# taz.de -- Wahlverhalten in Deutschland: Rettet uns Schwarz-Grün? | |
> Völlig egal, mit wem die Grünen reagieren. Hauptsache, der | |
> Koaltionspartner kann nicht den Kanzler stellen und so für Stillstand | |
> sorgen. | |
Bild: Wer wird in der nächsten Bundesregierung den Kanzler stellen? | |
Eine Grundkonstante der Bundesrepublik ist es, dass sich neue | |
gesellschaftliche Mehrheiten oder Kulturen immer mit großer Zeitverzögerung | |
machtpolitisch realisieren. Bei den gesellschaftlichen Liberalisierungen | |
war das trotzdem okay, wenn das neue Staatsbürgerrecht oder die „Ehe für | |
alle“ spät, aber halt doch kamen. Bei der Erderhitzung ist das inzwischen | |
anders: It’s now or never. Aber welche Koalition kann’s? | |
Wenn nun nach den Regierungsbildungen in [1][NRW] und Schleswig-Holstein | |
[2][Schwarz-Grün] als der große Problemlöser verkauft werden soll, dann ist | |
das aus Sicht der CDU/CSU und mit Blick auf kommende Landtagswahlen | |
verständlich, denn es ist derzeit ihre beste oder einzige Machtoption. Mit | |
den Grünen als Junior sind sie in charge und scheinen auf der Höhe der Zeit | |
zu sein – besser geht’s nicht. | |
Aber diese unsere Zeit ist nicht nur über die fossile SPD hinweggegangen, | |
sondern auch über Schwarz-Grün. Die anstehenden und im | |
Wirtschaftsministerium bereits eingeleiteten Umbrüche kann man nur mit | |
Überzeugung, Know-how und neuen politischen Ideen und Instrumenten | |
schaffen. Nichts davon hat die Union. Man muss sie kleinkriegen, wie | |
Winfried Kretschmann das macht, damit sie still ist und zulässt. Mehr geht | |
im Moment nicht. | |
Richtig ist, dass beide, die Grünen und die Union, die Gesellschaft | |
zusammenhalten müssen, sodass die in der Energie- und | |
Wirtschaftstransformation kommenden populistischen Gegenbewegungen sich | |
nicht ausweiten wie in Frankreich. Die zentrale und völlig offene Frage | |
unserer Zeit ist ja, ob die Vernunft siegen wird. Sagen wir es neutraler: | |
wessen Vernunft siegen wird. Die Vernunft, die Zukunft schaffen will. Oder | |
die Vernunft, die sich an die Gegenwart klammert. Ich halte Ersteres für | |
vernünftiger, aber andere halten mich deshalb für ein elitäres Arschloch. | |
Sicher können SPD-Kanzler und auch CDU-Oppositionsführer hoffen, dass die | |
große gesellschaftliche Zustimmung für Vizekanzler Robert Habeck und dessen | |
Politik der kurzfristigen Energiesicherheit und mittelfristigen | |
Unabhängigkeit von Russland und fossilen Energien schon bis Weihnachten | |
zurückgehen wird. Aber was, wenn nicht? Was, wenn sich zunehmend mehr Leute | |
für die unbequeme Vernunft der sozialökologischen Transformation | |
entscheiden, was im Moment als gleichbedeutend mit einer Stimme für die | |
Grünen verstanden werden muss? | |
Dann wird die Versuchung nicht nur für die Union, sondern für alle | |
Konkurrenzparteien groß sein, die Gesellschaft eben nicht zu einen für den | |
Job, für den man selbst keine Ideen hat, keine Parteikultur und keine | |
Sprache. Sondern zu spalten oder zumindest die Transformation im Namen der | |
„alleinerziehenden Verkäuferin“ zu bremsen – statt dafür zu sorgen, dass | |
genau diese die zusätzlichen Lasten eben nicht auch noch tragen muss. | |
Es ist hart, aber wir können nicht die „Zeitenwende“ ausrufen – und dann | |
machen wir weiter wie bisher. Und das tun sowohl CDU als auch SPD | |
verlässlich. Das war viele Jahrzehnte richtig. Und nun ist es falsch. Und | |
deshalb ist es egal, ob in der nächsten Bundesregierung die Schwarzen oder | |
die Roten mit den Grünen regieren. Vorrangig ist, dass keiner von beiden | |
den Kanzler stellt und damit die Weiter-so-Führung beanspruchen kann. | |
Ob’s dann funktioniert, ist nicht klar. Nur, dass es anders auf keinen Fall | |
geht. | |
16 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Schwarz-Gruen-in-NRW/!5862993 | |
[2] /Koalition-in-Schleswig-Holstein/!5859705 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Energiewende | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
SPD | |
GNS | |
CDU/CSU | |
Kolumne Die eine Frage | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Kolumne Die eine Frage | |
Kolumne Die eine Frage | |
Aminata Touré | |
Kolumne Materie | |
FDP | |
Erneuerbare Energien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Winfried Kretschmann in Kalifornien: Was hilft gegen Rechtspopulismus? | |
Der BaWü-Ministerpräsident traf den kalifornsichen Gourverneur Gavin | |
Newsom. Doch der hat auch kein Patentrezept. | |
Alte Gewissheiten neu hinterfragt: Werden Kriege wieder normal? | |
Wir leben nicht mehr in der Welt, in der wir glauben zu leben. Und in der | |
neuen wird es wahrscheinlich mehr Gewalt geben. | |
Aminata Touré über ihren neuen Job: „Regierung ist für alle zuständig“ | |
Aminata Touré die nicht nur neue Sozialministerin in Schleswig-Holstein, | |
sondern die erste deutsche Schwarze Landesministerin überhaupt. | |
Fragen an den Bundeskanzler: Auf ein Wort, Herr Scholz! | |
Unser Autor hat Mitleid mit dem Kanzler. Deshalb hat er ein paar Fragen | |
vorbereitet, auf die Scholz nur mit einem einzigen Wort antworten muss. | |
Liberale im Regierungsalltag: Was ist nur mit der FDP los? | |
Früher waren die Grünen für tendenziell irrationalen Oppositionssprech | |
zuständig, nun ist es die FDP. Dahinter steckt ein tieferes Problem. | |
Grüne Energie in Schleswig-Holstein: Glauben an den Wind | |
Zwei Küsten, viel Wind, hervorragende Bedingungen: Schleswig-Holstein war | |
Vorreiter der Energiewende. Dann stockte sie. Doch es gibt neue Ideen. |