| # taz.de -- Offenlegung der NSU-Akten: Sture grüne Beamtenlogik | |
| > Die hessischen Grünen blockieren die Offenlegung der NSU-Akten. Damit | |
| > konterkarieren sie das, wofür die Grünen anderswo stehen. | |
| Bild: Offenlegung abgelehnt: Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) | |
| Der Umgang der hessischen Grünen mit den [1][NSU-Akten] ist intransparent, | |
| instinktlos und unklug. Mit ihrer sturen Beamtenlogik konterkarieren sie, | |
| wofür die Grünen stehen wollen: für einen transparenten Rechtsstaat, für | |
| Kampf gegen Rechtsextremismus und für ein offenes Ohr gegenüber | |
| migrantischen Menschen. | |
| Worum geht es? Hessens schwarz-grüne Landesregierung lehnt es ab, interne | |
| Verfassungsschutzakten zu der Mordserie des rechtsextremen | |
| Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) offen zu legen. Sie tut das gegen | |
| den erklärten Willen einer kleinen Bürgerrechtsbewegung. Eine von mehr als | |
| 134.000 Menschen unterschriebene [2][Petition], die mehr Transparenz | |
| fordert, haben die Grünen im Landtag gestoppt – und an die Regierung | |
| überwiesen. CDU-Innenminister Peter Beuth hat nun angekündigt: Eine | |
| Offenlegung könne es aus rechtlichen Gründen nicht geben. | |
| Um die Tragweite dieser Enscheidung zu verstehen, muss man an den Terror | |
| der NSU erinnern: Dessen Mitglieder Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate | |
| Zschäpe ermordeten von 2000 bis 2007 neun Migranten und eine Polizistin, | |
| sie verübten 43 Mordversuche und drei Sprengstoffanschläge. Die deutschen | |
| Behörden versagten auf beispiellose Art und Weise. ErmittlerInnen tappten | |
| jahrelang im Dunkeln und verdächtigten sogar Angehörige der Opfer „im | |
| Türkenmilieu“, Medien berichteten über angebliche „Döner-Morde“. | |
| Als die wahren Verstrickungen öffentlich wurden, ging ein Aufschrei durch | |
| die Republik. Allein in Hessen war schier Unglaubliches passiert. Der | |
| 21jährige [3][Halit Yozgat] wurde im April 2006 in Kassel in einem | |
| Internetcafé vom NSU erschossen, ausgerechnet ein Mitarbeiter des | |
| Geheimdienstes war am Tatort. Warum, ist bis heute unklar. | |
| Deutschland blickte beim NSU-Skandal in einen Abgrund. Bei vielen Menschen, | |
| – mit, aber auch ohne Migrationsgeschichte –, hat das staatliche Handeln | |
| ein tiefgreifendes Misstrauen geschaffen oder verfestigt. Sie fragen sich, | |
| ob Behörden auf dem rechten Auge blind sind, wie solche Pannen passieren | |
| konnten oder ob sie in diesem Deutschland sicher leben können. Der | |
| Rechtsstaat hat gegenüber diesen Menschen eine Bringschuld. Er muss nicht | |
| nur vollständig aufklären, sondern auch das Trauma heilen, das der | |
| NSU-Terror verursacht hat. Die Grünen in Hessen scheitern an diesem | |
| Anspruch bisher grandios. | |
| Seit' an Seit' mit dem CDU-Innenminister argumentieren sie, dass die | |
| Offenlegung V-Leute in der rechten Szene gefährden könne. Dass sie den | |
| falschen Leuten in die Karten spiele, etwa der AfD. Und sie führen an, dass | |
| ja auch Landtagsabgeordnete der Opposition die Akten vollständig einsehen | |
| konnten, etwa solche, die in der Parlamentarischen Kontrollkommission | |
| sitzen, die den Landesverfassungsschutz kontrolliert. | |
| Ihre Argumente gehen am Kern vorbei. Es müssten ja nicht alle Akten – | |
| tausende Seiten – veröffentlicht werden, sondern nur ein aussagekräftiger | |
| Teil. Einer Gefährdung von V-Leuten ließe sich vorbeugen, etwa indem | |
| Textstellen geschwärzt würden. Und klar, manche Parlamentarier durften die | |
| Akten einsehen. Sie sind allerdings an die Geheimhaltungspflicht gebunden. | |
| Es lässt sich nicht bestreiten, dass Grüne sich hinter den Kulissen redlich | |
| um Aufklärung bemühen. Auch sind von den Akten – nach Berichten einzelner | |
| Journalisten – keine wundersamen neuen Erkenntnisse zu erwarten. Aber das | |
| Bild, das darin von den Geheimdiensten gezeichnet wird, ist wohl | |
| vernichtend. Die Öffentlichkeit sollte dieses Bild sehen dürfen. Notwendig | |
| ist deshalb nicht nur ein sauberes parlamentarisches Prozedere, notwendig | |
| ist auch ein Signal, dass die Verstörung vieler Menschen ernst genommen | |
| wird. | |
| ## Kein zeitgemäßes Staatsverständnis | |
| Diese symbolische Ebene schätzen die hessischen Grünen zu gering. Sie | |
| wirken wie verknöcherte Bürokraten, die eine veraltete Auffassung davon | |
| haben, was der Staat ist, was er sein soll und was er sein könnte. Dass | |
| Geheimdienste in einem Schattenreich agieren dürfen und der Staat sich | |
| jederzeit schützend vor sie zu stellen hat, ist nicht mehr zeitgemäß. | |
| Hessens Grüne glauben, im Interesse des Rechtsstaates zu handeln. Aber dem | |
| Staatswohl wäre bei einem so fürchterlichen Fall mit Transparenz mehr | |
| gedient als mit ängstlicher Geheimhaltung. Ein Perspektivwechsel wäre nicht | |
| nur klug, er entspräche auch der Programmatik, die die Grünen eigentlich | |
| vertreten. Offiziell werben sie für eine strenge Kontrolle der | |
| Geheimdienste und für einen empathischen Staat. In Baden-Württemberg halten | |
| sie sich eine „Politik des Gehörtwerdens“ zugute. Kaum eine Anti-Nazi-Demo, | |
| bei der Grüne nicht Transparente in den Himmel recken. Und ausgerechnet | |
| Grüne mauern nun beim Sichtbarmachen des NSU-Terrors? Das ist eine | |
| Dialektik, die die Opferfamilien verhöhnt. Auch der Verweis auf die | |
| Koalitionsräson hilft nicht weiter. Wenn die NSU-Akten kein Anlass sind, um | |
| einen Krach mit der CDU zu provozieren, was dann? | |
| Es ist nicht das erste Mal, dass die hessischen Grünen Regierungslogik mit | |
| kluger Politik verwechseln. Sie bekleckerten sich nicht mit Ruhm, als sie | |
| sich 2014 bei der Abstimmung über einen NSU-Untersuchungsausschuss | |
| enthielten oder als der Innenminister die Geheimhaltungsfrist für die Akten | |
| von 120 Jahren (sic!) auf 30 Jahre reduzierte. Ein jeder blamiert sich | |
| eben, so gut er kann. | |
| Wenn das hessische Modell stilbildend wird für Schwarz-Grün in Berlin, kann | |
| einem angst und bange werden. Ausgeschlossen ist das nicht. Die Grünen | |
| fühlen sich vor allem dem Pariser Klimaschutzziel verpflichtet, die | |
| Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Um CDU und CSU diesen Kurs | |
| abzuringen, brauchen sie weit gehende Zusagen, etwa in der Verkehrs- und | |
| der Energiepolitik oder in der Landwirtschaft. Umgekehrt wird die Union | |
| anderswo punkten. Die Innenpolitik könnte das konservative Baby dieser | |
| Koalition werden – und Hessen das Role Model. | |
| 27 May 2021 | |
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| Ulrich Schulte | |
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