# taz.de -- Queer-migrantische Beratung in Bremen: Mehr Geld, trotzdem Not | |
> Laut Koalitionsvertrag soll queer-migrantische Arbeit gestärkt werden. | |
> Mehr Geld gibt es nun beim queeren Rat&Tat-Zentrum – doch auch mehr | |
> Kosten. | |
Bild: Die Botschaft ist alt (hier CSD 2009 in Oldenburg) – aber wird sie geh�… | |
BREMEN taz | Das Versprechen steht auf Seite 56 des rot-grün-roten | |
Koalitionsvertrags: „Wir wollen migrantische Partizipation und | |
Selbstorganisierung stärken.“ Unter anderem solle dafür die | |
„queer-migrantische Selbstorganisierung [1][beim Rat&Tat-Zentrum] verstärkt | |
finanziell gefördert werden“, schreiben die Parteien. Beim Rat&Tat-Zentrum | |
für queeres Leben hadert man momentan mit diesen Worten. Denn ausgerechnet | |
die Finanzierung einer Stelle, mit der im Zentrum queere Migrant*innen | |
unterstützt werden, steht auf wackligen Beinen. | |
Momentan besetzt Ali Tutar diese Stelle. Er ist bei Rat&Tat angestellt, | |
arbeitet aber für Queeraspora, das als selbst organisierte Gruppe an das | |
Zentrum angegliedert ist. Tutar leitet die Gruppe, berät queere Geflüchtete | |
und Migrant*innen [2][zu Intersektionalität], Arbeit und indivduellen | |
Problemen, macht Bildungsarbeit, sitzt im queerpolitischen Beirat. Tutar | |
versteht sich auch selbst als Teil der queeren BIPoC [3][(Black, | |
Indigenous, People of Color)] – das mache das Angebot so besonders, findet | |
er. | |
Die Worte der Koalitionspartner hatten mindestens die Hoffnung ausgelöst, | |
Tutars Stelle sichern zu können. Dies sei auch schon unter der Hand | |
zugesagt worden, sagt Rat&Tat-Geschäftsführer Christian Linker. Die zweite | |
Stelle in der Queeraspora-Beratung – die Kollegin von Tutar berät zu Asyl | |
und Aufenthalt – sei dagegen nicht bedroht, sagt Linker, weil sie fast | |
vollständig über Bundesmittel laufe. | |
Kai Wargalla (Grüne) und Maja Tegeler (Linke), beide queerpolitische | |
Sprecherinnen ihrer Fraktionen, wissen um die Relevanz der [4][Arbeit von | |
Queeraspora] im Bereich Mehrfachdiskriminierung. „Sie sind die einzigen in | |
Bremen und bundesweit Pionier*innen“, sagt Wargalla. Dass Rat&Tat mehr | |
Mittel zugesprochen bekommen hat, verbucht sie als großen Erfolg. Dennoch: | |
Der Senat müsse auch eine Lösung dafür finden, Tutars Stelle langfristig zu | |
sichern, fordern sie und Tegeler. So stehe es schließlich im | |
Koalitionsvertrag. | |
Es gibt schon einen „ordentlichen Zuschlag“ für Rat&Tat, sagt Bernd | |
Schneider, Sprecher der Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Zusätzliche | |
65.000 Euro für 2020 und weitere 55.000 Euro für 2021 sind vorgesehen. Mehr | |
gebe der Haushalt nicht her. „Aus zuwendungsrechtlichen Gründen“ lasse sich | |
nicht einfach dauerhaft eine Stelle finanzieren – die Mittel seien | |
lediglich für spezifische Zwecke abrufbar, erklärt Schneider, die Umsetzung | |
verantworte der Träger. Dass irgendwer bereits zusätzlich eine feste Stelle | |
zugesagt haben soll, müsse daher ein „Irrtum oder Missverständnis“ sein. | |
Der Verein habe die Mittel inzwischen auch beantragt, sagt Geschäftsführer | |
Linker, eine mündliche Zusage für die Gelder gebe es. Die Angestellten | |
könnten nun endlich nach dem Tarifvertrag der Länder bezahlt werden. Und | |
für einen großen Teil des Geldes soll die Beratung von Rat&Tat barrierefrei | |
werden – „aktuell ist sie das nicht. „Das ist ein Zustand, den wir schon | |
gefühlte Jahrzehnte anprangern“, sagt Linker. | |
Obwohl 120.000 Euro eine Menge Geld sei, „ist es daher sofort verbraucht“. | |
Die Stelle von Tutar für die Beratung queerer Migrant*innen ist in diesen | |
Plänen nicht enthalten. Das Angebot war bis Ende des Jahres | |
projektfinanziert, aktuell zahlt der Verein sie übergangsweise aus eigener | |
Tasche. „Das halten wir aber nicht lange durch.“ Linker versucht daher nun, | |
die Stelle über einen weiteren Projektantrag zu finanzieren – das | |
zuständige Referat im Sozialressort wolle schauen, ob es „aus verschiedenen | |
Etats etwas zusammenkratzen“ kann. | |
Dass von der Stadt suggeriert werde, dass Tutars Arbeitsplatz über die | |
120.000 Euro finanziert werden muss, entspreche nicht dem Inhalt des | |
Koalitionsvertrages, sagt der Geschäftsführer. Tutars Arbeitsbereich sei | |
nicht unter Queerpolitik, wo das Rat&Tat-Zentrum als solches verortet wird, | |
sondern gesondert im Bereich Integration aufgeführt. Dort steht: | |
„migrantische Selbstorganisation stärken“ – und eben der oben zitierte | |
Passus. | |
Dieses Hangeln von Projekt zu Projekt, diese „Bittstellerrolle“ – all das | |
fühlt sich nicht gut an, sagt Tutar. „So haben wir Schwierigkeiten, in | |
diesem weiß dominierten Kontext anzukommen.“ Die Arbeit werde | |
marginalisiert, nicht zuletzt durch die finanzielle Ausstattung. Und obwohl | |
das Angebot so einzigartig sei, komme man immer als letztes, sagt Tutar. | |
„Das Gefühl, nur mit Ach und Krach gehört zu werden, will ich nicht.“ | |
Danach sei man ausgelaugt – und arbeiten müsse man ja auch noch. „Wir | |
brauchen Stabilität.“ | |
14 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ratundtat-bremen.de/ | |
[2] /Initiative-kaempft-fuer-Women-of-Color/!5703102 | |
[3] /Content-Produzentinnen-uebers-Mitreden/!5684813 | |
[4] https://welcometobremen.de/angebot/queeraspora-gruppe-fuer-queere-menschen/ | |
## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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