# taz.de -- Sanktionen gegen russische Oligarchen: Putins Lieferant | |
> Sergei Kolesnikow besitzt eine deutsche Fabrik. taz-Recherchen zeigen: Er | |
> verdient auch am Ukraine-Krieg. Aber warum wird er nicht sanktioniert? | |
Bild: Sergei Kolesnikow bei einem Biathlonwettbewerb im Dezember 2022 | |
Im März 2022 schickt ein Großhändler für Dachdeckerbedarf einen Brief an | |
seine Kunden in Deutschland. [1][Wenige Wochen zuvor hat Russland die | |
Ukraine überfallen.] Die Folgen bekommt auch die Baubranche zu spüren. Der | |
Krieg treibe die Energie- und Rohstoffpreise in die Höhe und damit auch die | |
Preise für Baustoffe, schreibt der Großhändler. Er listet auf: Dachziegel | |
15 bis 20 Prozent teurer, Glaswolldämmung 15 Prozent teurer, | |
Bitumenabdichtungen 12 bis 16 Prozent teurer. | |
Der Großhändler hat Maßnahmen ergriffen, auch über die informiert er in | |
seinem Brief: Mehr Baustoffe würden nun gelagert, Preisangebote gälten für | |
eine kürzere Zeit. Und dann folgt ein ungewöhnlicher Satz: „Als unseren | |
Beitrag zu den bereits von den Regierungen verhängten Sanktionen gegen | |
Russland und Belarus haben wir die Geschäftsbeziehungen zur Firma Georg | |
Börner Chemisches Werk für Dach- und Bautenschutz GmbH & Co. KG vorerst | |
eingestellt.“ | |
Die Firma Georg Börner sitzt in Bad Hersfeld, einer Kleinstadt in | |
Osthessen. Sie ist auf Dachabdeckungen spezialisiert, genauer auf | |
Bitumenabdichtungen. Das sind jene, die laut dem Schreiben des | |
Großhändlers so teuer geworden sind. Bitumen wird aus Erdöl gewonnen. Bei | |
großer Hitze ist es eine zähe Flüssigkeit. Erkaltet kann Bitumen zu Bahnen | |
gewickelt werden. Es wird vor allem im Straßenbau eingesetzt, die Firma | |
Börner produziert damit Dachabdeckungen. Vereinfacht gesagt: Dachpappe. | |
Seit knapp 150 Jahren werden mit Börners Materialien die Dächer von | |
Wohnanlagen, Fabrikhallen und Kurkliniken bestückt. Bis vor sechs Jahren | |
war das Unternehmen in der Hand der Nachfahren des Gründers Georg Börner – | |
ein Familienunternehmen in fünfter Generation. Im Jahr 2017 kaufte sich ein | |
russischer Unternehmer in die Firma ein. | |
Der Mann heißt Sergei Kolesnikow und ist einer von zwei Inhabern der | |
russischen Baustofffirma Technonicol. Er besitzt die Firma Georg Börner | |
heute zu 100 Prozent. | |
## Sanktionen? Nur in Polen | |
Technonicol sitzt in Moskau und gehört landesweit zu den größten | |
Herstellern von Bau- und Dämmstoffen. In den vergangenen 20 Jahren hat | |
Technonicol sich auch nach Europa ausgebreitet. Nicht nur in Deutschland | |
hat Technonicol eine Firma gekauft, auch in Italien, Schottland, Litauen. | |
Zeitweise war es nach eigenen Angaben der größte Hersteller von | |
Dachabdichtungsbahnen in Europa. | |
Aber Technonicol liefert nicht nur Material für zivile, unpolitische | |
Bauwerke. Nach Recherchen der taz macht die Firma auch Geschäfte in zwei | |
Bereichen, die für Russlands Krieg in der Ukraine bedeutend sind: beim Bau | |
von Rüstungsfabriken und beim Wiederaufbau der russisch besetzten Gebiete | |
im Osten der Ukraine. | |
Zwar stecken die Baustoffe von Technonicol nicht direkt in den russischen | |
Bomben, die auf die Ukraine fallen – dafür aber offenbar in den Fabriken | |
und Firmengebäuden der Unternehmen, die Kriegsgerät und militärische | |
Ausrüstung bauen. Und sie stecken in Schulen, Kindergärten und | |
Heizkraftwerken, die Russland in der Ostukraine derzeit errichtet. | |
Da beendet also ein Großhändler seine Geschäftsbeziehungen zu einer | |
deutschen Firma, weil tausend Kilometer weiter östlich Russland die Ukraine | |
überfallen hat. Und die Europäische Union, die politisch und juristisch die | |
Möglichkeit hätte, dem russischen Bauunternehmer Sergei Kolesnikow die | |
Geschäfte zu erschweren? | |
Die EU hat Sergei Kolesnikow bis heute nicht sanktioniert. Er darf in der | |
EU reisen, handeln, sein Geld verwalten – nur nicht in Polen. Auch dort war | |
Sergei Kolesnikow an zwei Unternehmen beteiligt. Polen hat Kolesnikow im | |
Sommer sanktioniert und seine polnischen Firmen unter Zwangsverwaltung | |
gestellt. Er kann dort nun kein Geld mehr verdienen. Polen hat das allein | |
entschieden. Das ist ungewöhnlich. | |
Die taz hat Dokumente ausgewertet, aus denen hervorgeht, wie Sergei | |
Kolesnikow und seine Firmen vom russischen Krieg profitieren. Wie kann es | |
sein, dass er eineinhalb Jahre nach dem Überfall auf die Ukraine in | |
Deutschland und Europa weiter Geschäfte machen kann? | |
Die EU hat auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine mit umfassenden | |
Sanktionen reagiert. [2][Elf Sanktionspakete] hat sie verabschiedet. Darin | |
gelistet sind auch rund 1.800 russische Privatpersonen – Politiker, | |
Militärangehörige, Geschäftsleute. Sie dürfen nicht nach Europa reisen, | |
ihr Vermögen in Europa wurde eingefroren. „Diejenigen, die Putins | |
Kriegsmaschinerie am Laufen halten“, sagte Kommissionspräsidentin | |
Ursula von der Leyen kurz nach Kriegsausbruch, „sollten nicht länger ihrem | |
pompösen Lebensstil frönen können, während Bomben auf unschuldige Menschen | |
in der Ukraine fallen.“ | |
Die Bomben, die heute auf die Ukraine fallen, entstehen auch in | |
Unternehmen, für die Sergei Kolesnikow und seine russische Firma | |
Technonicol Baustoffe geliefert hat. Im Auftrag des russischen Staats. Der | |
taz liegen Dokumente vor, die zeigen, dass Technonicol mindestens zwischen | |
2014 und 2017 russische Rüstungsunternehmen beliefert hat sowie | |
Unternehmen, die neben der zivilen Sparte auch für die Rüstungsindustrie | |
produzieren. In diesen Firmen werden unter anderem Kampfhubschrauber, | |
Atom-U-Boote, Kriegsschiffe und militärisches Elektrogerät entwickelt oder | |
gebaut. Die Dokumente stammen von dem Portal, auf dem Russland seine | |
öffentlichen Ausschreibungen bekannt gibt. Aus Deutschland sind sie nicht | |
einsehbar, man bekommt sie nur, wenn man aus dem russischen Netz auf sie | |
zugreift. Sie zeigen größere und kleinere Aufträge. | |
Dass Technonicol diese Aufträge ausgerechnet ab 2014 erhalten hat, ist | |
pikant. Anfang 2014 beginnt der Krieg im Donbass: Im März 2014 annektiert | |
Russland die ukrainische Halbinsel Krim, im Osten der Ukraine unterstützt | |
es mit Kriegsgerät und Soldaten die prorussischen Separatisten. Im Mai 2014 | |
bekommt Technonicol den Auftrag, Baumaterialien im Wert von vier Millionen | |
Rubel an die Progress Arsenyev Aviation Company zu liefern, eine Firma | |
in Ostrussland. In dieser Firma wird unter anderem der Kampfhubschrauber | |
Kamow Ka-52 Alligator hergestellt. Er gilt als einer der modernsten | |
Angriffshubschrauber und kommt auch jetzt in der Ukraine zum Einsatz. | |
Ukrainische Medien nennen ihn „Putins Geier“. | |
Im August 2014 bekommt Technonicol den Auftrag, Dachmaterialien an die | |
Firma Basalt zu liefern. Basalt ist einer der wichtigsten Waffenhersteller | |
Russlands, er gehört zur staatlichen Rüstungsgesellschaft Rostec. In den | |
Fabriken von Basalt werden Bomben hergestellt, die auch über der Ukraine | |
abgeworfen werden. Die EU hat Basalt sanktioniert. | |
Die taz hat Sergei Kolesnikow gefragt, warum er diese Unternehmen beliefert | |
hat. Kolesnikow antwortete freundlich, in perfektem Englisch: Mit der Firma | |
Progress sei er keinen Vertrag eingegangen und habe an sie keine Produkte | |
geliefert. | |
Die Verträge mit den anderen Firmen bestreitet er nicht, schreibt aber, er | |
könne nicht bewerten, ob diese Firmen tatsächlich Rüstungsfirmen seien. Mit | |
der Rüstungsindustrie gehe er keine Geschäfte ein. Alle Aufträge, die seine | |
Firma ausgeführt habe, seien für zivile Zwecke gewesen, nie für | |
militärische oder Dual-Use-Güter. „Wir haben weder den russischen | |
Streitkräften noch anderen aktiven Gruppen im Ukrainekrieg je Produkte | |
verkauft.“ | |
Sergei Kolesnikow stamme aus einer einfachen sowjetischen Familie, so | |
formuliert es eine russische Webseite. Er ist 1972 an der Wolga geboren. Im | |
Jahr 1992, da ist Kolesnikow 20 Jahre alt, gründet er zusammen mit seinem | |
Studienfreund Igor Rybakow Technonicol, eine Firma für Dachmaterialien. | |
Kolesnikow und Rybakow kaufen in Russland eine Fabrik nach der anderen, | |
Ende der 90er herrschte Goldgräberstimmung in Russlands Baubranche. Der | |
Boom macht Kolesnikow und Rybakow reich. Heute sind beide Milliardäre. | |
Forbes führt Kolesnikow mit einem Vermögen von 1,2 Milliarden Dollar auf | |
der Liste der reichsten Menschen der Welt. | |
Und wer reich ist, hat Einfluss. Sergei Kolesnikow ist Mitglied in | |
verschiedenen russischen Wirtschaftsverbänden. Er ist Teil des Präsidiums | |
der Wirtschaftsvereinigung Business Russia. Beim elften Jahresforum von | |
Business Russia, 2019, diskutierte Kolesnikow mit Russlands Präsidenten | |
Wladimir Putin öffentlich die Rolle der russischen Wirtschaft. Fotos zeigen | |
die beiden zusammen auf der Bühne. | |
Im Dezember 2015 bekommt Sergei Kolesnikow eine Ehrenurkunde für sein | |
Engagement überreicht. Unter dem russischen Staatswappen, dem goldenen | |
Doppeladler auf rotem Grund, steht dort: „Anerkennung für das aktive | |
Engagement von Sergei Anatoljewitsch Kolesnikow, Mitglied im Präsidium des | |
Generalkonsuls der öffentlichen Organisation Business Russia“. Die Urkunde | |
ist von Wladimir Putin persönlich unterschrieben: schwarze Tinte über einem | |
Stempel des Präsidenten der Russischen Föderation. Gegenüber der taz | |
bestreitet Kolesnikow, enge Verbindungen zu Putin zu haben. | |
## „Made in Germany“ | |
Sergei Kolesnikow ist mittlerweile offiziell auch Europäer. Im Jahr 2019 | |
hat er sich die maltesische Staatsbürgerschaft erkauft wie viele russische | |
Oligarchen in den vergangenen Jahren. Auf Zypern besitzt er ein | |
Investmentunternehmen. „Ich bin maltesischer Staatsangehöriger“, schrieb er | |
kürzlich auf Facebook. Bis heute besitzen Kolesnikow und Rybakow jeweils 50 | |
Prozent von Technonicol. Zwei Geschäftsmänner, die grundverschieden sind. | |
Igor Rybakow schreibt Bücher, produziert protzige HipHop-Videos, sucht die | |
Öffentlichkeit. Kolesnikow tritt kaum öffentlich auf. Er hat eine | |
Facebook-Seite, auf der präsentiert er sich als moderner Unternehmer. | |
Er postet Fotos von sich im Sportoutfit auf einem Berggipfel, dazu | |
schreibt er: „Explore, Dream, Discover.“ Er schreibt, wie sein Unternehmen | |
Plastikmüll reduziert, und gibt Karrieretipps für junge Leute: „Was würde | |
ich meinem 30 Jahre jüngerem Ich heute empfehlen? Nichts Magisches.“ Er | |
rät, die IT-Sphäre zu entdecken, sich um seine Gesundheit zu kümmern und | |
Englisch zu lernen. Ein Profil wie von einer PR-Agentur angelegt. | |
Im November 2017 sitzt Sergei Kolesnikow an einem langen Tisch mit rotem | |
Banner mitten in Deutschland. Pressekonferenz in Bad Hersfeld, Hessen. Ein | |
lokales Medium veröffentlicht das Foto und einen Bericht. Kolesnikow ist | |
mit einem Kollegen aus Moskau eingeflogen, um vor der Lokal- und Fachpresse | |
seine Übernahme der Firma Börner zu bekunden. Eine PR-Agentur hat den | |
Termin vorbereitet, es gibt Snacks und Getränke. | |
„Kräfte bündeln – Visionen verwirklichen“, steht auf dem Banner, hinter… | |
Kolesnikow sitzt. Darüber die Logos von Börner und Technonicol. Neben | |
Kolesnikow sitzen sein russischer Kollege und Michael Börner, der | |
Firmenerbe aus Bad Hersfeld. | |
Sergei Kolesnikow, der weltgewandte Geschäftsmann, spricht russisch. Eine | |
Dolmetscherin übersetzt. Kolesnikow schwärmt vom Qualitätsbegriff „Made in | |
Germany“. Elf Millionen Euro wolle er in Bad Hersfeld investieren, eine | |
neue Produktlinie entwickeln, Arbeitsplätze schaffen, berichtet das | |
Lokalmedium. | |
Michael Börner, der Firmenerbe, freut sich über den neuen Inhaber. Aber er | |
sagt auch: „Wir sind ein deutsches Unternehmen, und das bleiben wir auch. | |
Wir werden unsere Kultur im Unternehmen nicht verlieren.“ | |
Später wird Michael Börner in einem perfekt inszenierten Werbevideo von | |
Sergei Kolesnikow auftreten und sagen, es sei emotional nicht einfach | |
gewesen, die „Generationsfirmenanteile“ zu verkaufen, „weil man einen Teil | |
seiner Familiengeschichte weitergibt oder weggibt“. | |
Sergei Kolesnikow schmückt sich mit dieser Firmengeschichte, auch in | |
Russland. Im Jahr 2019 eröffnet er eine Börner-Fabrik in Jelabuga mitten | |
in Russland. „Die 130-jährige Geschichte der berühmten deutschen Marke“ s… | |
nun auch Teil des neuen russischen Börner-Werks, heißt es in einer | |
Pressemitteilung von Technonicol. | |
Bei der Eröffnung preist Kolesnikow die gute deutsche Qualität, die hohen | |
Standards der Firma Börner. Im russischen Börner-Werk wird Bauschaum | |
hergestellt – und zwar, so wird es 2019 angekündigt, sowohl unter dem Label | |
Börner als auch unter dem Label Technonicol. | |
Für ein persönliches Gespräch mit der taz hat Michael Börner in diesen | |
Wochen keine Zeit. Aber seine Assistentin beantwortet Fragen per Mail. Das | |
Unternehmen sei damals in einer schwierigen Lage gewesen. Mit der | |
Investition von Herrn Kolesnikow habe man wieder Stabilität erlangen, | |
Arbeitsplätze sichern, das Produktionsangebot ausweiten können. | |
Davon, dass Technonicol auch die russische Rüstungsindustrie beliefere, | |
wisse man nichts, schreibt Michael Börners Assistentin. Und sie stellt | |
klar: Börner stelle keine Produkte für Technonicol her, kaufe keine | |
Rohstoffe aus Russland und liefere auch selbst weder nach Russland noch in | |
die besetzten Gebiete in der Ostukraine. Russland hat einen großen Teil der | |
Ostukraine eingenommen. Orte wie Cherson und Bachmut sind zum Inbegriff der | |
russischen Zerstörung geworden. | |
Die Bomben der russischen Armee haben aus diesen Städten Trümmerwüsten | |
gemacht. Putin will sie wiederaufbauen, verspricht blühende Landschaften. | |
In Telegram-Gruppen wie „Neues Mariupol“ wird der Baufortschritt bejubelt. | |
Wer die Berichte in diesen Gruppen und der russischen Presse verfolgt, der | |
findet Spuren von Technonicol überall in den besetzten Gebieten. In | |
Mariupol, der Stadt, die Putins Armee in Grund und Boden gebombt hat, | |
sollen in diesem Jahr 90 neue Bildungseinrichtungen entstehen, berichtet | |
eine russische Nachrichtenseite. Ein Foto zeigt die Baustelle, ein | |
eingerüstetes Haus, davor liegen Pakete gelber Dämmwolle mit dem Aufdruck | |
„Technonicol“. Im vergangenen Herbst berichtet eine andere Webseite vom | |
Wiederaufbau des Heizkraftwerks in Mariupol. Auch hier zeigt ein Bild | |
Paletten voller Technonicol-Pakete vor der Baustelle. | |
Und auch wer in der Krimregion, in den russisch besetzten Gebieten Donezk | |
und Luhansk Technonicol-Produkte kaufen will, der kann das bei lokalen | |
Baustoffhändlern tun. | |
Russland baut in den annektierten Gebieten auf, was es kaputt gebombt hat – | |
und Sergei Kolesnikow liefert die Baustoffe. Das bringt gutes Geld ein. Im | |
ersten Quartal 2022, als der Krieg ausbricht, habe sich der Umsatz der | |
Onlineverkäufe verfünffacht, vermeldet Technonicol selbst. | |
Auf taz-Nachfrage bestreitet Sergei Kolesnikow nicht, dass mit | |
Technonicol-Produkten in der Ostukraine gebaut wird. Aber er stellt klar: | |
„Wir sind kein Bauunternehmen, sondern nur ein Hersteller spezifischer | |
Produkte.“ | |
## „Antirussische Stimmung“? Nicht hier | |
Zurück zur EU und ihrem Versuch, dem russischen Krieg etwas | |
entgegenzusetzen. Diejenigen, „die Putins Kriegsmaschinerie am Laufen | |
halten“, so hatte es die Kommissionspräsidentin der EU, Ursula von der | |
Leyen, formuliert, sollten nicht weiter dem Luxus frönen können. Lässt sich | |
das Geschäft Technonicols als Teil von Putins Kriegsmaschinerie begreifen? | |
Sergei Kolesnikow bestreitet das vehement. Seine Firma produziere | |
Baumaterialien ausschließlich für zivile Zwecke, schreibt er. | |
Die Sanktionsbehörden zweier Länder sehen das anders: Polen und die Ukraine | |
haben Kolesnikow bereits sanktioniert. Im Alleingang. Für die Ukraine ist | |
das nicht ungewöhnlich, sie ist nicht gebunden an das Vorgehen der EU, der | |
USA oder anderer Staaten. Im Oktober 2022 setzte die zuständige ukrainische | |
Behörde Sergei Kolesnikow auf die Sanktionsliste. Kolesnikow übe | |
kommerzielle Tätigkeiten in Wirtschaftssektoren aus, die eine wichtige | |
Einnahmequelle für die russische Regierung darstellten, so begründet die | |
Behörde ihre Entscheidung. | |
Ein gutes halbes Jahr später zog Polen nach – als einziger Staat der EU. | |
Polen sanktionierte Sergei Kolesnikow sowie seinen Geschäftspartner Igor | |
Rybakow und stellte die beiden Börner-Gesellschaften in Polen unter | |
Zwangsverwaltung. Polen war ein wichtiger Markt für Technonicol. Die Firma | |
hatte dort mehr investiert als in Deutschland. | |
Kolesnikow reagierte wütend auf die Entscheidung Polens. Auf seiner | |
Facebook-Seite veröffentlichte er einen Brief an den damaligen polnischen | |
Wirtschaftsminister. Auch gegenüber der taz kritisiert er das aus seiner | |
Sicht unfaire Vorgehen Polens. Dass Polen die Sanktionen allein erlassen | |
hat, hält Kolesnikow für illegal. Er hat dagegen Klage eingereicht vor dem | |
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Er glaubt, dass seine | |
polnischen Konkurrenten die Sanktionierung vorangetrieben haben, um ihm | |
wirtschaftlich zu schaden. | |
Aus Ländern, in denen es eine „starke antirussische Stimmung“ gebe, werde | |
er sich zurückziehen, kündigte er vor wenigen Wochen in einer russischen | |
Tageszeitung an. Deutschland stehe noch nicht an der Spitze der | |
antirussischen Rhetorik. „Bisher haben wir gesehen, dass wir dort arbeiten | |
dürfen, sodass wir uns in Westeuropa mehr oder weniger sicher fühlen“, | |
sagte er im Zeitungsinterview. | |
Dass Polen Kolesnikow und seinen Geschäftspartner Igor Rybakow ohne die | |
anderen EU-Staaten sanktioniert hat, verwundert selbst Sanktionsexperten. | |
Eigentlich trifft die EU Sanktionsentscheidungen gemeinsam, so sehen es | |
auch die europäischen Verträge vor. Auf taz-Nachfrage wiegelt eine | |
Sprecherin der EU-Kommission ab: Die EU-Sanktionen würden zwar auf | |
europäischer Ebene beschlossen, umsetzen und kontrollieren müssten sie | |
allerdings die Mitgliedstaaten. „Das bedeutet, dass ein Land auch nationale | |
Sanktionen verhängen kann“, schreibt die Sprecherin. | |
Wieso ist das aber in diesem Fall überhaupt nötig? Wollten die anderen | |
EU-Staaten Kolesnikow nicht sanktionieren? Konnten sie nicht? Reichten | |
ihnen die Belege nicht? | |
Wer versucht, darauf eine Antwort zu finden, stößt auf verschlossene Türen. | |
Bis der Name einer Person auf einer Sanktionsliste landet, braucht es viele | |
Beratungen und eindeutige Belege. Einzelpersonen kommen dann auf die Liste, | |
wenn ihnen ein Bezug zum Krieg nachgewiesen werden kann. Der Kriegsbezug | |
kann weit gefasst sein, was heikel ist. Vor den europäischen Gerichten | |
klagen derzeit mehrere russische Oligarchen – einige haben Erfolg. Die EU | |
muss sie wieder von den Sanktionslisten streichen. | |
Spricht man mit Politikern, die die Sanktionsverfahren gut kennen, | |
verweisen die vor allem auf die Rechtssicherheit. Jede Listung muss so gut | |
begründet sein, dass sie auch vor Gericht standhält. Die Mitgliedstaaten | |
verhandeln untereinander, wer auf die Sanktionslisten kommt. Der | |
Beschluss muss einstimmig fallen unter allen 27 Mitgliedstaaten. | |
War Sergei Kolesnikow in diesen Runden bereits Thema? Die Sprecherin der | |
EU-Kommission schreibt auf taz-Nachfrage, die Beratungen seien vertraulich. | |
Nachfrage also beim Auswärtigen Amt. Eine offizielle Antwort gibt die | |
Pressestelle nicht. Aus Kreisen des Amts heißt es aber, Sergei Kolesnikow | |
sei dem Auswärtigen Amt bekannt. | |
Die Ukraine fertigt jeden Monat Dossiers über russische Oligarchen an, die | |
in der EU noch nicht sanktioniert sind. Diese Dossiers schickt die dortige | |
Behörde an den diplomatischen Dienst der EU. Im September hat die Ukraine | |
das Dossier zu Kolesnikow angefertigt und verschickt. Es liegt der taz vor. | |
Darin führt die Sanktionsbehörde unter anderem auf, welche russischen | |
Rüstungsunternehmen von Technonicol nach 2014 beliefert wurden. Die | |
ukrainischen Beamten kommen zu dem Schluss: „Verträge mit | |
Rüstungsunternehmen und militärischen Gruppen Russlands, die in dieser Zeit | |
geschlossen wurden, sind ein direkter Beleg für die materielle | |
Unterstützung des Kriegs.“ Sergei Kolesnikow sei direkt verantwortlich für | |
das Material und die finanzielle Unterstützung des Kriegs in der Ukraine. | |
Fragt man nach beim diplomatischen Dienst der EU, was aus diesem Dossier | |
wurde, heißt es auch dort: Zu Einzelfällen äußere man sich nicht. | |
Zurück nach Bad Hersfeld, zur Dachpappenfabrik Georg Börner. Michael | |
Börner, der Geschäftsführer, hat nach Beginn des Kriegs viele Gespräche mit | |
verunsicherten Kunden geführt. Der Dachdeckergroßhändler vom Beginn des | |
Textes war vermutlich nicht der Einzige, der die Geschäftsbeziehungen zu | |
Börner beendet hat. Einige Unternehmen hätten ihn aufgrund der „veränderten | |
geopolitischen Lage“ kontaktiert, schreibt Michael Börner auf | |
taz-Nachfrage. Er habe sorgfältig erklärt, dass die Georg Börner GmbH ein | |
deutsches Unternehmen sei, nach deutschem Recht arbeite und nicht mit | |
russischen Rohstoffen produziere. Damit sei es ihm gelungen, die | |
„überwiegende Mehrheit“ der geschäftlichen und sozialen Beziehungen | |
aufrechtzuerhalten. | |
Mitarbeit: Anastasia Magazowa, Kateryna Reznikowa | |
5 Nov 2023 | |
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