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# taz.de -- Aminata Touré über ihren neuen Job: „Regierung ist für alle zu…
> Aminata Touré die nicht nur neue Sozialministerin in Schleswig-Holstein,
> sondern die erste deutsche Schwarze Landesministerin überhaupt.
Bild: Aminata Touré ist seit 2017 im Landtag von Schleswig-Holstein
taz: Frau Touré, Sie sind seit Juni Sozialministerin in Schleswig-Holstein.
Was war der beste und was war der schrägste Moment bisher?
Aminata Touré: Ein sehr guter Moment war auf jeden Fall, als das komplette
Team hier zusammen stand. Da war ein starkes Gefühl, dass wir nun gemeinsam
angekommen sind und loslegen dürfen. Das ist nicht mehr Theorie, sondern
die Arbeit geht jetzt wirklich los. Jetzt arbeiten wir uns ein, laufen auch
viel durch die Flure, klopfen an Türen und führen Gespräche.
Und der seltsamste Moment?
Den hatte ich noch nicht.
So ein Ministerium ist ja eine Welt für sich. Da ist sogar geregelt, mit
welcher Farbe wer unterschreiben darf …
Okay, ja, das war ein seltsamer Moment. Ich saß in meinem Büro und dachte,
das sind aber nette Stifte, da sagte meine Assistentin, dass ich als
Einzige mit Grün schreiben darf und dass das bindende Wirkung hat.
Ist so ein großer Verwaltungsapparat auch ein Klotz am Bein?
Überhaupt nicht! Auch als Abgeordnete und Landtagsvizepräsidentin hatte ich
engen Draht zu den Ministerien. Aber der Unterschied ist, dass hier sehr
viele Menschen – allein hier im Haus knapp 300 – gemeinsam an Lösungen
arbeiten. Als wir im Kabinett beschlossen haben, dass wir ein
100-Tage-Programm machen, griffen sofort die normalen Reflexe, sprich, ich
habe mich hingesetzt und losgeschrieben, wie ich das als Abgeordnete
gewohnt war. Dabei kann ich jetzt auf die Arbeit ganzer Abteilungen
zurückgreifen. Die Kontrolle über die Prozesse liegt zwar bei mir, und
natürlich mache ich inhaltliche Punkte, aber ich muss das nicht mehr alles
allein leisten.
Sie waren die erste Schwarze Landtagsvizepräsidentin, jetzt sind Sie die
erste Schwarze Landesministerin. Damit Vorbild, Rollenmodell, Vorkämpferin.
Wie sind die Erwartungen der Umwelt, wie groß ist der Druck?
Ich habe ja schon mehrere erste Male dieser Art erlebt, auch als Schwarze
Abgeordnete. Was es so richtig bedeutet, habe ich mit der Wahl zur
Landtags-Vizepräsidentin gemerkt. Das Schreiben meines Buchs „Wir können
mehr sein“ hat mir geholfen zu verstehen, welche Erwartungen an mich als
Politikerin und Person gerechtfertigt sind und was eben nicht meiner
Verantwortung unterliegt. Also: Ja, es gibt Erwartungen von außen, die
lasse ich aber nicht tief an mich heran – und andere nehme ich ernst und
versuche, sie zu erfüllen. Grundsätzlich sage ich aber: Veränderung
passiert nicht durch einzelne, sondern durch viele Menschen.
Von Ihnen stammt auch der Satz: „Biografie ersetzt keine Politik.“ Schauen
wir also auf die Politik. Die schwarz-grüne Regierung in Schleswig-Holstein
hat sich relativ reibungslos gebildet, dennoch gibt es viel [1][Kritik am
Koalitionsvertrag]. Können Sie das verstehen? Oder haben Sie alles super
gemacht?
Alles bestimmt nicht, dann hätten wir das grüne Wahlprogramm komplett
übernehmen müssen. Natürlich sind wir Kompromisse eingegangen. Die Kritik
daran fand ich aber teilweise absurd. So wollen wir unter anderem den
Tafeln helfen, das wurde als „Almosen-Politik“ bezeichnet – das empfinde
ich als unmöglich, auch den Tafeln gegenüber. Und es ist ja durchaus nicht
so, dass sich unser Programm im Sozialbereich damit erschöpft. Beispiel
Wohnungspolitik: Die Opposition hat noch vor Abschluss der
Koalitionsverhandlungen ein Wohnraumschutzgesetz beantragt, weil sie
dachten, das bekommen wir als Grüne nicht in den Vertrag hineinverhandelt.
Haben wir aber. Aber natürlich darf man sich nicht zurücklehnen. Zum
Beispiel bei der Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut. Der Bund will eine
Kindergrundsicherung bis 2024 – ich wünsche sie mir früher und werde mich
dafür einsetzen. Mit Blick auf die nächsten Wochen und Monate geht es bei
vielen Menschen um Heizkosten, Kitakosten, die Zuzahlungen für die Pflege.
Auf diese Sorgen müssen wir Antworten liefern.
Bei aller Freude über Ihre Verhandlungserfolge: Die CDU als stärkere Partei
prägt den Vertrag stark. So führt der ehemalige Bauernpräsident das neue
Landwirtschaftsministerium. Und [2][CDU-Fraktionschef Tobias Koch kündigt
an], dass Schleswig-Holstein bei der Ansiedlung von Betrieben Bayern
überholen will. Klappen so die Klima- und Umweltziele?
Wir haben in den Bereichen Energiewende, Umwelt- und Klimaschutz sowie der
Landwirtschaft klar gesagt, was wir wollen. Wir haben um viele inhaltliche
Punkte im Koalitionsvertrag gerungen und auf dieser Basis werden wir alle
Politik machen, auch Werner Schwarz als Landwirtschaftsminister.
Trotzdem: Sie wollen zum Wohle des Klimas mehr Industrie ansiedeln?
Um es mal überspitzt zu sagen: Wenn Schleswig-Holstein nicht nur eine
Urlaubsregion sein will, brauchen wir Arbeitsplätze. Aber wir müssen sie so
gestalten, dass sie zum Ziel passen, Schleswig-Holstein bis 2040
klimaneutral zu machen. Die CDU sieht die Klimapolitik als Motor von
Arbeitsplätzen, für uns hat der Kampf gegen die Erderwärmung den Vorrang.
Gemeinsam nehmen wir die Herausforderung an, das Land umzugestalten.
Sie leiten das Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren,
Integration und Gleichstellung. Klingt nach viel – aber die Gesundheit
fehlt, sie hängt nun am Justizministerium. SPD-Oppositionsführer Thomas
Losse-Müller sagt, dass weder CDU noch Grüne das Ressort wollten. Stimmt
das?
Es war keinesfalls so, dass wir nicht wollten. Gesundheit ist eine
Riesenherausforderung. Aber wo Gesundheit ist, bleibt wenig Raum für andere
Fragen. In den vergangenen Jahren war dieses Haus teils Pandemie-, teils
Kitaministerium. Nun kann ich einen klaren Schwerpunkt auf das Soziale
legen. Man kann die Teilung also auch als Aufwertung sehen.
Was steht bei Ihnen für die nächsten Jahre obenan?
Am Ende der Wahlperiode möchte ich alles geschafft haben, was im
Koalitionsvertrag in meinem Bereich steht. Darüber hinaus wird es neue
Herausforderungen und Entwicklungen geben, für die wir Lösungen anbieten
wollen. Das ist mein Anspruch, daran möchte ich mich messen lassen. Und wir
fangen sofort an: Im Kitabereich wollen wir kurzfristig einen
Personalergänzungsfonds auflegen, langfristig wollen wir den
Fachkräfte-Kind-Schlüssel erhöhen. Im Bereich Gleichstellung möchte ich die
Ursachen von Gewalt gegen Frauen bekämpfen und dazu ein Kompetenzzentrum
auf den Weg bringen. Bei der Integration ist die Herausforderung, dass
viele Menschen in Kettenduldung sind. Für sie wollen wir Perspektiven
schaffen, indem Ausländerbehörden ihre Spielräume nutzen und in unsere
Fachkräfte-Initiative einbezogen werden. Zudem planen wir ein
Resettlement-Programm.
Also ein verkürztes Aufnahmeverfahren für besonders schutzbedürftige
Menschen. Aus welchem Land könnten sie kommen?
Angesicht von 100 Millionen, die weltweit auf der Flucht sind, kommen viele
Regionen infrage. Wir wollen dazu die Fachleute auf Bundesebene und des
UN-Flüchtlingshilfswerks kontaktieren, um das Programm möglichst sinnvoll
und erfolgreich aufzulegen.
Die Grünen sind bundesweit im Aufwind, nicht nur bei Wahlen, auch bei
Mitgliederzahlen. Was macht das mit der Partei?
Sie ändert sich total stark. Diese Diskussion hat bereits vor meiner Zeit
angefangen, aber auch in den zehn Jahren, die ich dabei bin, ist sie
weitergegangen, und zwar orientiert an der Realität: Welche
Herausforderungen stellen sich, wie antworten wir darauf? Wenn man nur aus
der Verantwortungslogik argumentiert, kann man sich entkernen. Das ist ein
schmaler Grat, aber ich glaube, dass die Menschen sehr gut wissen, wofür
die Grünen stehen. Angesichts des Kriegs stellt sich die Frage allerdings
wieder. Ich habe das im Haustürwahlkampf gespürt: Einige Leute halten uns
für Verräter und wenden sich ab, wie bereits während des Kosovo-Kriegs. Auf
der anderen Seite sagen Menschen, die uns bisher kritisch gesehen haben,
dass etwa Annalena Baerbock einen tollen Job macht. Man muss sich bewusst
sein, dass eine Regierungspartei für alle zuständig ist, nicht nur für das
eigene Klientel. Man verliert Leute auf diesem Weg, aber man gewinnt auch
viele dazu.
Diejenigen, die Sie gerade verlieren, sind Aktive des Umwelt- und
Naturschutzflügels, da gibt es Protest gegen die Novelle des
Naturschutzgesetzes. Lässt sich der Bruch heilen?
Ich finde es schade, wenn Leute die Partei verlassen, wenn sie sich nicht
mehr zu Hause fühlen. Nehmen wir den Streit um das Flüssiggasterminal in
Brunsbüttel …
… das die Basis ablehnt, dem die Landesregierung aber zustimmt …
Diese Debatte haben wir lange theoretisch geführt. Aber aktuell stellt sie
sich neu angesichts der Unsicherheit, ob es noch Gaslieferungen aus
Russland gibt. Man kann für sich allein sagen, ich stelle meine Ideale über
alles. Aber das kann man nicht 80 Millionen Menschen erklären oder der
Industrie, die Energie braucht. Dennoch sagen wir nicht: Hey, dann lassen
wir die Kohlekraftwerke eben weiterlaufen, kaufen Flüssiggas und vergessen
die Klimakrise. Würden wir so handeln, würden wir unsere Ideale verraten.
Wir baden heute aus, dass jahrelang keine vorausschauende Politik betrieben
wurde und es nicht genug Energie aus Wind und Sonne gibt. In diesem
Zwiespalt stecken wir gerade, und ich glaube, Robert Habeck schläft kaum
noch, weil er versucht, Energie nach Deutschland zu bringen und
gleichzeitig Klima und Naturschutz nicht aus dem Blick zu verlieren.
Schwarz-Grün ist das Modell der Stunde. Probieren Sie und Ihre Partei in
NRW, was alles geht in Hinblick auf ein schwarz-grünes Bündnis auf
Bundesebene?
Nö. Hier in Schleswig-Holstein hatten wir die Wahl zwischen Schwarz-Grün
oder gar nichts – abgesehen von einer Neuauflage von Jamaika, die wir nicht
wollten. In NRW haben sich die Parteien zusammengetan, die an Stimmen
gewonnen hatten. Also: Wir gucken nicht taktisch, welche Optionen es gibt,
sondern machen unseren Wahlkampf und wollen unsere Ziele erreichen. Dabei
kriegen wir nicht immer das Maximalziel durch, aber wir regieren auch nicht
um des Regierens Willen.
Sie haben bisher eine Blitzkarriere hingelegt – wann wird Kiel Ihnen zu
klein?
Das wurde ich schon häufig gefragt, aber ich bleibe dabei: Ich will nicht
weg, ich mache gern hier Politik. Der Job ist herausfordernd, und ich finde
es krass, dass ich Sachen konkret verändern kann.
17 Jul 2022
## LINKS
[1] /Koalitionsvertrag-in-Schleswig-Holstein/!5861387
[2] https://www.tobias-koch-cdu.de/
## AUTOREN
Esther Geißlinger
Aminata Touré
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