# taz.de -- Reaktionen auf BGH-Urteil zum NSU: „Es wurde Zeit“ | |
> Die NSU-Urteile sind rechtskräftig. Während die Verteidiger verbittert | |
> reagieren, sind die Betroffenen erleichtert – und fordern weitere | |
> Ermittlungen. | |
Bild: Beate Zschäpe 2017 im Münchner Gericht | |
BERLIN taz | Der Bundesgerichtshof hatte gerade [1][seinen Beschluss] | |
veröffentlicht, da telefonierte Mathias Grasel mit Beate Zschäpe in der JVA | |
Chemnitz. Zur Reaktion der 46-Jährigen schweigt der Anwalt. Nur so viel: | |
„Wir hatten eine andere Erwartungen.“ Zumindest auf eine mündliche | |
Verhandlung, ob seine Mandantin wirklich volle Mittäterin des NSU-Trios | |
war. Denn dafür fehlten weiterhin belastbare Beweise, so Grasel zur taz. | |
Offenbar aber habe den Richtern angesichts des öffentlichen Drucks der Mut | |
gefehlt, das Urteil aufzuheben. „Das ist bedauerlich.“ | |
Tatsächlich stehen Beate Zschäpe nun viele weitere Jahre Haft bevor. Nach | |
der Entscheidung des Bundesgerichtshof (BGH), [2][ihre Revision] gegen | |
[3][das lebenslange NSU-Urteil vom Juli 2018] zu verwerfen, wird aus ihrer | |
rekordverdächtigen, seit fast zehn Jahren andauernden Untersuchungshaft nun | |
eine reguläre Strafhaft. Und eine Entlassung ist nicht in Sicht. | |
Zschäpes Anwälte hatten dagegen angekämpft. Sie verwiesen auf ihre Aussage, | |
dass sie von allen Taten erst im Nachhinein erfahren habe, und hielten | |
Gegenteiliges nicht für nachweisbar. Der BGH weiche nun von seiner | |
bisherigen Rechtsprechung ab und dehne die Strafbarkeit der Mittäterschaft | |
„massiv“ aus, kritisiert Grasel. Dabei gebe es für Zschäpes Beteiligungen | |
nur „Mutmaßungen und Unterstellungen“. Grasel kündigte an, mit Zschäpe �… | |
eine Verfassungsbeschwerde zu beraten. | |
Auch Zschäpes zweites Anwaltsteam um [4][Wolfgang Heer], das sie im Prozess | |
verstoßen hatte, beklagte den BGH-Beschluss. Der Gerichtshof setze „die | |
zirkelschlüssige und überwiegend auf reinen Spekulationen beruhende | |
Argumentation des Oberlandesgerichts fort“, sagte Heer. Er hatte in München | |
einen Freispruch für Zschäpe von den Terrorvorwürfen gefordert. | |
Zschäpe dürfte in der JVA Chemnitz nun von der Abteilung für | |
Untersuchungshaft in die für Strafhaft verlegt werden. Damit einher gehen | |
könnte eine Lockerung der Brief- und Besuchskontrollen. Laut Grasel bekommt | |
Zschäpe aber ohnehin nur Besuch von zwei Familienangehörigen. Erst nach 15 | |
Jahren Haft entscheidet dann eine Strafvollstreckungskammer über die | |
endgültige Mindesthaftdauer für Zschäpe, die bei der Schwere der Taten noch | |
einige weitere Jahre betragen dürfte. | |
## Zwei Verurteilte müssen wohl nochmal in Haft | |
Auch für zwei Mitverurteilte stehen mit den rechtskräftigen Urteilen nun | |
Haftantritte bevor: dem [5][Waffenorganisator Ralf Wohllebe]n, der zu zehn | |
Jahre Haft verurteilt wurde, und dem Passbeschaffer Holger G. mit drei | |
Jahre Haft. Wohlleben hat davon bereits sechs Jahre und acht Monate in | |
U-Haft gesessen. Nach dem Münchner Urteil wurde er zunächst freigelassen, | |
da wegen der überschaubaren Reststrafe keine Fluchtgefahr mehr vorliege. | |
Holger G. wurde bereits nach einem halben Jahr aus der U-Haft entlassen, | |
nachdem er vor den Ermittlern recht umfassend ausgesagt hatte. | |
Weder die Anwälte von Wohlleben noch [6][Holger G.] wollten sich auf | |
taz-Anfrage zu den BGH-Beschlüssen äußern. Die Vorladungen ihrer Mandanten | |
zum Haftantritt dürften aber noch etwas dauern. Nach taz-Informationen | |
befinden sich diese noch in Vorbereitung der Bundesanwaltschaft als | |
zuständige Strafvollstreckungsbehörde. Im Fall von Wohlleben könnte zudem | |
geprüft werden, ob eine Aussetzung zur Bewährung infrage kommt, da er | |
bereits zwei Drittel der Strafe in U-Haft verbüßt hat. | |
Vorerst weiter haftverschont bleibt dagegen [7][André Eminger], der zu 2,5 | |
Jahren Haft verurteilt wurde. Neben ihm selbst hatte auch die | |
Bundesanwaltschaft hier Revision eingelegt, die 12 Jahre Haft für Eminger | |
forderte. Darüber verhandelt der BGH nun am 2. Dezember mündlich in | |
Karlsruhe, zwei Wochen später will er eine Entscheidung verkünden. | |
## „Das war kein abgeschottetes Trio“ | |
Mit dabei sein wird Edith Lunnebach. Die Anwältin vertritt die Familie, auf | |
deren Geschäft der [8][NSU 2001 in Köln einen Anschlag] verübte – und für | |
dessen Anfahrt Eminger ein Wohnmobil anmietete. „Für meine Mandaten sind | |
die rechtskräftigen Urteile eine Erleichterung“, sagt Lunnebach. „Nun | |
hoffen sie auch auf ein angemesseneres Urteil für André Eminger.“ Es bleibe | |
aber weiter eine Enttäuschung, dass das Gericht das Netzwerk um den NSU | |
nicht weiter aufgeklärt habe. So gehe die Familie bis heute davon aus, dass | |
nicht das NSU-Trio um Zschäpe, sondern eine vierte, bis heute unbekannte | |
Person den Sprengsatz im Geschäft ablegte. „Das war kein abgeschottetes | |
Trio.“ | |
Tatsächlich sind zumindest Eminger und Wohlleben weiter in der | |
rechtsextremen Szene aktiv und werden dort unterstützt. Holger G. soll | |
diese dagegen verlassen haben. Ebenso wie der vierte Verurteilte im | |
NSU-Prozess, der reuige Waffenlieferant Carsten S. Er hatte als Einziger | |
seine dreijährige Haftstrafe akzeptiert – und hat diese bereits verbüßt. S. | |
lebt nun unter neuem Namen an einem geheimgehaltenen Ort. „Er hat sein | |
Leben konsolidiert und es geht ihm gut“, sagt sein Anwalt Johannes Pausch | |
nur. | |
## Opferangehörige appelliert an Zschäpe | |
Mehrere Betroffene des NSU-Terrors begrüßten am Donnerstag die | |
BGH-Beschlüsse. „Ich bin erleichtert, dass die Strafe von Zschäpe endlich | |
feststeht“, erklärte Elif Kubaşık, Witwe des 2006 in Dortmund erschossenen | |
Mehmet Kubaşık. „Für mich war Zschäpe immer ein gleichberechtigtes Mitgli… | |
der Terrorgruppe.“ | |
Auch Tochter Gamze Kubaşık erklärte: „Es wurde Zeit, dass das Verfahren zu | |
Ende geht.“ Sie hoffe nun auf einen neuen Prozess gegen Eminger. „Er war | |
für mich ganz klar voll beim NSU dabei und sollte dafür auch verurteilt | |
werden.“ Zudem müsse weiter gegen weitere Helfer des NSU ermittelt werden, | |
es dürfe keinen Schlussstrich geben. Kubaşık appellierte auch an Zschäpe, | |
Namen zu nennen. „Sie hat nun nichts mehr zu verlieren. Wenn sie jemals | |
wieder rauskommen will, sollte sie nun kompromisslos bei der Aufklärung | |
helfen.“ | |
19 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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