# taz.de -- Regierungskritische Musik in Kuba: Eine Hymne der Hoffnung | |
> „Patria y Vida“, Vaterland und Leben, heißt der Song, der die kubanische | |
> Regierung herausfordert. Das Video wurde mehr als eine Million Mal | |
> geklickt. | |
Bild: Leben statt Tod und Vaterland. Kubanische Künstler fordern mehr Freiheit | |
Yotuel Romero malt sich das Wort Vida, Leben, mit weißer Farbe auf den | |
muskulösen Bauch. Im Hintergrund flimmern Bilder von Verhaftungen der | |
kubanischen Polizei über den Bildschirm, Protestplakate landen im Dreck. | |
Dazu erklingt der eingängige Refrain „Es reicht. Kuba verlangt Freiheit, | |
nicht weitere Doktrin. Jetzt rufen wir nicht mehr Vaterland oder Tod, | |
sondern Vaterland und Leben“, die Hymne der Hoffnung. Als solche wollen die | |
sechs Musiker, die [1][„Patria y Vida“] komponiert haben, ihr Stück | |
verstanden wissen. Ein Song und ein Video, die aufrütteln sollen und ganz | |
bewusst einen Gegensatz schaffen zur Parole der Revolution, dem | |
martialischen „Patria o Muerte“, Vaterland oder Tod, von Fidel Castro. | |
In Kuba ist der gesungene Appell ein Politikum, in den sozialen Netzen auf | |
der Insel und im benachbarten Miami und um die Insel herum gehen die | |
Klickzahlen durch die Decke. Mehr als eine Million Zuschauer allein auf | |
YouTube, 72 Stunden nachdem Song und Video am Mittwoch abend gepostet | |
wurden, zeugen davon. Künstler, Intellektuelle, Aktivisten haben das | |
brisante Video genauso auf Facebook und anderen Plattformen geteilt wie | |
Otto-Normal-Kubaner. Der Boom ist auch an der Regierung in Havanna nicht | |
vorbeigegangen und – anders als gewöhnlich – hat sie auf allen Kanälen | |
reagiert. | |
## Das Wort „Söldner“ hat wieder Konjunktur | |
Am Freitag startete die Gegenoffensive mit Ex-Kulturminister Abel Prieto, | |
der den Song als „musikalisches Pamphlet“ bezeichnete und die Musiker als | |
„traurigen Chor von Annexionisten, der das eigene Land angreife“. | |
In der Antena Cubana, einem staatlichen Fernsehkanal, verwahrte sich ein | |
jugendlicher Moderator gegen die Diskreditierung der Revolutionsparole | |
„Vaterland oder Tod“, während weitere Kollegen bereits darauf verwiesen, | |
dass Song und Video in Miami produziert seien. Die Künstler hätten sich | |
somit vor den Karren der exilkubanischen Rechten spannen lassen. | |
Mercenario, Söldner, seien sie, so die typische Schlussfolgerung aus | |
offizieller Perspektive. | |
Das Wort vom Söldner hat in Kuba derzeit wieder Konjunktur in den | |
staatlichen kubanischen Medien. „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns, | |
lautet die schlichte Messlatte der kubanischen Regierung“, klagt Camila | |
Acosta, Journalistin und zugleich Mitglied der Gruppe „27N“, die in Kuba | |
einen Wandel in der Kulturpolitik einfordert. Ein Ende der Zensur, der | |
systematischen Gängelung durch die Politik und Respekt für die freie | |
Meinungsäußerung fordern die rund 30 Mitglieder der Gruppe, die am 27. | |
November im Kulturministerium der Insel vorgelassen wurden. | |
Dafür hatten je nach Quelle zwischen 300 und 800 Menschen, viele aus der | |
Kunstszene, gesorgt, die sich vor dem Ministerium versammelt hatte, um | |
friedlich zu protestieren. „In Kuba hat es so etwas noch nie gegeben“, so | |
die Schauspielerin Lynn Cruz, die damals wie so viele andere ihre | |
Solidarität mit dem „Movimiento San Isidro“ (MSI) ausdrücken wollte, gegen | |
das die Polizei am gleichen Tag martialisch vorgegangen war. | |
## Gerappte Klage gegen Polizeigewalt | |
Das MSI, eine Künstlergruppe, die sich seit knapp drei Jahren für freie | |
Kunst und gegen staatliche Regulierung engagiert, hatte Mitte November | |
gegen die Verurteilung des kritischen Rappers Denis Solís mit einem | |
Hungerstreik protestiert, der am Morgen des 27. November von der Polizei | |
gewaltsam aufgelöst wurde. Seitdem schwellt ein offener Konflikt zwischen | |
kritischer Kunst und kubanischer Politik. | |
Mehrere der in der Gruppe 27N und [2][dem MSI organisierten | |
Künstler*innen] werden von der Polizei schikaniert, durften Tage, | |
teilweise Wochen ihre Wohnung nicht verlassen, ihre Mobiltelefone wurden | |
immer wieder blockiert und in den Medien des Landes wurden Einzelne, wie | |
die international bekannte Künstlerin Tania Bruguera oder der Rapper Maykel | |
Osorbo, als Konterrevolutionäre diffamiert. | |
Osorbo ist Teil des Sextetts, das für „Patria y Vida“ verantwortlich ist, | |
gehört dem MSI an und hat seinen gerappte Klage gegen die Polizeigewalt in | |
Kuba eingespielt und rüber nach Miami geschickt. Dort haben die in Kuba | |
durchaus populären Reggeatón- Virtuosen von Gente de Zone, die beiden | |
Sänger und Produzenten Yotuel Romero und Descemer Bueno Hand angelegt und | |
der von eingängigen Bassläufen getragenen Ballade des Protest den letzten | |
Schliff verliehen. | |
Gegen die hat nun Staatchef Miguel Díaz-Canel Front gemacht. Er kritisierte | |
die Musiker auf Twitter und endete mit den altbekannten Worten Fidel | |
Castros: „Vaterland oder Tod. Wir werden siegen.“ Doch ob sich der Konflikt | |
mit der kreativen Künstlerinnen-Generation der 30-40-Jährigen so einfach | |
aussitzen lässt, ist mehr als zweifelhaft. | |
21 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=pP9Bto5lOEQ | |
[2] /Hungerstreik-in-Kuba/!5731892 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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