# taz.de -- Regelabfrage beim Verfassungsschutz: Kein Gesinnungs-TÜV für Rich… | |
> In Niedersachsen will die CDU Richter*innen vom Verfassungsschutz | |
> überprüfen lassen. SPD und Grüne sagen Nein und erinnern an den | |
> Radikalenerlass. | |
Bild: Protest gegen Radikalenerlass in den 70ern – Betroffene kämpfen bis he… | |
HANNOVER taz | Eigentlich haben die aktuellen Ereignisse der CDU doch in | |
die Karten gespielt: Im Dezember bei der großen Reichsbürger-Razzia ist | |
schließlich auch die Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete und [1][Richterin am | |
Landgericht Berlin, Birgit Malsack-Winkemann, festgenommen worden]. | |
Noch so ein Problemfall im Justizapparat, nachdem ja auch schon die | |
angestrebte Rückkehr des offen rechtsextremen [2][AfD-Abgeordneten Jens | |
Maier in sein Richteramt] in Sachsen für Aufregung gesorgt hatte. Und in | |
Niedersachsen wurde obendrein bekannt, dass sich [3][ein Familienrichter | |
früher in rechtsextremen Organisationen] getummelt hatte. | |
Gute Gründe also beim Einstellungsverfahren für Richter*innen | |
nachzuschärfen? Die CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag sieht das so | |
und hat schon zu [4][Beginn des vergangenen Jahres eine entsprechende | |
Gesetzesinitiative] angekündigt. Solange sie noch an der Regierung | |
beteiligt war, kam die allerdings nicht mehr zu Stande. | |
Nun legte die CDU als Oppositionspartei einen entsprechenden | |
Gesetzesentwurf vor. Wichtigster Punkt: Angehende Richter*innen sollten | |
künftig mit einer sogenannten Regelabfrage beim Verfassungsschutz überprüft | |
werden – wie es für Polizist*innen auch schon vorgeschrieben ist.Das | |
soll, betont der justizpolitische Sprecher der CDU, kein neuer | |
Radikalenerlass werden. Man wolle, so Christian Calderone, ein rechtlich | |
einwandfreies, transparentes Verfahren schaffen, dass im Zweifelsfall auch | |
gerichtlich überprüft werden könne. | |
## Spätere Radikalisierungen werden nicht erfasst | |
Die rot-grüne Mehrheit im Parlament positioniert sich trotzdem dagegen. Die | |
Erkenntnisse beispielsweise über die Reichsbürgerbewegung zeigten doch, | |
dass die Radikalisierung oft erst später erfolge, sagt etwa Evrim Camuz von | |
den Grünen. | |
Es ginge da um gescheiterte Existenzen, Männer in den 40er- oder | |
50er-Jahren ihres Lebens – da helfen Überprüfungen bei der Einstellung nun | |
einmal nicht viel. | |
Auch Jan Schröder von der SPD glaubt, dass Verfassungsschutzerkenntnisse, | |
die immer nur eine Momentaufnahme darstellten, niemals hinreichend | |
transparent gemacht werden könnten. Erfahrungsgemäß möchte sich der Dienst | |
ja nicht allzu tief in die Karten gucken lassen. | |
Im Übrigen setzt Schröder quasi auf die Selbstheilungskräfte des Apparates: | |
Auf dem langen Weg zum Richteramt, wo immer wieder Beurteilungen durch | |
Vorgesetzte fällig werden, müsste es auf anderem Wege möglich sein, | |
ungeeignete Bewerber*innen herauszufiltern. | |
## Betroffene kämpfen bis heute um Wiedergutmachung | |
Beide verweisen zudem auf die schlechten historischen Erfahrungen mit dem | |
Radikalenerlass. Ab 1972 waren damit – vor allem linke – Bewerber*innen | |
aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten worden, die man verdächtigte, | |
staatsfeindliche Gesinnungen zu haben. | |
Das geschah zum Teil auf höchst wackliger Grundlage, wie spätere | |
Gerichtsurteile feststellten, aber mit weitreichenden Auswirkungen: | |
Betroffen waren viele Lehrer*innen, aber auch Post- und Bahnbeamte. Für sie | |
alle kam das häufig einem Berufsverbot gleich. | |
Erst unter der ersten rot-grünen Landesregierung unter Gerhard Schröder in | |
den 1990er-Jahren wurde diese Praxis eingestellt. Die Opfer dieser Regelung | |
kämpfen allerdings noch immer um eine Wiedergutmachung. | |
Zwar hatte der niedersächsische Landtag – damals wegweisend – [5][2017 eine | |
Kommission zur Aufarbeitung] unter der Leitung der SPD-Politikerin Jutta | |
Rübke eingesetzt und das Unrecht eingestanden. Mehr als warme Worte | |
erwuchsen daraus aber nicht. | |
Am kommenden Freitagmittag, 27. Januar, wollen insgesamt 17 Betroffene | |
individuelle Petitionen vor dem Landtag an die Leiterin des | |
Petitionsausschusses übergeben. Sie fordern, dass sich der Landtag noch | |
einmal ausführlich mit dem Bericht der Rübke-Kommission befasst und einen | |
Runden Tisch einrichtet, der sich mit der Rehabilitation und Entschädigung | |
befasst. Außerdem soll das Thema Eingang in die politische Bildung finden. | |
Bundesweit hatte es in den 1970er- und 1980er-Jahren etwa 11.000 Verfahren | |
zum Berufsverbot und rund 2.200 Disziplinarverfahren gegeben. In 1.256 | |
Fällen sollen Bewerber*innen aufgrund des Erlasses abgelehnt und 265 | |
Menschen aus dem Dienst entlassen worden sein. Eine Vielzahl der | |
Betroffenen habe bis heute erhebliche materielle Nachteile, etwa in der | |
Altersversorgung, erklärt die „Niedersächsische Initiative gegen | |
Berufsverbote“. | |
29 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Konsequenzen-aus-Putschplaenen/!5902053 | |
[2] /AfD-Richter-Jens-Maier/!5895626 | |
[3] /Richter-mit-rechtsextremer-Vergangenheit/!5847770 | |
[4] /Verfassungsschutz-soll-Richter-checken/!5831498 | |
[5] /Aufarbeitung-des-Radikalenerlasses/!5477908 | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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