# taz.de -- Kündigung nach Kirchenaustritt: Angst vor Agitation | |
> Eine katholische Dortmunder Klinik kündigte einer Hebamme, weil sie aus | |
> der Kirche ausgetreten war. Der Fall wird nun dem EuGH vorgelegt. | |
Bild: Hebamme in Berliner Krankenhaus | |
ERFURT taz | Muss ein katholisches Krankenhaus eine Hebamme | |
weiterbeschäftigten, die wegen der [1][Missbrauchsskandale aus der | |
katholischen Kirche] ausgetreten ist? Darüber sollte an diesem Donnerstag | |
eigentlich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt entscheiden. Das BAG | |
legte den Fall nun aber zunächst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. | |
Sandra Eltzner arbeitet seit 1994 [2][als Hebamme]. Die ersten zwanzig | |
Jahre war sie beim katholischen St. Johannes-Hospital in Dortmund | |
beschäftigt, bis sie sich 2014 selbständig machte. 2019 kehrte sie jedoch | |
ins Johannes-Hospital zurück. | |
Allerdings war Eltzner in der Zwischenzeit aus der katholischen Kirche | |
ausgetreten. Grund war für sie die Flut an Missbrauchsfällen in der Kirche. | |
Sie habe sich als Hebamme schließlich dem Kinderschutz verschrieben. | |
Eltzner hatte im Personalfragebogen bei der Wiedereinstellung zwar | |
ordnungsgemäß angegeben, dass sie nicht mehr Mitglied der Kirche ist, doch | |
beim Hospital fiel das zunächst niemand auf. Erst nach einigen Tagen kamen | |
Nachfragen, ob sie nicht wieder in die Kirche eintreten könne. Doch Eltzner | |
lehnte unter Verweis auf die aus ihrer Sicht unzureichende Aufklärung der | |
kirchlichen Missbrauchsfälle ab. Deshalb kündigte das Krankenhaus Eltzner | |
noch in der Probezeit. | |
## Bundesverfassungsgericht umgangen | |
Die Hebamme akzeptierte die Kündigung aber nicht, schließlich beschäftige | |
das Hospital auch konfessionslose Mitarbeiter:innen, darunter mindestens | |
eine Hebamme. Beim Arbeitsgericht Dortmund hatte sie zunächst Erfolg. | |
Doch das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm erklärte im September 2020 die | |
Kündigung der Hebamme für rechtmäßig. Es sei eine „berufliche Anforderung… | |
an Hebammen in einem katholischen Krankenhaus, dass sie nicht aus der | |
Kirche ausgetreten sind. Während Mitarbeiter:innen, die noch nie Mitglied | |
der katholischen Kirche waren, dieser tendenziell „gleichgültig“ | |
gegenüberstehen, lehne eine Hebamme, die aus der katholischen Kirche | |
austritt, diese ausdrücklich ab. Auch „berechtigte Kritik an Misständen“ | |
könne den Kirchenaustritt nicht rechtfertigen, so das LAG Hamm. | |
Bei einer Hebamme bestehe vielmehr die Gefahr, dass sie ihre Kontakte zu | |
den werdenden Müttern nutzt, um sich „kirchenfeindlich oder jedenfalls | |
kritisch“ zu äußern. Sie könne so Frauen „im Sinne von Ansichten | |
beeinflussen, die mit dem kirchlichen Ethos nicht vereinbar sind“ – vor | |
allem zum Mißbrauchsskandal, der immer noch Gegenstand öffentlicher | |
Diskussion sei. | |
Gegen dieses Urteil des LAG Hamm ging Sandra Eltzner in Revision zum | |
Bundesarbeitsgericht. Dort fragte der Vorsitzende Richter Ulrich Koch die | |
Hebamme: „Wollen Sie wirklich für ein katholisches Krankenhaus arbeiten, | |
obwohl Sie doch aus der katholischen Kirche ausgetreten sind?“ Die Antwort | |
der 49-Jährigen kam sofort: „Selbstverständlich!“. Sie sei schließlich | |
immer noch gläubig. | |
Richter Koch stellt auch André Plessner, dem Anwalt des Hospitals, eine | |
Frage: „Traut das Hospital der Klägerin wirklich nicht zu, im Sinne der | |
Nächstenliebe zu arbeiten?“ Plessners Antwort: „Natürlich ist die Kläger… | |
zur Nächstenliebe fähig, aber eben nicht zur Nächstenliebe im Sinne der | |
katholischen Glaubenslehre“. Der Anwalt tat sich aber schwer, den | |
Unterschied zu erläutern. Plessner blieb jedoch dabei: Mit Konfessionslosen | |
könne die Kirche durchaus zusammenarbeiten, nicht aber mit ausgetretenen | |
Katholiken. | |
Das Bundesarbeitsgericht verzichtete zunächst auf ein Urteil und legte den | |
Fall dem EuGH vor. Der EuGH soll entscheiden, ob das | |
EU-Gleichbehandlungsrecht der Kirche erlaubt, eine Person allein deshalb | |
als „ungeeignet“ abzulehnen, weil sie vor Beginn des Arbeitsverhältnisses | |
aus der Kirche ausgetreten ist. Die Vorlage an den EuGH dürfte eher der | |
Hebamme nützen, da sich der EuGH bisher nicht sehr kirchenfreundlich | |
gezeigt hat. Das BAG erschwert durch die Einschaltung des EuGH zugleich den | |
Zugriff des Bundesverfassungsgerichts, das bisher meist das | |
Selbstbestimmungsrecht der Kirchen stützte. | |
21 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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