| # taz.de -- Influencer*innen über Talkshows: „Zeigen, wer im Fernsehen fehlt… | |
| > Deutsche Talkshows sind selten jung und divers. Aminata Belli und Tarik | |
| > Tesfu erzählen, was sie in ihrer neuen Sendung besser machen. | |
| Bild: Die Moderator*innen v.l.: Aminata Belli, Svenja Kellershohn, Tarik Tesfu … | |
| taz: Aminata Belli, Tarik Tesfu, ab dem 2. Oktober werden Sie als | |
| Talkshow-Moderator*innen gemeinsam mit Mohamed El Moussaoui (bekannt als | |
| MoTrip) und Svenja Kellershohn die Sendung „deep und deutlich“ im NDR | |
| moderieren. Es soll die junge Ergänzung zur „NDR Talk Show“ sein. Schauen | |
| Sie selbst gerne Talkshows? | |
| Tarik Tesfu: Als Kind aus Nordrhein-Westfalen bin ich natürlich großer Fan | |
| vom „Kölner Treff“. Und natürlich feiere ich auch die „NDR Talk Show“… | |
| seit Ewigkeiten, denn ich bin einfach Generation Fernsehkind. | |
| Aminata Belli: Als Jugendliche habe ich mir sehr viele Talkshows | |
| reingezogen. Das war eigentlich mein liebstes Programm im Fernsehen. | |
| Teilweise gehen die Talkshows von heute für mich in Ausdrucksweise und | |
| Ideenausrichtung in eine Richtung, die ich persönlich nicht mehr so | |
| interessant finde, weil ich einen anderen Blick auf die Welt habe. Wir mit | |
| „deep und deutlich“ wollen da nun etwas dazugeben, wonach sich junge Leute | |
| sehnen. | |
| Was fehlt den deutschen Formaten? | |
| Belli: Dass mehr Generationen und Ideen gemixt werden. Es reichen | |
| beispielsweise schon jüngere Gäste, die für neue Impulse sorgen. | |
| Tesfu: Was schon fehlt, ist Diversität. Diversität heißt bei den | |
| Moderator*innen der großen deutschen Talkshows ja oft Frau sein, aber | |
| meistens auch weiße Frau. Da haben wir bei „deep und deutlich“ nochmal eine | |
| ganz andere Aufstellung und können zeigen, wie in Deutschland | |
| Moderator*innen aussehen können. Wenn man sich die Gästeauswahl bei | |
| klassischen Talkshows anschaut, dann ist da höchstens eine Person, mit der | |
| ich mich irgendwie ein bisschen identifizieren kann. Und die ist dann auch | |
| gleich „exotisch“. | |
| Was heißt das? | |
| Tesfu: Entweder wird sie von deutschen Medienmacher*innen als exotisch | |
| wahrgenommen, oder sie gilt als exotisch, weil sie etwas macht, das | |
| außerhalb des Mainstreams ist. Das kann dann auch schon bedeuten, einfach | |
| nur queer zu sein oder ein Kopftuch zu tragen. | |
| Was werden Sie anders machen? | |
| Tesfu: Wir wollen versuchen Menschen zu zeigen, die zum einen ganz | |
| selbstverständlich Teil des Mediensystems sind und zum anderen tolle Ideen | |
| haben, aktivistisch unterwegs sind. Und die für das Deutschland stehen, das | |
| ich jeden Tag auf der Straße sehe, aber leider nicht im deutschen | |
| Fernsehen. | |
| Belli: Wir haben unsere erste Folge „deep und deutlich“ schon | |
| aufgezeichnet. Zu Gast waren da Katja Krasavice, die in Tschechien geboren | |
| ist. Nadia Kailouli, die marokkanische Wurzeln hat. Oder auch Younes Zarou, | |
| das ist einer der erfolgreichsten Tik Toker Deutschlands, dessen Eltern | |
| auch eine Migrationsgeschichte haben. Wir haben mit all diesen Gästen nicht | |
| über Herkunft gesprochen. Gar nicht. Außer mit dem Musiker Clueso, und der | |
| ist ein weißer Mann aus Thüringen. Genau das ist es, worum es uns in „deep | |
| und deutlich“ geht. Wir stellen Fragen, die das Thema des Gastes behandeln, | |
| und in den meisten Fällen muss ich dazu nicht die Herkunft thematisieren. | |
| Tesfu: Wir wissen darum, dass es Rassismus und andere -ismen gibt. Aber wir | |
| sind doch mehr als unsere Diskriminierungserfahrungen. Wenn wir mit so | |
| einem Gefühl an unsere Gäste gehen, dann entsteht eine andere Form von | |
| Unterhaltung und Diskussion. Man fängt nicht erst bei Irmchen an, sondern | |
| kann direkt „deep und deutlich“ werden. | |
| In den vergangenen knapp zwei Jahren wurden mehrere junge | |
| öffentlich-rechtliche Formate eingestellt, [1][darunter „Softie“ und | |
| „Karakaya Talk“]. Beides Sendungen, in denen queere und migrantische | |
| Perspektiven prominent waren. Welches Zeichen sendet man mit der | |
| Einstellung solcher Formate? | |
| Belli: Eine Sendung wie „Karakaya Talk“ wird vielleicht eingestellt, weil | |
| es möglicherweise ein teures Format war und weil es erst mal sehr viel | |
| weniger Leute erreicht hat als beispielsweise ein Flynn Kliemann mit seiner | |
| Sendung „Kliemannsland“. Ich vermute, dass am Ende auf die Klicks geschaut | |
| wird: Wer hat wie viel erreicht. Und da wird dann nicht darüber nachgedacht | |
| wie das Absetzen in der Community wirkt. | |
| Tesfu: So etwas passiert, weil gewisse Redaktionen nicht divers genug | |
| aufgestellt sind. Ich meine: Fynn Kliemann als weißer, gutaussehender Typ, | |
| der die ganze Zeit an Sachen rumschraubt. Das so etwas erst mal alle sehen | |
| wollen, ja woher kommt's denn? Natürlich weil Fynn Kliemann eine | |
| Sehgewohnheit reproduziert, die wir seit Jahren kennen. | |
| Belli: Für mich ist Fynn Kliemann aber ein Ausnahmetalent. Ich glaube, dass | |
| er ein schlechtes Beispiel ist für einen typischen weißen Mann, der | |
| erfolgreich ist. | |
| Tesfu: Das ist keine Kritik an Fynn Kliemann, sondern an Strukturen. Wir | |
| sind es nicht gewohnt, dass Shows auch von queers, von People of Color | |
| (PoC), von Schwarzen Menschen übernommen werden. Deshalb brauchen diese | |
| Formate oft ein bisschen mehr Zeit. Die Tatsache, dass Formate wie | |
| „Karakaya Talk“ auch von Macher*innen wie von Zuschauer*innen als | |
| randständig definiert werden, zeigt einfach, dass wir der Meinung sind: | |
| Sobald Schwarze, queers oder PoC sprechen, wird das automatisch zu einem | |
| Nischenformat. Obwohl die Mehrheitsgesellschaft so einen krassen Nutzen | |
| davon hätte, wenn sie jeden Tag der Moderatorin Esra Karakaya zuhören | |
| würde. | |
| In den Neunzigerjahren gehörten Moderator*innen mit diversen Hintergründen | |
| [2][bei den Musiksendern Viva] und MTV und den Privatkanälen zur | |
| Normalität. Was haben die damals besser gemacht? | |
| Belli: Die Talkshows, die im Privatfernsehen liefen, waren meistens | |
| Unterhaltungssendungen, sowas wie „Arabella“ zum Beispiel. Ich glaube, da | |
| gab es eine Trennung: Für Souveränität stehen vermeintlich nur weiße Leute. | |
| Und Schwarze Menschen für alles mit Unterhaltungsfaktor. Ich glaube, | |
| deshalb hatten wir im öffentlich-rechtlichen Fernsehen damals wie heute | |
| kaum Moderator*innen, die People of Color sind. | |
| Tesfu: MTV und Co. waren internationale Marken. Und Sender, die | |
| international aufgestellt sind und erfolgreich sein wollen, können es sich | |
| eigentlich nicht erlauben nur gewisse Moderator*innen zu präsentieren. | |
| Lustiger Fun Fact: Wenn wir mal gucken, wer die Neunziger- und Nullerjahre | |
| überlebt hat, dann sind das die ganzen weißen Moderator*innen. Bei MTV sind | |
| es Joko und Klaas und Palina Rojinski. Bei Viva Sarah Kuttner und Charlotte | |
| Roche. Bei den Talkshows der Privatsender ist Sonja Zietlow übrig | |
| geblieben, die jetzt das Dschungelcamp moderiert. Das heißt, die ganze | |
| Diversität, die wir mal hatten, ist in Deutschland krass flöten gegangen. | |
| Ein Grund dafür ist, wie ich denke, strukturelle Diskriminierung. | |
| Verändert sich auch etwas bei den Öffentlich-Rechtlichen im Bezug auf | |
| Diversität? | |
| Belli: Ich glaube, sie sind auf einem guten Weg. Dass funk als junges | |
| Angebot vor ein paar Jahren gestartet ist, finde ich toll. Dass wir da zum | |
| Beispiel Leute haben wie Leeroy, ein Schwarzer Mann im Rollstuhl. Das hätte | |
| es vor einigen Jahren so noch nicht gegeben, weil es die Sehgewohnheiten | |
| gesprengt hätte. Ich träume davon, dass alle Sendungen irgendwann divers | |
| besetzt sind, und wenn sie gesendet werden, auch gleich bewertet werden. | |
| Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Dass wir aber mit „deep und | |
| deutlich“ zeigen können, wie man es anders machen kann, dafür bin ich | |
| dankbar. | |
| 2 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Erica Zingher | |
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