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# taz.de -- Reform von Strafgesetzen: Weniger Entzug hinter Gittern
> Die Suchtkliniken für Straftäter sind überlastet. Justizminister Marco
> Buschmann will deshalb den Zugang erschweren.
Bild: Vergitterte Fenster einer Justizvollzugsanstalt
Karlsruhe taz | Justizminister Marco Buschmann (FDP) will den Zugang von
Strafgefangenen zum Drogenentzug erschweren, um Suchtkliniken zu entlasten
und um die Ressourcen auf die geeigneten Fälle zu konzentrieren. Das sieht
ein Gesetzentwurf vor, den das Justizministerium an diesem Dienstag
veröffentlichte.
Buschmanns Vorschlag ist Teil eines Pakets zur Reform des Sanktionenrechts,
das schon seit Anfang Juli kursiert. Wichtigster Punkt des Pakets ist die
[1][Reduzierung der Ersatzfreiheitsstrafe]: Pro Tagessatz einer nicht
bezahlten Geldstrafe soll nur noch ein halber (statt ein ganzer) Tag im
Gefängnis verbüßt werden. Für Aufsehen sorgte am Wochenende auch Buschmanns
Vorhaben, bei frauen- und queerfeindlichen Motiven des Täters im
Strafgesetzbuch ausdrücklich eine Strafschärfung anzuordnen.
## Entlassungen aufgrund von Überlastung
Kaum öffentliche Aufmerksamkeit fand bisher jedoch Buschmanns Plan, den
Zugang zum Drogen- [2][und Alkoholentzug] hinter Gittern neu zu regeln.
Der Justizminister reagiert damit auf Hilferufe der Bundesländer. So hat
sich die Zahl der außerhalb des Gefängnisses [3][im Drogenentzug]
untergebrachten Straftäter von rund 2.000 (im Jahr 2002) auf über 4.600 (im
Jahr 2020) mehr als verdoppelt. Nach Darstellung Buschmanns ist dies aber
nicht Ausdruck wachsender Hilfsbedürftigkeit, sondern von Fehlanreizen. Die
Suchtkliniken beschweren sich, dass immer häufiger Delinquenten ohne
Therapiebereitschaft die Ressourcen blockieren und das Therapieklima
gefährden. In Baden-Württemberg sind die Entzugseinrichtungen für
Straftäter so überlastet, dass in der ersten Jahreshälfte bereits zwanzig
Verurteilte vorläufig aus der Haft entlassen werden mussten, weil ihnen
nicht binnen drei Monaten ein Entzugsplatz zugewiesen werden konnte.
Waren 1995 rund 80 Prozent der Entzugsinsassen bei der Verübung ihrer
Straftat schuldunfähig, sind es 2017 nur noch rund 40 Prozent – ein Indiz
dafür, dass die Entzugsinsassen im Schnitt deutlich weniger suchtkrank sind
als früher. Buschmann macht dafür eine zu großzügige Rechtsprechung
verantwortlich. Viele Strafgefangene halten die Unterbringung in einer
Entzugseinrichtung für weniger belastend als den Aufenthalt im normalen
Gefängnis.
Außerdem gilt die Möglichkeit, schon nach der Hälfte der Strafe aus dem
Entzug entlassen zu werden, als wichtiger Anreiz; beim Gefängnisvollzug ist
die Entlassung frühestens nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe
möglich. In der Praxis werden zwar auch die Entzugsinsassen meist erst nach
mehr als zwei Drittel der Strafe entlassen – um so länger blockieren sie
dann aber die raren Entzugsplätze.
## Gesetz soll im Herbst auf den Weg gebracht werden
Buschmann greift nun Vorschläge auf, die eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe
Anfang des Jahres veröffentlichte. So soll die verübte Straftat künftig
„überwiegend“ Folge des Hangs zum Drogenkonsum sein. Auch soll es nicht
mehr genügen, dass der Entzug als Behandlungsziel mit „hinreichender“
Wahrscheinlichkeit erreicht wird. Künftig sollen „tatsächliche
Anhaltspunkte“ hierfür erforderlich sein. Vor allem aber soll die
Entlassung auch im Drogenentzug erst nach zwei Dritteln der Strafe möglich
sein.
Bis Ende August können Verbände zu Buschmanns Gesetzentwurf Stellung
nehmen. Im Herbst soll er im Kabinett auf den Weg gebracht werden. Dann
wird der Bundestag beraten.
19 Jul 2022
## LINKS
[1] /Reform-der-Ersatzfreiheitsstrafe/!5865970
[2] /Autorin-ueber-Alkoholmissbrauch/!5853848
[3] /Kampf-gegen-Alkoholsucht/!5459194
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Marco Buschmann
Gewalt gegen Frauen
Strafverfolgung
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