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# taz.de -- Schulstart in Berlin: Das wird baba*
> Junge Berliner:innen! Die taz-Berlin gibt euch zum Ende der Ferien 10
> Tipps, damit ihr gut durch harte Zeiten kommt.
Bild: Hurra, hurra, die Schule wartet wieder
BERLIN taz | Mehr Geld für Privatschulen, weniger Lehrer, mehr Mathe,
gefährlichere Schulwege, neue Traumjobs: In Berlin ändert sich einiges zum
neuen Schuljahr – ohne dass die Probleme im Bildungssystem dadurch
abnehmen. Aber als Schüler:innen könnt ihr so einiges fürs Leben lernen.
## 1. Geht zur Privatschule
Ihr seid unzufrieden mit eurer Schule? Dann denkt ganz schnell über den
Wechsel zur Privatschule nach. Wenn ihr jetzt meint, das ist nur was für
Reiche und Akademikerkinder, seid ihr falsch gewickelt. Am Dienstag hat der
Senat beschlossen, den Privatschulen mehr Geld zu geben, damit auch
„Familien mit kleinerem Einkommen bessere Möglichkeiten haben, die passende
Schule für ihr Kind zu wählen“, wie er erklärt hat.
Das lässt man sich was kosten: rund 10 Millionen Euro im kommenden Jahr, 17
Millionen in 2027 und mindestens 32 Millionen Euro im Jahr darauf, weiß der
RBB. Dafür gibt es verpflichtende, nach Einkommen gestaffelte
Schulgeldtabellen – und so kostet eine Privatschule für Kinder, die von
Lernmittelkosten befreit sind, nur noch 10 Euro monatlich! Gut, vermutlich
werden Privatschulen nicht sooo viele arme Kinder aufnehmen, dann verdienen
sie ja gar nichts. Trotzdem: Für die paar Glücklichen ist das ein echtes
Schnäppchen, das ihre Eltern bestimmt gerne vom üppigen Bürgergeld
abknapsen.
## 2. Organisiert euch selbst
Wenn ihr in Mathe aufgepasst habt, wisst ihr: Bekommen die einen mehr Geld,
ist für die anderen weniger da. Darum muss Bildungssenatorin Katharina
Günther-Wünsch (CDU) – leider, leider – [1][bei den öffentlichen Schulen
sparen], genauer: bei Schulsozialarbeit, Inklusion, Sportangeboten, der
„Brennpunktzulage“ für Schulen mit besonders vielen armen Kindern und dem
Praxislernen für Schüler:innen, deren Abschluss gefährdet ist.
Aber wer braucht schon Erwachsene! Mehr Kloppe auf dem Schulhof macht mehr
Bewegung, auch beim wegrennen – da braucht es keinen Sport. Wer zuhause
Probleme hat, geht zur Schülervertretung, und Inklusionskinder, die
Begleitung brauchen, fragen ihre Mitschüler:innen. Das könntet ihr auch als
Praktikum ausschreiben für diejenigen von euch, die beim Praxislernen
keinen Platz kriegen.
## 3. Lernt selbstständig
Euch mehr Beschäftigung in der Schule suchen, ist ohnehin eine gute Idee.
Denn der Lehrer:innenmangel wird immer größer – nach Berechnungen der
Linken fehlen im neuen Schuljahr rund 1.500 Vollzeitlehrkräfte. Und von
denen, die neu eingestellt wurden, haben nur 16 Prozent ein Lehramtsstudium
abgeschlossen, die anderen studieren noch oder sind Quer- oder
Seiteneinsteiger.
Macht euch drauf gefasst: Es wird noch mehr Unterricht ausfallen als
letztes Jahr. Also daddelt nicht rum in den Vertretungsstunden und lernt
selbsttägig, wenn ihr die Schule nicht dumm verlassen wollt.
## 4. Geht doch zur Bundeswehr
Dass Schulabgänger zu dumm sind, sagen ohnehin viele Firmenchefs zur
Begründung, warum sie [2][viele Ausbildungsstellen nicht besetzen]. Dieses
Jahr ist es besonders krass: Zu Beginn des Ausbildungsjahres sind 4.548
Ausbildungsplätze unbesetzt, gleichzeitig suchen noch 7.824 Jugendliche
nach einer Stelle.
Trotzdem müsst ihr keine Angst haben, denn: Die Bundeswehr will euch (fast)
alle. Nächstes Jahr schickt sie euch zum 18. Geburtstag einen Fragebogen.
Die Musterung danach ist für Männer ab dem Jahrgang 2008 verpflichtend. Wer
dann „Ja“ zum Väterchen Staat sagt, kriegt allerlei tolle Geschenke: Über
2.000 Euro Nettogehalt – davon könnte man fast eine Wohnung in Berlin
bezahlen; Benefits für die Rentenkasse; ein bisschen was extra für den
Führerschein. Vielleicht darf man damit sogar einen Panzer fahren!
## 5. Juchuuu: Länger Schule
Schon gewusst? Nach der zehnten Klasse seid ihr reif genug, eigene
Entscheidungen zu treffen. Es sei denn natürlich, ihr habt es weder aufs
Gymnasium geschafft, noch einen FSJ oder Ausbildungsplatz gefunden, wie
rund 3.000 Berliner Schüler:innen jedes Jahr. Extra für euch gibt es –
jetzt neu – das sogenannte 11. Pflichtschuljahr.
In dem sollen Lehrkräfte an Oberstufenzentren (OSZ) die „verlorenen“
Schüler:innen unterstützen, den Weg in die Ausbildung oder beim Übergang
in die weiterführenden Schulen der Sekundarstufe II zu finden. Die
Lehrkräfte zeigen den zusammengestopften OSZ-Klassen trotz Personalmangel,
Budgetkürzungen und bröckelnder Bausubstanz bestimmt ganz engagiert und
erfolgreich, wie sie einen Fuß ins Berufsleben kriegen.
## 6. Findet viele neue Freund:innen
Schule ist nicht nur ein Ort, an dem Kinder lernen, zu lesen schreiben und
rechnen. Schule ist auch ein Ort um zu Kontakte zu sammeln, um Freunde zu
finden. Fast 20 Jahre Internet und Social Media haben das nicht zerstört.
Andererseits: Freunde finden, das fällt vielen gar nicht so leicht.
Insbesondere solchen Kinder, die sich nicht für Fußball und Fortnite
interessieren.
Sie dürfen aufatmen. Denn wenn Lehrkräfte fehlen, wachsen die Klassen.
Insbesondere an Gymnasien wird niemand einsam: Denn während für die
Sekundarschule eine verbindliche Obergrenze von 26 Schüler:innen pro
Klasse gilt, gibt es bei Gymnasien nur einen unverbindlichen Richtwert von
32 Schüler:innen. Wer bessere Noten schreibt, braucht wohl weniger
pädagogische Betreuung, so das Argument. Spätestens wenn Berlins letzter
Physiklehrer ganzen Jahrgängen in einer Aula erklärt, was es mit dem
Wechselstrom auf sich hat, hat das letzte Berliner Kind einen Freund
gefunden.
## 7. Konzentriert euch auf die Kernfächer
Niemand soll am Ende sagen, er*sie hätte in der Schule nicht rechnen,
lesen und schreiben gelernt. Damit da nichts schief geht, verpflichten euch
immer mehr Schulen zu mindestens 15 Minuten Lesen pro Schultag. Das klappt
aus Sicht der Schulleitungen und der Verwaltung oft schon ganz gut. Daher
sollen nun an vielen Schulen täglich 15 Minuten Rechnen dazukommen.
Band heißt es übrigens, weil es im Stundenplan jeden Tag zur gleichen Zeit
wie ein Band durchläuft. Wo Energie, Geld und Konzepte aber ins sogenannte
Leseband und Matheband fließen, fehlen sie dann woanders. Möglicherweise
bei Demokratiebildung oder politischer Bildung, obwohl auch die Vermittlung
von Demokratie zu den zentralen Aufgaben der Schule gehört. Dass im
nächsten Jahr nun das Politikband kommt, ist unwahrscheinlich.
## 8. Habt Nasenklammern griffbereit
Ihr wisst es am besten: Die Schultoiletten sind fast überall ein stinkendes
Übel. Das liegt nicht nur daran, dass ihr euch dort manchmal wie Sau
benehmt oder die Klos älter sind als eure Oma. Sondern vor allem daran,
dass die Bezirke nicht genug Geld vom Senat bekommen, um eine vernünftige
Reinigung zu bezahlen.
In Neukölln und Lichtenberg haben sie darum beschlossen, ab diesem
Schuljahr auf die zweite Reinigung am Tag zu verzichten. Schüler:innen
in diesen Bezirken können wir nur raten, auf Essen und Trinken während der
Schulzeit möglichst zu verzichten. Oder: Ab sofort Nasenklammer,
Toilettenpapier und Desinfektionsmittel mitbringen.
## 9. Lasst die Handys in der Tasche
Und zwar auf dem Schulweg, so ihr denn zu Fuß unterwegs seid. Weil:
Unaufmerksamkeit wird jetzt noch gefährlicher. Auf vielen Hauptstraßen
dürfen die Autos nämlich bald wieder 50 statt 30 km/h fahren, und da gehen
Unfälle viel schneller mit schweren Verletzungen oder sogar tödlich aus –
bei Kindern sogar fünfmal häufiger, wie der Verein FUSS e. V. vorrechnet.
Zu verdanken habt ihr das dem Senat und insbesondere CDU-Verkehrssenatorin
Ute Bonde, die behauptet, nichts gegen die Lockerung der
Höchstgeschwindigkeit tun zu können.
Die Grünen nennen das einen „Albtraum für alle Familien in Berlin“, und
Frau Bonde hätte eigentlich auf vielen dieser 23 Straßenabschnitte weiter
Tempo 30 gelten lassen können. Nämlich unter anderem dort, wo eine Schule
in der Nähe ist. Ihre Verwaltung fand aber, dass an diesen Stellen nicht
genug SchülerInnen unterwegs sind, um diesen Schritt zu rechtfertigen – der
für die Autofahrenden ja sehr, sehr unangenehm ist.
Dass es verdammt schwierig ist, das Handy mal stecken zu lassen, wissen
wir. Aber macht doch einfach eine TikTok-Challenge draus.
## 10. Steigt mal wieder öfter um
Jedenfalls, wenn ihr auf dem Weg zur Schule mit dem Bus fahrt und rund ums
Ostkreuz und den Treptower Park unterwegs seid. Da schwächelt die BVG
nämlich gerade noch mehr als sonst. Seit ein paar Jahren stehen die Busse
ohnehin täglich im Stau, weil die Elsenbrücke über die Spree neu gebaut
werden muss. [3][Seit die A100 am Treptower Park endet], kommen noch mehr
Autos dazu.
In den vergangenen Tagen mussten die Verkehrsbetriebe schon ein paar Mal
die Linien M43 und 194 in der Mitte unterbrechen. Weil es nichts bringen
würde, einen Bus nach dem anderen in den Stau zu schicken, der nicht auf
der anderen Seite wieder rauskommt. Und das wird immer wieder passieren,
wenn der Senat die Autobahn nicht wieder schließen lässt, wie es die Linken
und Grünen und Verkehrsaktivistis fordern. Also ganz sicher.
Die BVG sagt aber: Ihr kriegt das schon hin. Steigt zwischen Ostkreuz und
Treptower Park auf die S-Bahn um oder lauft einfach über die Brücke. Ein
bisschen Bewegung hat noch niemandem geschadet, Boomerehrenwort!
* Baba: Türkisch für Vater, bedeutet in Jugendsprache gut, cool oder fein
3 Sep 2025
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## AUTOREN
Moritz Tübbecke
Claudius Prößer
Susanne Memarnia
Uta Schleiermacher
## TAGS
Sommerferien
Schule
Bildungssystem
BVG
Privatschulen
Bildungspolitik
Verkehrssicherheit
Schulstart
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Integrierte Sekundarschule
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