# taz.de -- Petition der Woche: Was wusste der Verfassungsschutz? | |
> Eine Petition fordert die Veröffentlichung des hessischen | |
> Verfassungsschutzberichtes. Darin geht es um die eigene Verstrickung in | |
> den NSU-Skandal. | |
Bild: Demonstration unter dem Motto „Rechte Hetze tötet“ im Jahr 2019 | |
Unverständnis und ein Gefühl der Unsicherheit treiben Miki Lazar um. Er ist | |
Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Kassel. Dort, wo [1][Halit Yozgat] 2006 | |
vom NSU und, in unmittelbarer Nähe, [2][Walter Lübcke] 2019 von einem | |
Rechtsradikalen ermordet wurde. Beide Fälle haben Lazar persönlich tief | |
getroffen und an seiner eigenen Sicherheit zweifeln lassen: „Wir wissen | |
inzwischen, dass es da eine direkte Verbindung gibt und auch, dass wir | |
immer noch auf Listen von Neonazis stehen.“ | |
Die Verbindung zwischen den beiden Mordfällen bezeugt das Hessische | |
Landesamt für Verfassungsschutz mit einem Bericht, der das eigene Versagen | |
rund um den NSU aufdecken soll. Er enthält unter anderem auch den Namen des | |
Mörders von Walter Lübcke mehrfach. Und der Journalist Martín Steinhagen, | |
der für sein Buch „Rechter Terror“ intensiven Einblick bekommen hat, | |
schreibt: „Das Amt war nicht, wie es oft heißt, auf dem rechten Auge blind. | |
Die Vielzahl an Funden zeigt, dass teils brisante Hinweise bei den | |
Verfassungsschützern ankamen. Sie wurden aber offenbar nicht analytisch | |
eingeordnet, falsch bewertet, und es wurde nicht entsprechend gehandelt.“ | |
Weil der Bericht politisch brisant sei, aber für 30 Jahre der Geheimhaltung | |
unterliegt, hat nun Miki Lazar gemeinsam mit weiteren Bürger*innen aus | |
Kassel eine [3][Petition] zur sofortigen Veröffentlichung ins Leben | |
gerufen. | |
Mit dieser Petition befasst sich jetzt der Hessische Landtag. Nach einer | |
nichtöffentlichen Sitzung in der vergangenen Woche debattieren die | |
Abgeordneten erneut im großen Plenum, die Landtagssitzung am kommenden | |
Mittwochabend wird auch als Livestream übertragen. Das weitere Vorgehen | |
hängt auch von den Grünen ab, die gemeinsam mit der CDU die Landesregierung | |
bilden. Entsprechende Erwartungen der Petition*istinnen wurden bereits | |
[4][enttäuscht] – von verschiedenen Parteiebenen wurde zwar Anerkennung für | |
das Anliegen geäußert, eine Unterstützung wurde aber aus Gründen der | |
Koalitionstreue bislang verweigert. | |
## „Die NSU-Akten“ in der Alltagskultur | |
Dass die Ablehnung einer Veröffentlichung mit dem Schutz der im Bericht | |
aufgeführten V-Leute begründet wird, ärgert Miki Lazar. Und betont, dass | |
auch Alternativen zur ungefilterten Veröffentlichung denkbar seien. Man | |
könnte etwa der Initiative „NSU Watch“ zumindest ausreichende Einsicht zur | |
weiteren Verarbeitung gewähren. „Die scheinen teilweise eh besser | |
informiert zu sein als der Staat“, ergänzt Lazar. | |
Als „die NSU-Akten“ ist der Bericht inzwischen in die Alltagskultur | |
eingegangen und zum geflügelten Wort geworden für das Schweigen des Staates | |
zu den rechten Verstrickungen. Noch immer werden die Fakten nur langsam | |
öffentlich, die Petition indes hat in dieser Hinsicht viel erreicht, wie | |
die stellvertretende Vorsitzende des Petitionsausschusses, Heidemarie | |
Scheuch-Paschkewitz von der Linkspartei, sagt: „Dass über eine Petition im | |
Plenum politisch beraten wird, habe ich noch nicht erlebt, das wäre schon | |
ein großer Erfolg.“ | |
Trotzdem deutet sich schon jetzt an, dass die Initiator*innen ihr Ziel | |
nicht erreichen werden. „Warum kann der Staat heute nicht das vollkommene | |
Versagen zugeben und sich bei den Opfern entschuldigen?“, fragt sich Miki | |
Lazar. Und mit ihm fragen sich das über 125.000 Unterzeichner*innen. | |
14 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /NSU-Ausschuss-in-Hessen/!5008479 | |
[2] /Politischer-Mordfall-Luebcke/!5603731 | |
[3] https://www.change.org/p/hessischer-landtag-geben-sie-die-nsu-akten-frei-ns… | |
[4] https://www.hna.de/kassel/nsu-akten-bleiben-zu-90472102.html | |
## AUTOREN | |
Christoph Sommer | |
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