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# taz.de -- NSU-Entscheidung von Bundesgerichtshof: Helfer muss zittern
> Am Donnerstag könnte der Bundesgerichtshof das Urteil gegen André Eminger
> kippen. Die Bundesanwaltschaft drängt auf eine höhere Strafe.
Bild: „Nationalsozialist mit Haut und Haaren“: André Eminger vor dem Geric…
Berlin taz | Es hätte für ihn kaum besser laufen können. Als im Juli 2018
das Oberlandesgericht München nach fünf Jahren seine Urteile im NSU-Prozess
fällt, kommt André Eminger überraschend glimpflich davon. Zweieinhalb Jahre
Haft erhält der engste Helfer des NSU-Trios, noch im Saal wird er
freigelassen. Auf der Tribüne jubeln Szenefreunde.
Nun aber muss Eminger, den seine eigenen Anwälte als „Nationalsozialisten
mit Haut und Haaren“ bezeichnen, noch mal zittern. [1][Am Donnerstag will
der Bundesgerichtshof (BGH) verkünden], ob die NSU-Urteile Bestand haben.
Denn rechtskräftig sind diese bis heute nicht, da alle Verurteilten
Revision einlegten, im Fall Eminger auch die Bundesanwaltschaft. Die wollte
zwölf Jahre Haft für den Neonazi. Für den 42-Jährigen steht damit nun am
meisten auf dem Spiel.
Das Gericht hatte Beate Zschäpe als Mittäterin zu einer lebenslangen
Haftstrafe für den NSU-Terror mit zehn Morden, drei Anschlägen und 15
Raubüberfällen verurteilt. Ihre Anwälte sehen dagegen nur eine Beihilfe, da
Zschäpe bei den Taten nicht dabei gewesen sei. Die vier mitangeklagten
Helfer erhielten Haftstrafen bis zu zehn Jahren. Einzig der
[2][Waffenlieferant Carsten S.] akzeptierte seine dreijährige Jugendstrafe
und hat diese bereits abgesessen.
Im Fall Eminger waren die Opferfamilien über die milde Strafe entsetzt.
Über sein Urteil wird der BGH nun wohl noch einmal mündlich verhandeln –
bei Revisionen der Bundesanwaltschaft ist dies üblich. Und diese kritisiert
in ihrer nichtöffentlichen Revisionsbegründung an den BGH das Urteil zu
Eminger nach taz-Informationen deutlich: Dieses sei rechtsfehlerhaft und
widersprüchlich.
## Kontakt zu NSU-Trio war nicht nur „sporadisch“
Eminger hatte Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seit dem Abtauchen
1998 bis zum Auffliegen 2011 durchgängig begleitet. Im April 1999 besorgte
er ihnen eine Wohnung in Chemnitz, später auch Wohnmobile und Bahncards.
Mit den Autos fuhr das Trio zu Raubüberfällen und einem Bombenanschlag 2001
in Köln.
Das Gericht glaubte dennoch, dass Eminger lange nicht in die Terrortaten
eingeweiht und der Kontakt nur „sporadisch“ war. Erst 2007, als Eminger für
das Trio unter falschem Alias bei der Polizei aussagte, sei er eingeweiht
worden. Mit diesem Wissen habe er aber nur noch die Bahncards besorgt – und
könne daher auch nur dafür als Terrorhelfer verurteilt werden.
Für die Bundesanwaltschaft war der Kontakt Emingers zu den Untergetauchten
dagegen wesentlich intensiver als von den Richtern behauptet. So habe
dieser nicht nur die Anmietungen und Papiere gestellt, sondern das Trio
mehrmals im Monat getroffen, auch Einkäufe übernommen, erinnert die Behörde
in ihrer Revisionsbegründung.
Dies sei mehr als ein sporadischer Kontakt. Und schon aus eigenem Interesse
müsse Eminger – der damals arbeitslos oder geringverdienend war – gefragt
haben, wie er das Geld für die Wohnung oder die Wohnmobile zurückbekomme.
## „Turner-Tagebuch“ an die Untergetauchten übergeben
Dass er von einer legalen Beschäftigung des Trios ausging, sei lebensfremd,
so die Bundesanwaltschaft. Für die Untergetauchten wäre das fluchtbedingt
gar nicht möglich gewesen. Der Senat habe auch nicht dargelegt, was Eminger
sich hier vorgestellt haben könnte.
Auch seien die Wohnungen und Ausgaben des Trios mit der Zeit immer größer
geworden, was Fragen der Finanzierung aufgeworfen haben müsse. Für Eminger
müsse sich die Option von Raubüberfällen durch die Untergetauchten geradezu
aufgedrängt haben. Umso mehr, da er auch laut Gericht das kriminelle
Treiben des Trios und den Grund des Untertauchens kannte: das Beschaffen
von Sprengstoff.
Auch dass Eminger dachte, er miete die Wohnwagen nur für Ferien der
Untergetauchten an, sei abwegig – geschah dies doch nur für kurze Zeiträume
und jenseits der Urlaubszeit, im Herbst und Winter. Zudem waren die
Anmietungen für Eminger ein Risiko, etwa im Falle eines Unfalls. Dass er
dieses Risiko nur für Freizeitausflüge des Trios einging, sei fernliegend.
Und die Bundesanwaltschaft erinnert auch an eine Übergabe des
„Turner-Tagebuchs“ von Eminger an das Trio – ein in der Szene gefeierter
Roman über einen Rechtsterroristen, in dem Überfälle, Anschläge und
willkürliche Morde geschildert werden. Die Parallelen zum NSU-Terror müssen
für Eminger, den überzeugten Rechtsextremen, auf der Hand gelegen haben, so
die Behörde.
## „Stirb, Jude, stirb“
Es sind Einwände, mit denen sich der Bundesgerichtshof genauer beschäftigen
wird. Eminger selbst schweigt bis heute zu seiner Rolle beim NSU-Terror.
Seine Gesinnung aber verhehlt er nicht. Auf seinen Bauch hat er sich „Die
Jew Die“ (deutsch: „Stirb, Jude, stirb“) tätowiert. Nach seiner
Verurteilung besuchte er weiter Szeneveranstaltungen. Erhält Eminger noch
eine höhere Strafe, müsste er darauf wieder verzichten – und würde ins
Gefängnis wandern.
18 Aug 2021
## LINKS
[1] /BGH-kuendigt-Revisionsbeschluesse-an/!5793536
[2] /Verurteilter-Waffenlieferant-des-NSU/!5708013
## AUTOREN
Konrad Litschko
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Schwerpunkt Rechter Terror
BGH
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Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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Grüne Hessen
Carsten S.
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