnehmen. Letztlich wird das BMI – so unsere Vermutung – nicht davon | |
abweichen. | |
Wie wurden die Kinder ausgewählt, die Sie evakuieren wollen? | |
Die Auswahl obliegt den Hilfsorganisationen, ÄrztInnen und PsychologInnen | |
vor Ort. Da spielen unter anderem der Gesundheitszustand und das Alter der | |
Kinder eine Rolle. Vor allem die jüngeren Kinder sind von Gewalt betroffen. | |
Auf unserer Evakuierungsliste stehen beispielsweise ein krebskrankes Kind | |
und ein Junge, der von acht Männern vergewaltigt wurde. | |
Wissen die Kinder, dass sie auf einer solchen Liste stehen? | |
Nein, das wäre sehr gefährlich. Solche Listen erzeugen Neid bei denen, die | |
nicht auf der Liste sind. Das kann das Todesurteil für die sein, die wir | |
eigentlich evakuieren wollen. Aus diesem Grund trennen wir diese Kinder | |
erst kurz vor Abflug von den anderen und fliegen sie dann nach Deutschland. | |
Was passiert mit den Eltern der geretteten Kinder? | |
Wir trennen Kinder nicht von ihren Müttern, deshalb nehmen wir auch die | |
Mütter mit auf, wenn das möglich ist. Im Zweifel gilt das auch für die | |
Väter oder Angehörige. Eine verwandte Begleitperson soll auf jeden Fall zur | |
Seite stehen können. Oft ist das jedoch nicht möglich, da viele der Kinder | |
unbegleitet sind. Eine spätere Familienzusammenführung ist aber nach | |
Dublin-Verordnung möglich. | |
Inwiefern ist es ein Problem für ihr Vorhaben, dass gerade alle auf die | |
Corona-Pandemie schauen? Werden Sie überhaupt noch gehört? | |
Wir sehen natürlich die rassistischen Tendenzen, die jetzt zusätzlich | |
aufkommen: das Argument, man könne keine Menschen aufnehmen, da diese den | |
Virus mitbringen würden. Dieses Argument kann letztendlich auch politisches | |
Handeln leiten und die Sache langfristig hinauszögern. Und in Sachen Gehör | |
finden: Es verfolgen immer noch tausende Menschen unsere Mission. Aber die | |
Aufmerksamkeit wird unter dem Eindruck von Corona natürlich absinken. Unser | |
Team in Lesbos kann von dort aus berichten und über unsere medialen Kanäle | |
im Zweifel hoffentlich Druck generieren. | |
Und wie? | |
Die Bilder auf Lesbos sind dramatisch, da gibt es viele Möglichkeiten, um | |
für Aufmerksamkeit zu sorgen. Unser Team vor Ort kann dokumentieren, | |
immerhin etwas. | |
Wie groß ist die Corona-Gefahr für die Menschen auf Lesbos? | |
Die ist genauso groß wie an anderen Orten, beziehungsweise noch größer. Die | |
Altersstruktur der Menschen in Moria ist anders: Dort leben größtenteils | |
Minderjährige oder sehr junge Menschen. Für sie dürfte die Gefahr nicht | |
allzu groß sein. Aber für die Älteren gäbe es im Falle einer Erkrankung | |
keine Intensivbetten. Wenn man davon ausgeht, dass die 5 Prozent der | |
Erkrankten, die eine Intensivbehandlung benötigen würden, diese nicht | |
erhalten, dann müssen wir mit 500 bis 1.000 Corona-Toten in Moria rechnen. | |
Hinzu kommt, dass sich das Virus im Lager deutlich schneller ausbreiten | |
würde als andernorts: Infizierte kann man nicht isolieren, wenn es nur vier | |
Wasserstellen gibt. In Deutschland können wir die Ausbreitung verlangsamen: | |
Wir arbeiten im Homeoffice oder gehen nicht mehr ins Restaurant. Die | |
Menschen auf Lesbos können das nicht. | |
Derzeit befinden sich mehrere Rettungsschiffe in Quarantäne – eine | |
Sicherheitsmaßnahme der italienischen Behörden. Was bedeutet das für die | |
Geretteten? | |
Momentan stehen drei der vier Rettungsschiffe vor der italienischen Küste | |
unter Quarantäne. Unseres ist auch dabei, wurde jedoch von der | |
italienischen Regierung beschlagnahmt. Fakt ist jedoch, dass alle anderen | |
Schiffe weiterhin ein- und ausfahren können. Diese diskriminierende | |
Maßnahme trifft nur die Schiffe der NGOs. Die Geretteten sind mittlerweile | |
an Land unter Quarantäne gestellt worden. Das müssten mehr als 500 Menschen | |
sein. Die Geflüchteten werden nach ihrer Ankunft erst einmal vier Wochen in | |
einer umzäunten Erstaufnahmeeinrichtung im Hafengelände festgehalten. Da | |
stehen sie so oder so unter Quarantäne. | |
Was passiert mit dem Geld, falls der Flug nicht stattfinden könnte? | |
Wir würden mit dem Geld ein Krankenhaus in Moria aufbauen. In Sachen | |
medizinischer Versorgung gibt es auf Lesbos noch genug Bedarf. Trotzdem | |
wäre das nur eine Notlösung. Die Leute müssen aus dem Lager rausgeholt | |
werden. | |
16 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Flucht/!t5201005/ | |
[2] /Koalition-will-Gefluechtete-aufnehmen/!5670088/ | |
[3] /Buergermeister-ueber-Aufnahme-Gefluechteter/!5669875/ | |
## AUTOREN | |
Luisa Kuhn | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
Lesbos | |
Seenotrettung | |
Mission Lifeline | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Flucht | |
Ankerzentren | |
Geflüchtete | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Lesbos | |
Griechenland | |
Schwerpunkt Flucht | |
taz.gazete | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Geflüchtete im Mittelmeer: In Quarantäne vor Italiens Küste | |
Malta soll aus Seenot gerettete Geflüchtete nach Libyen geschickt haben. | |
Andere Gerettete werden auf Quarantäneschiffe verlegt. | |
In der Corona-Krise: Wenn nur eigene Sorgen zählen | |
Wir feiern Skype-Partys, für die Wirtschaft soll es Milliardenhilfen geben, | |
Supermärkte bleiben voll. Doch Geflüchtete in Lagern lassen wir sterben. | |
Abschiebungen nach Afghanistan: Zurück in den Krieg | |
Die Corona-Krise übertönt alles. Fast unbemerkt werden ein Dutzend gut | |
integrierter Afghanen zwangsweise ins Krisengebiet abgeschoben. | |
Schutz vor Corona für Geflüchtete: Abstand nicht möglich | |
In ersten Flüchtlingsunterkünften gibt es Corona-Fälle. Schwierig ist | |
besonders die Lage von Menschen ohne Aufenthaltstitel. | |
Brand im Flüchtlingslager auf Lesbos: Beileid reicht nicht | |
Beim Feuer in Moria ist ein Kind gestorben. Griechenland und die EU müssen | |
die Menschen aus dem Lager holen. | |
Corona und die Lage von Geflüchteten: Kein Asyl und keine Infos | |
Geflüchtete würden schlecht informiert über die Coronakrise, klagen | |
Flüchtlingsorganisationen. Ausländerbehörde zeigt sich kulant. | |
Geflüchtete in Griechenland: Kind lebendig verbrannt | |
Zum dritten Mal in neun Monaten bricht im Lager Moria auf Lesbos ein Feuer | |
aus. Diesmal stirbt ein Mädchen. Die Ursache ist noch unklar. | |
Spannung an griechisch-türkischer Grenze: Athen bleibt hart | |
Griechenland wird vorgeworfen, Flüchtlinge an der Grenze zur Türkei in ein | |
geheimes Lager abzuschieben. Die Regierung weist das zurück. | |
Flüchtlinge aus Griechenland: Berlin will keine Festung sein | |
2.000 Flüchtlinge könnte Berlin aufnehmen. Nun sollen nur 100 Minderjährige | |
kommen. Diejenigen, die 2015 halfen, als Behörden versagten, sind empört. | |
Erdoğan in Brüssel: Die EU ist selbst schuld | |
Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei war ein Fehler. Um Verantwortung für | |
Geflüchtete auszulagern, hat sich die EU erpressbar gemacht. |