| # taz.de -- Kürzungen bei Bildungsprojekten: Berlin dreht Schülerförderung z… | |
| > Seit 20 Jahren unterstützt das Praxislernen Jugendliche, die regulär wohl | |
| > keinen Schulabschluss schaffen. Ausgerechnet hier streicht der Senat nun. | |
| Bild: Wenn es das Praxislernen nicht gäbe, müsste man es erfinden: Jugendlich… | |
| Kurz vor den Sommerferien ist weiter unklar, wer im neuen Schuljahr am | |
| Praxislernen teilnehmen kann. Das ist fatal. Denn das Praxislernen bietet | |
| bisher Schüler*innen, die das normale Schulsystem wohl ohne Abschluss | |
| verlassen würden, eine verlässliche Perspektive. 80 Prozent der | |
| Teilnehmer*innen im vergangenen Jahr hatten am Ende dann nämlich doch | |
| ihren Schulabschluss. Das betont Rebecca Lehmann, Fachbereichsleiterin für | |
| berufliche Bildung beim CJD, einem bundesweit aktiven Bildungs- und | |
| Sozialunternehmen. Der CJD hatte das Praxislernen vor rund 20 Jahren in | |
| Berlin etabliert. | |
| „Wir hatten im vergangenen Jahr 212 Schüler*innen“, sagt Michaela Föst, d… | |
| das Projekt beim CJD leitet. „Und ich hatte im vergangenen Jahr 10 Anfragen | |
| von Sekundarschulen, die auch mit uns zusammenarbeiten wollen und | |
| Schüler*innen über uns fürs Praxislernen anmelden möchten“, sagt sie. | |
| Zwei der Schulen hatte sie auf die Warteliste gesetzt, falls der CJD | |
| weitere Plätze hätte ausbauen können. Doch dann kam die Ernüchterung. Über | |
| eine [1][schriftliche Anfrage der Linken] erfuhren sie im Mai, dass die | |
| Senatsverwaltung beabsichtigt, massiv Plätze zu streichen, beim CJD und | |
| auch anderen Trägern. Von den [2][Berlinweit aktuell 2.257 Plätzen sollten | |
| rund 1.000 wegfallen] – obwohl das Programm sehr erfolgreich ist. | |
| Das Praxislernen richtet sich an Jugendliche mit sogenannter | |
| „Schuldistanz“. Es will Schüler*innen unterstützen, die absehbar | |
| Probleme haben, einen Abschluss zu schaffen – etwa weil sie viel schwänzen. | |
| „Das zeichnet sich oft schon in der 8. Klasse ab“, sagt Michaela Föst vom | |
| CJD, die dort das Projekt leitet. Die Schüler*innen lernen dann an ihren | |
| Schulen in kleineren Klassen. An 1 bis 3 Tagen pro Woche sind sie in einer | |
| Werkstatt, auch dort in Gruppen von maximal 12 Personen. | |
| Dort arbeiten sie eng zusammen mit den Ausbilder*innen, ihren | |
| Ansprechpartner*innen und mit Sozialpädagog*innen, sagt Föst. „Wenn | |
| die Schüler nicht kommen, rufen wir direkt morgens bei den Eltern an. Damit | |
| sind wir meist viel näher dran, als die Schulen das schaffen“, sagt Föst. | |
| „Und das ist genau das, was die Jugendlichen brauchen, diese engen | |
| Bezugspersonen und der Kontakt zu Menschen, die aus den Berufen kommen und | |
| zeigen, wie Lernen auch gehen kann.“ | |
| ## 80 Prozent der Teilnehmer*innen machen einen Abschluss | |
| Die Senatsverwaltung evaluiert das Projekt jedes Jahr. „Im Schuljahr | |
| 2023/24 haben weniger als 1 Prozent der Schüler*innen das Projekt | |
| abgebrochen“, sagt Lehmann. „Und gut 80 Prozent der Teilnehmer*innen | |
| haben am Ende einen Abschluss gemacht.“ Das Programm leiste aber noch mehr. | |
| „Die Teilnehmer*innen sind auch beruflich orientiert, sie haben eine | |
| Idee, was sie machen wollen oder bereits einen Übergang in ein | |
| Oberstufenzentrum, in eine Berufsvorbereitung oder Ausbildung. | |
| „Wichtig ist ja auch, dass die Schüler*innen nicht aus dem System | |
| verschwunden sind“, sagt Lehmann. Tatsächlich ist das ein Problem, das auch | |
| die Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) angehen will. Denn | |
| bisher verlassen um die 3.000 Schüler*innen die Schule nach der 10. | |
| Klasse ohne Abschluss. Das sind rund 10 Prozent der Schulabgänger*innen. | |
| Und damit geraten diese Jugendlichen auch komplett aus dem Blickfeld der | |
| Bildungsverwaltung. Was aus ihnen wurde, ob sie doch noch irgendwie einen | |
| Weg in eine Ausbildung oder wieder zurück ins Bildungssystem finden, oder | |
| in einem niedrigschwelligen Beruf landen, das war bisher nirgends erfasst. | |
| Ein Zustand, den die Senatorin unbedingt ändern will. [3][Sie wolle | |
| besonders die Übergänge gestalten, hatte Günther-Wünsch] seit ihrem | |
| Amtsantritt mehrfach betont. Und dazu gehört auch der Übergang von der | |
| Schule in eine Ausbildung oder in einen Beruf. | |
| Berlin hat daher in diesem Jahr das 11. Pflichtschuljahr eingeführt. Das | |
| bedeutet, dass Schüler*innen, die am Ende der 10. Klasse weder Abschluss | |
| noch Ausbildungsplatz haben und auch keinen Platz an einer weiterführenden | |
| Schule oder in einem Freiwilligendienst ein 11. Jahr in der Schule bleiben | |
| müssen. Sie sollen entweder in bestimmte Klassen auf einem | |
| Oberstufenzentrum gehen oder an einem Schulersatzprogramm teilnehmen. | |
| Außerdem hat die Verwaltung eine Kooperation mit der Industrie- und | |
| Handelskammer (IHK) gestartet, die [4][die Schüler*innen an den | |
| Sekundarschulen besser auf Berufe und Ausbildungen vorbereiten soll], etwa | |
| durch Praktika, Probetage, Schulmessen und gezielte Berufsorientierung ab | |
| der 7. Klasse. Nach einem Pilotprojekt in Wedding soll das Programm nun | |
| ausgeweitet werden. | |
| ## Berufsorientierung und Übergang nach der Schule | |
| „Das Praxislernen hat praktische, berufsorientierende Elemente, die immens | |
| wichtig sind, um den Jugendlichen den Übergang von der Schule ins | |
| Berufsleben zu gestalten“, sagt Lehmann. Schulen hingegen verlassen | |
| Schüler*innen teilweise zwar mit Abschluss, „aber ohne Idee, was sie | |
| danach machen wollen“, sagt sie. | |
| Als die Senatorin die Kooperation mit der IHK zur Berufsorientierung | |
| vorstellte, sagte sie, dass sie sich solche Zusammenarbeit auch mit der | |
| Handwerkskammer vorstellen könnte. Das, was die Handwerkskammer dann am | |
| Ende bieten sollte, könnte allerdings ganz ähnlich aussehen wie das bereits | |
| etablierte Praxislernen. Zumindest, wenn es mehr sein soll als [5][nur | |
| schulbegleitende Praktika] – bei denen allerdings oft die Frage ist, ob | |
| genügend Betriebe dafür bereitstehen, die die Jugendlichen auch intensiv | |
| begleiten. | |
| [6][Angesichts solcher Absichtsbekundungen] erstaunt es, dass die | |
| Bildungsverwaltung ein etabliertes Programm zur Berufsorientierung nun so | |
| fallen lässt. Das sieht sogar die Senatorin so: In einer | |
| [7][Podiumsdiskussion zu Kürzungen im Bildungsbereich] hatte Günther-Wünsch | |
| Ende Juni gesagt, dass sie keine Schülerplätze beim Praxislernen abbauen | |
| werde. Allerdings hatten die Träger und Schulen genau diese Information | |
| bereits von der Verwaltung bekommen. Wie es nun genau mit den Plätzen | |
| aussieht – das konnte die Bildungsverwaltung trotz mehrmaligem Nachfragen | |
| bisher nicht sagen. „Wir sind da dran“, sagt ein Sprecher. Seit mehreren | |
| Wochen. | |
| „Bis heute haben wir für das kommende Schuljahr erst einen Bescheid über 20 | |
| Plätze bekommen, obwohl die Senatsverwaltung uns mündlich 162 Plätze | |
| zugesagt hat“, sagt Lehmann vom CJD. „Die Kommunikation mit der Verwaltung | |
| ist seit Wochen katastrophal“, findet sie. „Normalerweise ist die Planung | |
| jetzt schon abgeschlossen, damit die Schulen und die Schüler*innen die | |
| Anträge stellen können“, sagt Föst. Beim CJD mussten sie bereits jetzt | |
| Werkstätten schließen. „Weil schon absehbar war, dass wir weniger Geld zur | |
| Verfügung haben, haben wir auch Verträge mit Mitarbeiter*innen | |
| auslaufen lassen“, sagt Lehmann. „Falls die Senatsverwaltung nun doch auf | |
| die Idee kommt, dass sie mehr Plätze erhalten will, dann könnten wir das | |
| alles gar nicht so schnell wieder aufbauen.“ | |
| ## Modellprojekt mit Steuermitteln | |
| 2004 hatten zwei Schulleiter aus Kreuzberg und Neukölln das Praxislernen | |
| zusammen mit dem CJD initiiert. Sie fingen klein an, waren im Jahr 2007 | |
| aber bereits bei 250 Schüler*innen und entwickelten sich zu einem vom | |
| Europäischen Sozialfonds und dem Rotary Club geförderten Modellprojekt. | |
| 2012 übernahm die Bildungsverwaltung dann die Finanzierung, weitere Träger | |
| kamen dazu. | |
| „Wir zerstören gerade über Jahrzehnte gewachsene und mit Steuern | |
| finanzierte Ressourcen, um sie an anderer Stelle mit Mühe wieder | |
| aufzubauen. Weil die Bedarfe eben nicht verschwinden“, kritisiert Lehmann. | |
| Die Verwaltung argumentiere, [8][sie müsse kürzen, weil sie gerade mal die | |
| gesetzlichen Pflichtaufgaben finanzieren könne]. „Dabei wissen wir: Die | |
| Pflichtaufgaben werden teurer, weil man sich nicht um die Bedarfe kümmert“, | |
| so Lehmann. | |
| „Dieses Projekt ist wirksam, es ist evaluiert und es ist etabliert“, sagt | |
| ihre Kollegin Michaela Föst. „Und der Bedarf ist da. Ich weiß jetzt schon, | |
| dass in Zukunft dann wieder neue Modellprojekte für genau dasselbe kommen | |
| werden.“ Aber die müssen wieder bei Null starten. | |
| 21 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-22… | |
| [2] /Schwarz-roter-Sparhaushalt/!6084424 | |
| [3] /Neues-Schulgesetz-fuer-Berlin/!6004101 | |
| [4] /Berufsvorbereitung-in-Berlin/!6087076 | |
| [5] /Schulbildung-in-Berlin/!6000401 | |
| [6] /Diskussion-um-11-Pflichtschuljahr/!6017210 | |
| [7] https://www.youtube.com/watch?v=mMdnplyZc6U&cbrd=1 | |
| [8] /Bildungspolitik-in-Berlin/!6091557 | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
| ## TAGS | |
| Schule | |
| Ausbildung | |
| Handwerk | |
| Bildungspolitik | |
| Bildungssystem | |
| Kürzungen | |
| Bildungspolitik | |
| Sommerferien | |
| Bildungssystem | |
| Kürzungen | |
| Kürzungen | |
| Bildungschancen | |
| Bildungspolitik | |
| Schwarz-rote Koalition in Berlin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Investieren in Bildung: Schulen sollten die modernsten Gebäude der Stadt sein | |
| Wenn es für Verteidigung ein Sondervermögen geben kann, warum dann nicht | |
| auch für Bildung? | |
| Spardebatte in Berlin: Demokratie leider zu teuer | |
| Die Jugendbildungsstätten würden gern alle Schüler*innen erreichen. Im | |
| vergangenen Jahr hatten sie aufgestockt, jetzt müssen sie nun wieder | |
| kürzen. | |
| Schulbeginn in Berlin: „Und was willst du später mal werden?“ | |
| Im neuen Schuljahr will Berlins Bildungssenatorin die Berufsorientierung an | |
| den Schulen verbessern. Hier sieht sie auch die Wirtschaft in der Pflicht. | |
| Schulstart in Berlin: Das wird baba* | |
| Junge Berliner:innen! Die taz-Berlin gibt euch zum Ende der Ferien 10 | |
| Tipps, damit ihr gut durch harte Zeiten kommt. | |
| Kinder benachteiligter Familien: Wenn die Kita schon zu spät ist | |
| Eine Langzeitstudie zeigt, wie stark soziale Ungleichheiten bereits im | |
| Alter von zwei Jahren sichtbar werden. Was muss der Staat tun? | |
| „Vallah, Unkürzbar“: Protest auf dem Penny-Parkplatz | |
| Trotz des neuen Rekordhaushalts sind soziale Projekte weiter | |
| Kürzungsbedroht. Mit einem Aktionstag wehren sie sich gegen den Kahlschlag. | |
| Der Berliner Senat und die Bezirke: Ein Tropfen auf dem heißen Stein | |
| Der Landeshaushalt für 2026/27 wird aufgestockt. Jährlich fließen 2 | |
| Milliarden in die soziale Infrastruktur der Bezirke. Kritik kommt von der | |
| Linken. | |
| Bildungspolitik in Berlin: Nur noch Deutsch, Englisch, Mathe | |
| Initiativen werfen dem Senat vor, mit seiner Kürzungspolitik ganzheitliche | |
| Bildung zu gefährden. Sie kündigen Proteste noch vor den Sommerferien an. | |
| Berufsvorbereitung in Berlin: Besser orientiert aus der Schule | |
| IHK und Bildungsverwaltung wollen Schüler*innen gemeinsam auf ihre | |
| Berufswahl vorbereiten. Niemand soll die Schule mehr ohne Perspektive | |
| verlassen. | |
| Schwarz-roter Sparhaushalt: Weniger Geld für schulmüde Kids | |
| Die Plätze beim „Praxislernen“ werden fast halbiert. Berliner Linke und | |
| Lehrer befürchten, das führe zu einem Anstieg der Schulabbrecher. |