# taz.de -- Richter mit rechtsextremer Vergangenheit: Eine Robe macht keine wei… | |
> Am Celler Oberlandesgericht arbeitet ein Familienrichter, der in | |
> Göttingens rechter Szene aktiv war. Bisher sei er nicht aufgefallen, so | |
> das Gericht. | |
Bild: Wer diese Roben trägt, sollte objektiv urteilen. Wie geht das mit Nazi-V… | |
HAMBURG taz | Die politische Herkunft des Familienrichters war am | |
Oberlandesgericht (OLG) Celle nicht bekannt. Erst durch eine Anfrage wegen | |
einer Studie erfuhrt das Gericht von seinen früheren rechtsextremen | |
Aktivitäten. „Wir überprüfen die Darstellung und werten die Studie aus“, | |
sagt Gerichtssprecher Andreas Keppler der taz. Diese Auswertung müsse erst | |
abgeschlossen sein, um Entscheidungen treffen zu können. | |
Im Oberlandesgericht sei der Richter nicht mit einschlägigen Äußerungen | |
aufgefallen. Seit dem [1][Eintritt in den Staatsdiens]t wolle der Richter | |
nicht mehr politisch aktiv gewesen sein. Keppler deutet aber an, dass seine | |
Urteile nun genauer angeschaut würden. | |
„[2][Vom ‚Wächter am Tor‘ zum 'einsamen Wolf]‘“ heißt die Studie, i… | |
die „Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und | |
religiöser Extremismen in Niedersachsen“ die Vita des rechtsextremen | |
Multifunktionärs Hans-Michael Fiedler erforscht. Immer wieder stießen die | |
Wissenschaftler:innen auf jenen Mann, der nun seit 20 Jahren Richter | |
ist. | |
Der Rechtsextremismusexperte Volkmar Wölk hatte schon 2014 über ein | |
Göttinger Netzwerk um Fiedler berichtet, dem der spätere Richter angehörte. | |
Im Magazin Der Rechte Rand fügte er hinzu: „heute wohl bestallter Richter“. | |
Wo, wurde nun bekannt. | |
## 15 Jahre in der Szene | |
Schon als Schüler und Student war er in rechtsextremen Organisationen | |
aktiv. Er wirkte in keiner Partei mit, sondern bemühte sich, im | |
vorpolitischen Raum rechtsextreme Ressentiments zu etablieren. 15 Jahre | |
lang ist er nachweislich in Netzwerken und Gruppen aktiv gewesen, die in | |
Stellungnahmen der Bundesregierung oder des Verfassungsschutzes erwähnt | |
wurden. | |
Die Strategie der Ausrichtung auf den vorpolitischen Raum hatte Fiedler | |
trotz seiner NPD-Mitgliedschaft verfolgt. Er war Initiator der „Göttinger | |
Runde“, zuerst eine Veranstaltung des „Studentischen Arbeitskreises | |
Pommern“. Ihr Ziel war, durch Theorietreffen den Nachwuchs zu schulen. | |
Beide Aktiven kommen enger zusammen als der heutige Richter am | |
Max-Planck-Gymnasium mit 16 Jahren den „Unabhängigen-Schüler-Bund“ (USB) | |
gründet. Den habe Fiedler sofort unterstützt, so die | |
Studienautor:innnen um Katharina Trittel. Seit 2019 werten sie einen | |
Teil des Nachlasses von Fiedler aus. | |
Fiedler und der heutige Richter waren über weitere Organisationen | |
verbunden. Zusammen gehörten sie dem Vorstand der „Hochschulgruppe Pommern“ | |
und auch dem „Studentenbund Schlesien“ (SBS) an. Die Autor:innen der | |
Studie zitieren eine persönliche Beschreibung des damaligen Gymnasiasten | |
aus Fiedlers Feder: „Er ist großartig; schon so sicher im Auftreten“ | |
schwärmt er – und rühmt sich selbst „all der Leistung (…) mit der ich i… | |
dem Weg bahnte und das Nest einrichtete“. | |
Schon mit 16 schreibt Fiedlers Zögling für die Zeitschrift Nation Europa. | |
Über Jahrzehnte war das von dem ehemaligen SS-Sturmbannführer und „Chef der | |
Bandenbekämpfung“ im Führerhauptquartier, Arthur Ehrhardt, gegründete | |
Magazin das Theorie-Organ der Szene. In Nation Europa, so Trittel, habe der | |
Gymnasiast gefordert, „die rechte Grundstimmung unter den Schülern weiter | |
anzufachen“. | |
Die politische Linke und jeglichen Liberalismus markierte er als Feind. Als | |
Ziel peilte er die Zusammenführung der ehemaligen deutschen Ostgebiete zu | |
einem neuen „Großdeutschen Reich“ an. „Das ist eine typische | |
[3][geschichtsrevisionistische Position“,] so Trittel. Der junge Autor sei | |
ein „prototypischer Kader im Sinne der ‚nationalen Jugendbildungsarbeit‘, | |
die Fiedler zeitlebens betrieben hat“. | |
## Enge Verbindungen zur NPD | |
Der USB verstand sich auch selbst als „revisionistisch“, | |
„reichsnationalistisch“ und „anti-marxistisch“. Mit der | |
Schüler:innenzeitung Komet, Auflage 4.500 Exemplare, versuchte der USB | |
in Göttingen Jugendliche anzusprechen. Fiedler und sein Protegé hätten | |
versucht, „junge Menschen im nationalkonservativen Sinn zu mobilisieren, | |
weil sie eine geistige Tendenzwende im rechten Sinne erreichen wollten“, | |
sagt Trittel. | |
Die Gruppen, in denen sie führend aktiv waren, hätten enge Verbindungen zur | |
[4][NPD und deren Jugendorganisation] sowie zur Freiheitlich-Deutschen | |
Arbeiterpartei (FAP) gehabt. | |
Über den SBS stand der heutige Richter mit späteren Rechtsterroristen und | |
NPD-Führungskadern in Verbindung. Einer von ihnen ist der ehemalige | |
[5][NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel,] ein weiter Rüdiger Polaceck. Der | |
FAP-Landesvorsitzende hatte in der Silvesternacht 1990/91 Rechtsextremen in | |
seinem Schulungszentrum in Mackenrode Unterschlupf gewährt, die im nahen | |
Göttingen [6][den Jugendlichen Alexander Selchow umgebracht] hatten. | |
Auch als Rechtsbeistand bei einer Vernehmung eines Kameraden nach einer | |
Schlägerei taucht der heutige Familienrichter in Fiedlers Nachlass auf. | |
1988 erscheint er zuletzt. Fiedler nennt ihn seinen „Hausjuristen“. | |
Im Licht der neuen Erkenntnisse fordert der ehemalige Innenminister und | |
heutige CDU-Landtagsabgeordnete Uwe Schünemann eine Regelabfrage beim | |
Verfassungsschutz vor der Einstellung von Richter:innen. Die | |
rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Marie Kollenrott, kontert: | |
„Die CDU sieht nun eine willkommene Gelegenheit, um ihren Radikalenerlass | |
light wieder aus der Schublade zu kramen. Diesen lehnen wir ab.“ | |
Ein solcher Erlass sei „auch nicht das, was Betroffene von rechter Gewalt | |
unseres Wissens nach zuvorderst einfordern“. Sie besorgt dennoch, dass „ein | |
ehemaliger Nazi-Kader – ohne Offenlegung und eindeutige Distanzierung von | |
seiner Vergangenheit – seit vielen Jahren als Richter in der | |
niedersächsischen Justiz tätig ist“. Das könne „das Vertrauen in den | |
Rechtsstaat erschüttern“. | |
4 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Keine-Nazis-als-Schoeffen-bei-Gericht/!5840275 | |
[2] https://www.univerlag.uni-goettingen.de/bitstream/handle/3/isbn-978-3-86395… | |
[3] /AfDler-relativiert-den-Holocaust/!5752552 | |
[4] /NPD-will-sich-umbenennen/!5847032 | |
[5] /Ex-Parteichef-Apfel-beim-NPD-Prozess/!5280658 | |
[6] /Gemeinde-startet-Gedenkprojekt/!5846499 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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